Afrika war vom Coronavirus bisher schwächer betroffen als der grosse Rest der Welt. Scheinbar. Mit bisher rund 6,5 Millionen Infizierten und 165’000 Toten bewegt sich der Kontinent ungefähr auf dem Niveau von Grossbritannien – ist mit 1,3 Milliarden Einwohnern aber rund 20 Mal grösser.
Ob die Zahlen aus Afrika stimmen, wurde vielfach hinterfragt. Die UNO geht beispielsweise davon aus, dass nur 40 Prozent aller Corona-Todesfälle behördlich erfasst werden.
Doch egal ob beschönigt wurde oder nicht: Mittlerweile lässt sich nicht mehr wegdiskutieren, dass der Kontinent in seiner bisher grössten Corona-Krise steckt. Um 144 Prozent ist die Zahl der gemeldeten Fälle seit dem 1. Juni gestiegen. Die Zahl der Toten stieg im Wochenrhythmus um rund 40 Prozent.
«Hälfte stirbt innert 30 Tagen»
Das Problem: Die Delta-Variante ist auch in Afrika angekommen. Und kaum jemand in der Bevölkerung ist geimpft. 1,6 Prozent der Afrikaner sind doppelt geimpft, 1,5 Prozent einfach. Zudem ist es im Süden des Kontinents Winter – ideale Bedingungen für das Virus, sich zu verbreiten.
Mosoka Fallah, früherer Gesundheitsdirektor Liberias und heute für die US-Regierung als Berater arbeitend, wendet sich darum mit einem flehenden Brief an die westliche Welt. Er beginnt mit Fakten: «Die Todesrate von Corona in Afrika ist 18 Prozent höher als im Rest der Welt. Ungefähr die Hälfte derjenigen, die auf die Intensivstation kommen, sterben innerhalb von 30 Tagen.» Sein Social-Media-Account sei voll gewesen mit Glückwünschen für Geburtstage und Hochzeitstage, nun sehe er vor allem «Ruhe in Frieden»-Botschaften.
Danach wird er emotional: Der richtige Moment für einkommensstarke Länder, Afrika zur Hilfe zu eilen, «ein Kontinent, auf den sie so stark zählen, wenn es um unzählige Arbeitskräfte und Ressourcen geht», sei fast vorbei. «Uns fehlt es an Impfdosen und wir ringen um Luft», schreibt er pathetisch.
Vergleiche zur Ebola-Epidemie 2014
Immer wieder vergleicht Fallah Corona mit dem Ebolavirus, das 2014 in Liberia wütete. «Wie damals sterben auch heute überproportional viele Gesundheitsmitarbeiter, und von denen haben wir ohnehin viel zu wenige». 2014 habe die Welt acht Monate gewartet, bevor sie sich entschloss, zu helfen.
«Ich erinnere mich, weinend in den Häusern von Familien gestanden zu haben, die von der Epidemie komplett ausradiert wurden.» Nun würde er seine Zeit dafür verwenden, die Führer der Welt daran zu erinnern, ihre Fehler von damals nicht zu wiederholen.
Reiche Nationen in die Pflicht genommen
Fallah hofft vor allem auf die Covax-Initiative. Diese hat zum Ziel, zwei Milliarden Impfdosen an afrikanische Länder zu spenden. Anfangs Juli seien aber erst knapp 50 der bis dahin versprochenen 700 Millionen Dosen geliefert worden. «Vielleicht kommen sie bis Dezember, aber bis dahin wird es zu spät sein für viele», mahnt Fallah.
«So wie ich und viele meiner Kollegen in Gesundheitsämtern das beurteilen, horten die reichen Länder die Impfungen, warten bis sie abgelaufen sind – während Ungeimpfte, die gerne immun wären, sterben.»
Hilft ein neuer Marshallplan?
Seine Idee: Ein Plan, der krisengeplagten Ländern erlauben würde, sich nach der Epidemie zu erholen. So wie ihn die USA nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte. «Das derzeitige Unglück muss mit einem neuen Marshallplan gestoppt werden. Einer, mit dem reiche Länder gratis ihre Impfungen, Produktionsstätten und Ressourcen teilen.» Und er schiebt nach: «Wenn schon nicht um ihres Gewissens willen, so doch um ihrer Gesundheit willen.»