Oberster Erziehungsdirektor über Handy-Verbot
«Probleme an den Schulen sind gravierend!»

Christophe Darbellay wurde Anfang Jahr zum obersten Erziehungsdirektor der Schweiz. Im Interview spricht der Walliser über die ungenügenden Sprachkompetenzen in der Deutschschweiz – und fordert bei der Handynutzung klare Linien.
Publiziert: 02.07.2025 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2025 um 07:31 Uhr
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Seit 2017 ist Mitte-Politiker Christophe Darbellay Walliser Erziehungsdirektor. Letzte Woche führte der Kanton ein flächendeckendes Handyverbot an den Schulen ein.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Schweizer Bildungswesen unter Beschuss. EDK-Präsident Darbellay spricht Klartext
  • Handyverbote in Schulen: Welscher Konsens für konsequentes Verbot
  • Seit 2004 gilt in der Schweiz eine gemeinsame Sprachenstrategie
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Das Schweizer Bildungswesen ist unter Beschuss. In den Kantonen wird laut über Handyverbote, Fremdsprachen oder die integrative Schule diskutiert. Wie reagieren die Schweizer Bildungsdirektoren auf diese Kritik?

Seit Anfang Jahr waltet Christophe Darbellay (54) als Präsident der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK). Nach Amtsantritt geriet er jedoch erst aus einem anderen Grund in den Fokus der nationalen Politik: Der ehemalige Walliser Mitte-Nationalrat galt als heisser Kandidat für die Nachfolge von Verteidigungsministerin Viola Amherd (63). Er entschied sich dagegen. Zum Beginn der Sommerferien spricht er mit Blick über den Zustand der Schweizer Schulen.

Herr Darbellay, sind Sie froh, dass Sie im Wallis geblieben sind?
Christophe Darbellay:
Ja, sehr. Ich bin überzeugt, dass es der richtige Entscheid war, auch wenn er nicht leichtgefallen ist. Im Wallis habe ich viele konkrete Projekte, ein motiviertes Team und die Möglichkeit, Verantwortung für Themen zu übernehmen, die das Leben der Menschen hier unmittelbar betreffen. Zudem hatten wir in den letzten Monaten grosse Herausforderungen zu bewältigen, etwa durch Naturereignisse in verschiedenen Regionen des Kantons. In solchen Momenten merkt man, wie wichtig es ist, präsent zu sein.

Bergsturz im Lötschental: Darbellay hofft, dass Schulen bleiben

In Blatten VS ereignete sich vor einem Monat eine der schlimmsten Naturkatastrophen der Schweiz. Durch einen Gletscherabbruch wurde das gesamte Dorf ausradiert, eine Person kam ums Leben.

Doch was passiert jetzt mit den Schülerinnen und Schülern aus dem Dorf? Ein Schulhaus gab es im Unglücksgebiet zwar nicht – jedoch viele Kinder im Primarschulalter. «Sie gehen alle im Tal zur Schule», sagt der Walliser Mitte-Staatsrat Christophe Darbellay. «Ich hoffe von Herzen, dass sie auch in Zukunft dortbleiben können.» Für das Lötschental sei es zentral, eigene Schulen zu haben. «Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen. Solche Schulen sind mehr als Bildungsorte, sie sind ein wichtiger Teil der Identität.»

Im Wallis ist man laut Darbellay daher grosszügig, wenn es um die Schülerzahl pro Klasse geht. «Grundsätzlich ist es möglich, eine Gesamtschule auch mit nur sieben Kindern zu führen», erklärt der Erziehungsdirektor. «Der Erhalt kleiner Schulen ist kostenintensiv, jedoch ein Preis, den wir für den Zusammenhalt in unserem Kanton bewusst in Kauf nehmen.»

In Blatten VS ereignete sich vor einem Monat eine der schlimmsten Naturkatastrophen der Schweiz. Durch einen Gletscherabbruch wurde das gesamte Dorf ausradiert, eine Person kam ums Leben.

