Steigende Zahlen trotz Lockdown
Warum Australiens Corona-Strategie plötzlich versagt

Zunächst schien Australien die Corona-Krise im Griff zu haben. Harte Massnahmen, niedrige Zahlen. Doch nun kämpft der Inselstaat mit der Delta-Variante.
Publiziert: 27.07.2021 um 20:11 Uhr
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Aktualisiert: 28.07.2021 um 08:37 Uhr
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Die Strassen in Sydney sind wie leergefegt. Seit rund einem Monat ist die Weltstadt im Lockdown, Menschen sind aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen.
Foto: keystone-sda.ch
Fabian Vogt

Australien wurde in der Corona-Zeit seinem Status als Insel mehr als gerecht. Kurz nach Bekanntwerden der Pandemie wurden die Grenzen geschlossen und bisher nicht geöffnet.

Kreuzfahrtschiffe dürfen nicht mehr anlegen. Australier, die heimreisen, müssen in Isolation. Es gibt eigene Quarantäne-Hotels, die von der Polizei oder dem Militär bewacht werden. Die einzelnen Staaten schlossen temporär ihre Grenzen. Das wäre so in etwa, wie wenn Aargauer nicht mehr nach Zürich dürften. Schon nach wenigen Fällen werden ganze Gebiete in einen Kurz-Lockdown geschickt, der deutlich härter ist als die meisten in Europa.

All diese Massnahmen, nebst einem ausgeklügelten Testsystem, brachte gewaltige Erfolge. Bis heute gab es 33’000 Fälle und 918 Tote – bei einer Bevölkerung von mehr als 25 Millionen. Zum Vergleich die Schweiz: 8,5 Millionen Einwohner, über 700’000 Fälle, knapp 11’000 Tote.

Ein Monat Lockdown ändert nichts

Inzwischen sieht es etwas anders aus. Die Zahlen steigen. Am 1. Juli waren es 40 neue Fälle pro Tag, unterdessen sind es über 150.

Klingt nicht nach viel, doch eine genauere Analyse offenbart das Problem: Fast alle Fälle stammen aus Sydney. Die Weltstadt befindet sich seit gut einem Monat im Lockdown, die Zahlen gehen allerdings nicht zurück.

Und daran ist die Delta-Variante schuld. Da ist sich Raina MacIntyre (57), Epidemiologin an der Universität von New South Wales, sicher. Delta lasse sich trotz aller Massnahmen deutlich schwieriger unter Kontrolle bringen als bisherige Varianten, schreibt sie in einem Fachmagazin.

Ministerpräsidentin besorgt und warnt

Die Virusmenge, die im Falle der Delta-Variante von infizierten Menschen ausgeschieden werde, sei über 1000-mal höher als die des ursprünglichen in Wuhan identifizierten Stamms. Zudem zeige sich in Studien, dass die durchschnittliche Zeit der Ansteckung bis zur Infektion im Jahr 2020 sechs Tage betrug, bei Delta jedoch nur noch vier Tage. Dies mache es schwieriger, Kontakte zu identifizieren, bevor sie angesteckt werden.

Die Ministerpräsidentin des Bundesstaates New South Wales, zu dem Sydney gehört, warnt ebenfalls. «Es (das Virus) breitet sich so schnell aus, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben», sagte Gladys Berejiklian (50) an einer Pressekonferenz. Die Menschen würden sich nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im Supermarkt oder in der Apotheke anstecken.

Bisher sind nur 13 Prozent der Australier doppelt geimpft

Weil Lockdowns, Quarantäne und Kontaktverfolgung nicht mehr helfen, bleibt nur eine Lösung für MacIntyyre: die Impfung.

Das Problem: Bisher sind nur 13 Prozent der Australier doppelt geimpft. Das liegt im weltweiten Schnitt, ist aber deutlich weniger als in anderen industrialisierten Nationen. In der Schweiz etwa sind unterdessen fast 50 Prozent doppelt geimpft.

Aber wieso sind nur so wenige Australier doppelt geimpft? Die Regierung setzte zunächst auf Astrazeneca. Doch als es vermehrt zu Blutgerinnseln kam, wollte man das Vakzin nur noch bestimmten Bevölkerungsgruppen verabreichen. Zudem setzte man die Hoffnung auf einen eigenen Impfstoff, der aber in Tests durchfiel. Nun sollen es die mRNA-Impfungen richten. Pfizer und Moderna aber werden nur langsam ausgeliefert, weil die Hersteller zuerst jene Nationen berücksichtigen, die zuerst bestellt haben.

«Die Tatsache, dass wir weitgehend ungeimpft sind, macht uns anfällig für schwere Ausbrüche, insbesondere bei der schwereren Delta-Variante», schreibt MacIntyre. «In einer weitgehend ungeimpften Bevölkerung ist dieses tödlichere Virus katastrophal.»

Wie gefährlich ist Delta an der frischen Luft?

Wie das Portal «rnd.de» berichtet, wird Australien nun zum Labor für die Welt. Weil das Land über eine exzellente Datenlage verfüge, erhoffen sich Forscher neue Erkenntnisse. So interessiere sich der Harvard-Professor Eric Feigl-Ding, ein Epidemiologe und Gesundheitsexperte in den USA, besonders für Infektionen, die in einem Sportstadion in Melbourne stattfanden sowie für Fälle in Sydney, die sich in einem Café im Freien angesteckt haben.

All diese Menschen hätten sich das Virus laut der australischen Gesundheitsbehörde ohne direkten Kontakt zum Infizierten eingefangen. Feigl-Ding zieht daraus den Rückschluss, dass die Delta-Variante auch im Freien übertragen werden kann – einfach, weil die Viruslast so hoch sei.

Besserung erst im Frühling

Dass eine erhöhte Viruslast zu vermehrten Übertragungen an der frischen Luft führen kann, ist eine Meinung, die auch von anderen Experten geteilt wird. Eindeutige Ergebnisse, wie sich Delta im Freien verhält und überträgt, gibt es allerdings noch nicht. Für die Australierinnen und Australier heisst es nun erstmal: durchhalten. Denn eine Besserung ist so rasch nicht in Sicht. Erst im Oktober sollen regelmässig grössere Mengen von Pfizer und Moderna eintreffen – nach dem australischen Winter.

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