Die Corona-Impfung bringt die Freiheit. Doch für manche Menschen ist sie noch immer unerreichbar. Denn die Impfunterschiede zwischen den Kontinenten und Ländern sind gewaltig.
In Nordamerika und Europa ist die Anzahl der Erstgeimpften flächendeckend am höchsten: Längst hat mehr als jeder dritte Einwohner hier mindestens eine Impfdosis erhalten – während es in Afrika und Asien gerade mal zwei und sieben von 100 sind. Aktuell ist die Covid-19-Impfrate in den 50 reichsten Ländern der Welt 27-mal höher als in den 50 ärmsten Ländern.
Diese sechs Länder impfen noch nicht
Impf-Weltmeister Israel liegt bei rund 63 Prozent Erstgeimpften. Ebenso wie Kanada übrigens, das lange hinterherhinkte: Regierungschef Justin Trudeau (49) hatte zwar mehr Impfdosen pro Kopf bestellt als jedes andere Land, ging dann aber wegen des US-Exportstopps trotzdem lange leer aus. Nun haben die Kanadier die USA aber dank weniger Impfskepsis und einem klugen Impf-Management sogar überholt.
Sechs andere Länder hingegen haben noch nicht mal angefangen: Tansania, Tschad, Haiti, Burundi, Eritrea – und Nordkorea.
Das ist auch für die Schweiz und den Rest der Welt ein Problem. «Impfgerechtigkeit ist nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch ein Gebot der Vernunft», schrieb das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) am Montag in einer Mitteilung. Auch wenn sich in der Schweiz dank steigendem Impfschutz und sinkenden Fallzahlen die Lage etwas normalisiert habe, sei die Gefahr angesichts immer neuer Mutanten noch längst nicht gebannt.
Drosten: «Alle Nicht-Geimpften werden sich infizieren»
Laut Forschern der amerikanischen Duke University wären etwa 11 Milliarden Impfdosen nötig, um 70 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen und möglicherweise Herdenimmunität zu erreichen. Allerdings: Auch das ist nur eine Schätzung.
In einem Interview mit der «Republik» dämpfte jüngst der bekannte deutsche Virologe Christian Drosten (48) Hoffnungen auf eine «Corona-Herdenimmunität»: «Herdenimmunität bedeutet: 70 Prozent werden immun – egal jetzt, ob durch Impfung oder Infektion –, und die restlichen 30 Prozent werden ab dann keinen Kontakt mehr mit dem Virus haben. Das ist bei diesem Virus einfach nicht so. Alle, die sich nicht impfen lassen, werden sich mit Sars-2 infizieren.»
Afrika kämpft mit dritter Welle
In Afrika sind wegen der niedrigeren Lebenserwartung – in Äthiopien etwa liegt der Altersdurchschnitt aktuell bei 19,5 Jahren, in der Schweiz bei 43,1 Jahren – zwar weniger Menschen an Covid-19 gestorben als in Europa, doch vor allem wegen der ansteckenderen Varianten infizieren sich aktuell immer mehr Menschen.
Vergangene Woche warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor der dritten Welle in Afrika. In 14 Ländern gingen die Infektionszahlen nach oben – allein in der Vorwoche verzeichneten acht einen Anstieg der Fälle von mehr als 30 Prozent. «Unsere Priorität ist klar – es ist entscheidend, dass wir den Afrikanern, die ein hohes Risiko haben, schwer zu erkranken und an Covid-19 zu sterben, schnell Impfstoffe in die Arme geben», sagte die für Afrika zuständige WHO-Regionaldirektorin Matshidiso Moeti.
Impf-Initiative hat keine Chance gegen Markt
Und das, während westliche Länder teilweise bereits Kinder ab zwölf Jahren impfen. «Wir als Länder mit hohem Einkommen haben dafür gesorgt, dass der Markt einseitig war», sagt der Wissenschaftler Mark Eccleston-Turner, Experte für Völkerrecht und Infektionskrankheiten an der Keele University in England, in der «New York Times». «Das grundlegende Problem ist, dass das System kaputt ist, aber es ist zu unseren Gunsten kaputt.»
Zwar soll die globale Covax-Initiative (zu der auch die Schweiz gehört) für eine gerechtere Verteilung des Impfstoffs sorgen – doch wenn Unternehmen wie Pfizer und Moderna den grössten Teil ihrer Produktionskapazitäten an Regierungen in Nordamerika und Europa verkaufen, hilft das wenig.
Ein Beispiel: Im Januar gab Pfizer seinen Beitritt zu Covax bekannt und verpflichtete sich, 40 Millionen Dosen zu einem nicht gewinnorientierten Preis beizutragen. Bis Mitte Mai wurden laut einer Recherche der «NYT» nur 1,25 Millionen dieser Dosen ausgeliefert – weniger als das, was Pfizer an einem einzigen Tag produziert.
Zwei Probleme beim Schliessen der weltweiten Impflücke: Rohstoffe und Material zur Herstellung sind knapp – und die Hersteller von Vakzinen wie Materialien sitzen auf ihren Patenten. Beides verhindert eine schnelle Produktionssteigerung. Und das angesichts des Problems, dass sich der globale Vakzin-Bedarf für Auffrischungsimpfungen oder auf neue Varianten angepasste Impfstoffe weltweit voraussichtlich noch massiv erhöht.
Biden kauft für Entwicklungsländer 500 Millionen Biontech-Dosen
Nun reagiert Joe Biden (74). Kurz vor seinem Abflug nach Europa verkündete der US-Präsident, bald einen globalen Corona-Impfplan vorzustellen. Laut US-Medien hat die US-Regierung zu dem Zweck 500 Millionen Impfdosen von Pfizer/Biontech gekauft, die sie in den kommenden zwei Jahren an rund 100 Länder verteilen will. Der Plan sieht offenbar vor, 200 Millionen Dosen bereits in diesem Jahr zu verteilen, 300 Millionen im nächsten Jahr.
Anfang Mai sprach Biden bereits seine Unterstützung für eine von Indien und Südafrika angeführte Allianz von Entwicklungs- und Schwellenländern aus, die fordert, während der Pandemie auf den Patentschutz für Coronavirus-Impfstoffe zu verzichten. Laut einem Bericht von CNN sei er ausserdem selbst dafür offen, eigene Impfstoffe direkt mit Nordkorea zu teilen – auch wenn seine Regierungsbeamte glauben, dass die Nordkoreaner aktuell nicht bereit seien, mit den USA zusammenzuarbeiten.
Schweiz will 3 Millionen Dosen Astrazeneca abgeben
Auch die Schweiz will freiwillig teilen – allerdings «nur» Astrazeneca. Weil die Schweiz vor allem auf die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna setzt, soll auch nach Zulassung nur ein vergleichsweise kleiner Teil der 5,4 Millionen bestellten Astrazeneca-Dosen verimpft werden. Er wolle gern drei Millionen Dosen spenden, kündigte Gesundheitsminister Alain Berset (49) Mitte Mai an.
Ein Tropfen auf dem heissen Stein: Afrika hat mehr als 1,3 Milliarden Einwohner, Asien mehr als 4,6 Milliarden. Doch solange die Pandemie auch dort nicht unter Kontrolle ist, sind gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Folgen auch für die Schweiz nicht absehbar. Unabhängig davon, wie klein die Impflücke im eigenen Land ist.