Doch was passiert jetzt mit den Schülerinnen und Schülern aus dem Dorf? Ein Schulhaus gab es im Unglücksgebiet zwar nicht – jedoch viele Kinder im Primarschulalter. «Sie gehen alle im Tal zur Schule», sagt der Walliser Mitte-Staatsrat Christophe Darbellay. «Ich hoffe von Herzen, dass sie auch in Zukunft dortbleiben können.» Für das Lötschental sei es zentral, eigene Schulen zu haben. «Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen. Solche Schulen sind mehr als Bildungsorte, sie sind ein wichtiger Teil der Identität.»

Im Wallis ist man laut Darbellay daher grosszügig, wenn es um die Schülerzahl pro Klasse geht. «Grundsätzlich ist es möglich, eine Gesamtschule auch mit nur sieben Kindern zu führen», erklärt der Erziehungsdirektor. «Der Erhalt kleiner Schulen ist kostenintensiv, jedoch ein Preis, den wir für den Zusammenhalt in unserem Kanton bewusst in Kauf nehmen.»

Im Mai präsentierten Sie die Untersuchung über die Grundkompetenzen an den Schweizer Schulen.
Endlich besitzen wir Fixpunkte, mit deren Hilfe wir vergleichen können. Wir haben zum Teil sehr gute Ergebnisse, aber auch solche, die uns gar nicht erfreut haben – nämlich die Orthografie in der Romandie und die Französischkenntnisse in der Deutschschweiz.

Frühfranzösisch ist in der Deutschschweiz unter Beschuss.
Bitte sprechen Sie nicht mehr von Frühfranzösisch! Was soll das?

Ja?
Wir lernen auch nicht Frühdeutsch. Diese Abwertung ärgert mich. Und dann liest und hört man immer wieder, die Schülerinnen und Schüler hätten ein Problem bei den Fremdsprachen. Wir sprechen hier von Landessprachen. Es geht um den Zusammenhalt des Landes.

Ist der Sprachunterricht nicht Aufgabe der EDK? Viele Lehrpersonen fordern eine klare Linie.
Wir haben eine Linie.

Und die lautet?
Seit 2004 gilt in der Schweiz eine gemeinsame Sprachenstrategie. Sie war das Ergebnis einer langen und anspruchsvollen Diskussion. Das kann man nicht so leicht über Bord werfen.

In der Sprachdebatte zeigt sich die EDK zurückhaltend.
Wir arbeiten an einer gemeinsamen Position. In der Romandie ist weniger oder später Deutsch zu lernen keine Option. Auch in den zweisprachigen Kantonen ist der Sprachunterricht unbestritten. In der Ostschweiz sind die Fronten hingegen verhärtet, einige Parlamente fassen besorgniserregende Beschlüsse. In Zürich steht der Entscheid noch aus. Er wird für die Sprachpolitik in der Schweiz von Bedeutung sein.

Weshalb?
Zürich ist der bevölkerungsreichste Kanton, der Wirtschaftsmotor der Schweiz. Respekt ist da angebracht. Und dann gibt es die Westschweiz-affinen Kantone wie Basel oder Solothurn, die einen Kompromiss fordern. Bislang hat aber niemand konkret aufgezeigt, wie ein solcher aussehen könnte.

Müsste das nicht die Erziehungsdirektoren-Konferenz tun?
Die EDK hat den Kompromiss 2004 erarbeitet. Es gibt eine Bundesverfassung, ein Sprachengesetz, gemeinsame Lehrpläne in der Deutschschweiz und der Romandie. Etwas daran anzupassen, bräuchte zehn bis 20 Jahre. Dessen muss man sich schon bewusst sein.

Ein Sorgenkind bleibt die Digitalisierung.
Ich kann vor allem für meinen Kanton sprechen. Wir haben bei der Digitalisierung zu wenig investiert. Aber wir holen auf. Der richtige Umgang mit dem Computer oder dem Handy gehört heute zu den Grundkompetenzen.

