Seit Elon Musks (51) Twitter-Übernahme wurden 62'000 Accounts wieder freigeschaltet, die zuvor wegen Volkshetze und Aufruf zur Gewalt gesperrt waren. Darunter fällt auch jener des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump (76). Hinzu kommt, dass Musk rund der Hälfte der 7500 Angestellten gekündigt hat, die für die Moderation kritischer Beiträge zuständig waren.
Eigentlich wollte der Multimilliardär Musk Twitter ja zu einem lukrativen Geschäft machen. Doch seine Absichten scheinen sich aufgrund der Änderungen ins Gegenteil zu verkehren. Seit seinem Kauf jagt eine Schlagzeile die andere. Zuletzt liess etwa aufhorchen, dass auch der Tech-Riese Apple keine Werbung mehr auf der Social-Media-Plattform mit Sitz in San Francisco (USA) schaltet und Twitter sogar aus dem App Store verbannen will. Denn seit Musks Übernahme wird auf der Plattform vermehrt wieder gehetzt. Apple verlangt aber, dass App-Betreiber solche Inhalte nicht zulassen.
Jemand, der die Lage gut einschätzen kann, ist Nandini Jammi (34). Sie fällt ein vernichtendes Urteil. Jammi ist eine amerikanische Aktivistin und Beraterin für Markensicherheit. Sie machte sich 2016 einen Namen, indem sie über den Twitter-Account «Sleeping Giants» Werbeanzeigen auf Propaganda- und Verschwörungsseiten sammelte. Etwa auf Breitbart News, einer Trump-nahen nationalistischen Webseite. Das Problem war, dass werbetreibende Unternehmen oft nicht wussten, wo ihre Inserate publiziert wurden. So konnte es geschehen, dass ihre Werbung auf zweifelhaften Webseiten erschien. Das schädigte die Marke der betroffenen Unternehmen, zahlreiche von ihnen änderten daraufhin ihre Werbestrategie.
«Die Marken leiden in einem solchen Umfeld»
Jammi sagt zu Blick: «Twitter ist ein sinkendes Schiff.» Seit Musks Übernahme befänden sich Werbetreibende nicht länger in einem sicheren Bereich. Im Gegenteil: «Die Marken leiden in einem solchen Umfeld.» Viele würden deshalb keine Werbung mehr schalten. Und: «Werbetreibende, die gehen, kommen nicht mehr zurück.»
Zu Musks Verhalten, jetzt Apple den Krieg zu erklären, sagt Jammi: «Es ist niemals eine gute Idee, gegen Werbetreibende zu hetzen.» Das grundlegende Problem sei, dass Musk das Vertrauen in Twitter zerstört habe. «Durch die getroffenen Umstrukturierungen herrscht Desinformation vor, und Twitter bietet Extremismus nun eine Plattform.»
«Vermischung der Marken Musk und Twitter toxisch»
Ausserdem sagt Jammi: «Die Vermischung der Marke Musk und der Marke Twitter ist toxisch.» Die freundliche Linie, die der Mensch Elon Musk fahre, vertrage sich nicht mit den Richtlinien, die nötig seien, um eine soziale Plattform zu einem sicheren Ort für Marken und deren Reputation zu machen.
Gibt es einen Ausweg? «Musk müsste sämtliche seiner Massnahmen zurücksetzen», so Jammi. Er müsste sowohl bei den Nutzern als auch bei den Unternehmen das Vertrauen in die Plattform wiederherstellen. Und auch die gestrichenen Jobs wieder schaffen. Denn nicht zuletzt hätten die gekündigten Angestellten dafür gesorgt, dass Twitter für Werbetreibende ein sicherer Ort sei, betont Jammi. «Twitter braucht darum eine klare Inhaltspolitik – sowohl in den USA als auch rund um den Globus.»