Das gab zu reden
Was hat sich Kathrin Hendrich dabei nur gedacht? Frankreich tritt einen Freistoss, der Ball fliegt in den deutschen Sechzehner – allerdings nicht bis zur DFB-Verteidigerin. Und dennoch rückt Hendrich unmittelbar danach ins Rampenlicht. Denn der VAR (Jarred Gillett aus Australien) hat ganz genau hingeschaut.
Die 33-Jährige mit der Erfahrung von mehr als 80 Länderspielen hat doch tatsächlich ihre Gegenspielerin Griedge Mbock Bathy an den Haaren gezogen. Die schwedische Schiedsrichterin Tess Olofsson entscheidet nach Konsultation der Videobilder: Penalty für Frankreich und Rote Karte für Hendrich. Und dies in der 13. Minute. Frankreich nimmt das frühe Elfmeter-Geschenk in der Person von Grace Geyoro dankend an – wenn auch mit viel Glück (siehe «Die Tore»).
«Sie hatte ein Blackout», äussert sich Ex-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg im SRF-Studio zum ungewöhnlichen Foul. «Wenn sie das nachher selber sieht, dann wird sie sich wahrscheinlich fragen: ‹Was habe ich da gemacht?› Wir kennen sie so nicht, sie ist eine sehr faire Spielerin. Aber es ist eine klare Rote Karte. Die Regel besagt das so. An den Haaren ziehen, die Intensität, mit Absicht – Rote Karte. Es gibt keine andere Entscheidung.»
Das Spiel
Deutschland scheint den Viertelfinal bereits in der Startphase durch Kathrin Hendrichs haarsträubendes Foul zu verlieren (siehe «Das gab zu reden»). Doch die Deutschen fallen trotz Unterzahl nicht auseinander. Sie halten sich daran, was an diesem Turnier sowieso schon ihre grösste Stärke war. Deutschland mag an dieser Euro manchmal merkwürdig unkoordiniert im Spielaufbau wirken. Aber das Team hat Nehmerqualitäten. Und so beisst sich der EM-Rekordchampion (acht Titel) zurück ins Spiel. Sjoeke Nüsken trifft nach einer feinen Eckballvariante zum 1:1.
Und es könnte noch besser kommen für die DFB-Auswahl. Zwei Tore werden Frankreich zu Recht wegen Abseits aberkannt. Dann foult Selma Bacha Klara Bühl ungestüm im französischen Strafraum. Und so hat Nüsken in der 69. Minute plötzlich die Chance, die Weichen in Richtung Halbfinal zu stellen. Aber es passiert, was an dieser Euro immer wieder passiert: Sie scheitert an der Torhüterin – in diesem Fall Pauline Peyraud-Magnin. Es ist der 13. Penalty, der an diesem Turnier vergeben wird – im 27. Versuch.
Apropos Penalty: Das Elfmeterschiessen entscheidet letztlich über den Ausgang der Partie – nach einer mit zwei Ausnahmen ereignislosen Verlängerung. Die erste brenzlige Szene: DFB-Keeperin Ann-Katrin Berger rettet im Flug mirakulös gerade noch rechtzeitig, nachdem Mitspielerin Janina Minge den Ball per Kopf unglücklich aufs eigene Tor abgelenkt hat. Und in der 123. Minute jagt die französische Einwechselspielerin Melvine Malard den Ball aus grosser Distanz an die Latte.
Im Penaltyschiessen ragt Berger noch einmal heraus. Die 34-jährige Torhüterin tritt als fünfte deutsche Schützin selber aus elf Metern an und trifft. Zugleich pariert sie zwei französische Versuche, diejenigen von Amel Majri und Alice Sombath. Kurz vor Mitternacht – und nach 14 Schützinnen – endet ein denkwürdiger EM-Abend im Joggeli mit einem deutschen Happy End.
Die Tore
15. Minute, Grace Geyoro, 1:0 (Foulpenalty). Nach dem unüberlegten Foul von Kathrin Hendrich an Griedge Mbock Bathy tritt Grace Geyoro zum Penalty an. Der Schuss ist unplatziert und Goalie Ann-Katrin Berger mit der Hand am Ball dran – dennoch landet das Spielgerät in den Maschen.
25. Minute, Sjoeke Nüsken, 1:1. Sjoeke Nüsken sprintet dem auf den ersten Pfosten getretenen Corner von Klara Bühl entgegen. Ihr Kopfball fliegt über Torhüterin Pauline Peyraud-Magnin hinweg ins lange Eck.
So gehts weiter
Von ursprünglich 16 ins Turnier gestarteten Nationen bleiben noch 4 übrig. Am Dienstag bestreiten Italien und Titelverteidiger England in Genf den ersten Halbfinal, am Tag danach duelliert sich Deutschland in Zürich mit Weltmeister Spanien um den Einzug ins Endspiel. Beide Partien werden jeweils um 21 Uhr angepfiffen.