Sind da Handyverbote sinnvoll?
Die Probleme in der Schule, die mit Handys zusammenhängen, sind teils wirklich gravierend. Wenn Kinder unter sechs Jahren bereits ein Handy haben, wirkt sich das negativ auf die Sprachentwicklung und das Sozialverhalten aus. Das führt auch zu Verhaltensauffälligkeiten, die den Schulalltag belasten.

Mittlerweile haben drei Kantone ein flächendeckendes Verbot eingeführt. Zuletzt das Wallis. Werden weitere folgen?
In der welschen Schweiz sind wir uns unter den Bildungsdirektoren einig: Wir werden die Geräte konsequent verbieten. Sinnvolle pädagogische Nutzung bleibt die einzige Ausnahme. Wir brauchen jetzt eine klare Linie – sonst riskieren wir ständig neue Konflikte im Schulalltag.

Im Kanton Zürich will das Parlament zurück zu Förderklassen, im Kanton Basel-Stadt sind sie bereits wieder eingeführt. Das Projekt der integrativen Schule scheint gescheitert.
Die Modelle, wie sie in Basel und Zürich diskutiert werden, klingen in der Theorie gut. In der Praxis fehlen aber die personellen Ressourcen, und die Kosten steigen deutlich. Das Wallis hat im nationalen und internationalen Vergleich eine hohe Schulqualität. Auch weil wir bei der Integration viel machen – nicht erst seit gestern, sondern seit 60 Jahren. Trotzdem gilt: Integration ist wichtig, aber nicht um jeden Preis. Es gibt Situationen, in denen eine separate Lösung für ein Kind sinnvoller ist.

Welche Kinder sind das?
Solche mit schwerer Behinderung. Wenn ein Kind verhaltensauffällig ist, aber über sehr gute intellektuelle Kompetenzen verfügt, darf man es nicht isolieren. Dennoch: Diese Kinder belasten unser Schulsystem am meisten. Die Erziehung ist primär Sache der Eltern. In der Schule sollten wir vermehrt auf gemeinsame, übergreifende Massnahmen setzen, anstatt alles zu individualisieren.

Die Deutschschweizer Schülerinnen und Schüler sind so gestresst wie noch nie. Geht der Lehrplan 21 zu weit?
Man kann nicht sagen, die Schule sei zu wenig ambitiös.

Aber die Schülerinnen und Schüler zu überlasten, ist auch nicht zielführend.
Viele kommen gut zurecht. Andere werden die Ziele nie ganz erreichen. Die Schweizer Schule ist qualitativ gut, weil sie fordert. Aber wir müssen uns immer wieder fragen, ob wir die richtigen Inhalte vermitteln. Der Lehrplan 21 ist noch jung. Der welsche Lehrplan ist gut ein Jahrzehnt älter. Da können wir jetzt evaluieren.

Und was ist das Fazit?
Wir haben noch keine Antwort, aber wir sind dran.

Aus den Klassenzimmern ertönen immer wieder Rufe nach mehr nationalem Effort.
Aber wo können sie Einfluss nehmen?

Sagen Sie es uns.
In den jeweiligen Kantonen. Da werden die Beschlüsse gefasst. Sie können zwölfmal zu Bundesrat Parmelin rennen, das bringt nichts. Es ist gefährlich, die Schule zum Spielball der Politik zu machen – so wie es etwa ein abtretender Parteipräsident einer Regierungspartei tut. Jetzt tritt er zum Glück ab.

Sie sprechen von FDP-Chef Thierry Burkart. Hoffen Sie, dass seine Partei von der Linie abweicht, wenn er weg ist?
Ich habe sehr viele FDP-Kollegen, meine halbe Familie ist FDP. Und wir haben mittlerweile überall hochkompetente FDP-Erziehungsdirektoren. Die verstehen alle die Welt nicht mehr, wenn sie ihrem Präsidenten zuhören.

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