Darum gehts
- Deutschland findet zu wahrer Stärke, Spanien bleibt Favorit
- Deutschlands Kampfgeist und Spaniens Selbstvertrauen prägen das Turnier
- England rettet sich nach 0:2-Rückstand gegen Schweden in den Halbfinal
Deutschland (+5)
Klar, den Deutschen fehlen inzwischen mehr Verteidigerinnen, als sie überhaupt ans Turnier mitgenommen haben. Sie leisten sich unfassbar dumme Aktionen wie Torwartparaden durch Feldspielerinnen oder Zöpfezupfen im eigenen Strafraum. Aber viel wichtiger: Sie haben im über zwei Stunden dauernden Abnutzungskampf gegen Frankreich zu ihrem wahren Ich gefunden.
Eingestiegen ins Turnier ist Deutschland mit einem merkwürdig grossen Risikowillen im Spielaufbau, der durch keinerlei taktischen Plan untermauert schien. Die Folge: ein unzusammenhängendes Gebilde, hinten wacklig und vorne trotz allem von der individuellen Klasse einzelner Spielerinnen abhängig.
Aber seit Minute 12 gegen Frankreich weiss das deutsche Team wieder, was es kann: gewinnen wollen. Oder wie sagt es Goalie Ann-Katrin Berger (34)? «Ich habe nicht zugelassen, dass wir uns noch einmal unterkriegen lassen.» So einfach ist das.
Da ist es egal, ob Trainer Christian Wück (52) einen Plan oder einsatzfähige Abwehrspielerinnen hat. Deutschland kratzt, beisst und rennt gegen hinten. Es hat mit Berger eine Torhüterin, die auf der Linie Weltklasse ist. Und vorne helfen die Klasse von Klara Bühl und Jule Brand oder ein Standard. Es ist eine brandgefährliche Kombination, die gegen jedes der verbliebenen Teams an diesem Turnier gewinnen kann.
Halbfinal: Spanien (2)
Spanien (–)
Die Spanierinnen bleiben konsequent auf Rang zwei unseres Rankings. Nicht, weil sie bislang ihrer Favoritinnenrolle nicht vollumfänglich gerecht geworden wären. Sondern, weil sie in ihren vier Spielen noch nicht einmal ernsthaft getestet worden sind.
Und so weiss man halt nicht: Ist es einfach unfassbar grosses Selbstvertrauen, wenn die Weltmeisterinnen gegen die Schweiz bis zur 65. Minute warten müssen, bis sie sich ihre erste richtig dicke Chance aus dem Spiel heraus erzaubern? Oder ist Spanien doch ein wenig im Schlafwagen unterwegs – und könnte es gegen Gegnerinnen mit etwas mehr Physis und Klasse plötzlich zum bösen Erwachen kommen?
Die defensive Schwäche bei Standards bleibt bestehen. Und Gegnerinnen wie Belgien, Italien und die Schweiz haben gezeigt, wie die Spanierinnen mit Kontern in Verlegenheit gebracht werden können. Gleichzeitig hat Aitana Bonmatí (27) gegen die Schweizerinnen gezeigt, dass sie weniger als einen Bierdeckel Raum braucht, um praktisch aus dem Nichts heraus eine Torchance entstehen zu lassen.
Halbfinal: Deutschland (1)
England (+1)
Das mit dem Penaltyschiessen sollten die Engländerinnen vermutlich nochmals üben. Auch wenn im Viertelfinal die Schwedinnen aus elf Metern noch etwas schlechter geschossen haben. Vielleicht ersetzt das Grand Hotel Dolder zur Not noch in einem seiner langen Gänge eine Vitrine mit Werbung für Luxusprodukte durch ein Tor. Für den ungezwungenen Strafstoss zwischendurch.
Aber auch sonst gibt es einiges zu tun bei den Lionesses. Die Abwehr ist seit Turnierbeginn im Spiel gegen den Ball wacklig. Gegen Schweden setzten es sich die Engländerinnen offenbar in den Kopf, auch mit dem Ball jede Qualität vermissen zu lassen. Die ersten zehn Minuten waren ein Desaster, nach 25 Minuten war die beste Nachricht für das englische Lager, dass es erst 0:2 hiess. Verteidigerin Jess Carter wirkte, als brauche sie dringend eine feste Umarmung.
Und gegen vorne wirkte es lange, als hätten die elf Spielerinnen von Sarina Wiegman (55) elf verschiedene Pläne mit auf den Weg bekommen, die wenig Berührungspunkte hatten. Besser wurde es erst, als sich alle kurz vor dem Ausscheiden darauf geeinigt hatten, «proper England» sein zu wollen. Das «richtige England», von dem das englische Team an diesem Turnier so oft spricht, drischt offenbar weite Bälle nach vorne, haut sie dort hoch in den gegnerischen Strafraum – und rettet sich dann durch puren Willen.
Das hat für den Halbfinal gereicht. Aber in den beiden Spielen gegen Gegnerinnen von gehobener Qualität (Frankreich und Schweden) wirkten die Titelverteidigerinnen verwundbar.
Halbfinal: Italien (4)
Italien (+1)
Die Italienerinnen haben einen entscheidenden Vorteil genutzt: Sie haben ihre Niederlage gegen Spanien bereits in der Gruppenphase abgeholt und sind zum ersten Mal seit 28 Jahren wieder unter den letzten Vier des Turniers.
Beim 2:1-Sieg gegen Norwegen im Viertelfinal erlebte die Squadra Azzurra einen Moment der Emanzipation. «Wir machen das für uns», sagte Doppeltorschützin Cristiana Girelli (35): «Aber es hat auch eine so viele tiefere Bedeutung, die wir nach Italien senden wollen: In Italien wissen wir, wie Fussball gespielt wird. Und es sind auch die Frauen und Mädchen, die Fussball spielen können.»
Und warum soll der Weg mit dieser Mission vor Augen nicht noch weiter führen? Die Italienerinnen sind defensiv gut organisiert. Und in der Offensive versteht sich die italienische Rekordtorschützin Girelli ganz wunderbar mit Sofia Cantore (25), die ihr auch beide Tore gegen die Norwegerinnen aufgelegt hat.
Halbfinal: England (3)