«Man hat der Politik zu viel versprochen»
Oberste Lehrerin stellt Frühfranzösisch zur Debatte

Nur jeder zweite Schüler in der Deutschschweiz erreicht die Minimalziele in Französisch. Lehrerverbandspräsidentin Dagmar Rösler sagt: Zwei Fremdsprachen in der Primarschule sind nur noch tragbar, wenn die Bedingungen massiv verbessert werden.
Publiziert: 25.05.2025 um 06:34 Uhr
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Aktualisiert: 25.05.2025 um 10:12 Uhr
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Brüten über Französischaufgaben: Schüler in der Deutschschweiz tun sich in der Fremdsprache schwer.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Deutschschweizer Schüler schneiden in Französisch schlecht ab. Anpassungen sind nötig.
  • Lehrerverbandspräsidentin stellt Frühfranzösisch zur Diskussion.
  • Nur gut 50 Prozent erreichen Minimalanforderungen in Französisch, hingegen 80 Prozent in Englisch.
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Lino SchaerenRedaktor

Wie gut können Schülerinnen und Schüler in der Deutschschweiz nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit Französisch? Die Antwort: schlecht. Oder zumindest bei weitem nicht gut genug. Das zeigt eine neue Untersuchung im Auftrag der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Die Ergebnisse sind katastrophal: Nur etwas mehr als die Hälfte der 9.-Klässlerinnen und 9.-Klässler erreichen in der Fremdsprache Französisch die Minimalanforderungen im Lese- und Hörverstehen. Zum Vergleich: In der Fremdsprache Englisch liegt dieser Anteil bei rund 80 Prozent.

Der Befund wird die ohnehin bereits heftige politische Debatte um die Sprachstrategie an den Schulen weiter befeuern. Selbst für den Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) ist das Unterrichten von zwei Fremdsprachen bereits in der Primarschule nicht mehr in Stein gemeisselt, wie Präsidentin Dagmar Rösler (53) im Interview mit Blick sagt. Nicht nur das: Die oberste Lehrerin des Landes stellt auch das umstrittene Frühfranzösisch erstmals offen zur Diskussion.

Dagmar Rösler, die Französisch-Kenntnisse der Deutschschweizer Schüler sind katastrophal. Was läuft falsch?
Das gilt es jetzt mit einer sauberen Analyse herauszufinden. Die Resultate sind beunruhigend und ein Hinweis darauf, dass Anpassungen vorgenommen werden müssen.

Was muss sich ändern?
Es ist zu früh, das zu sagen. Als die Kantone 2004 entschieden, zwei Fremdsprachen bereits in der Primarschule zu unterrichten, haben sie enorm ambitionierte Ziele gesetzt. Mit dem Sprachniveau, das die Schülerinnen und Schüler bis zum Ende des 9. Schuljahres erreichen sollten, wurde der Gesellschaft und der Politik zu viel versprochen. Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz hat hingegen immer davor gewarnt, zu hohe Erwartungen zu schüren. Denn unter den gegebenen Umständen in den Klassenzimmern konnten und können keine Wunder bewirkt werden. Die Testresultate bestätigen das nun.

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Es ist einfach, jetzt zu sagen, man habe es schon immer gewusst. Der Lehrerverband hat die Strategie mit zwei Fremdsprachen in der Primarschule stets verteidigt.
Der Verband hat gleichzeitig immer deutlich gemacht, dass die Strategie nur unter klar definierten Bedingungen erfolgreich sein kann. Mit zwei oder drei Lektionen pro Woche, ohne Halbklassen und Niveaugruppen sind die hohen Ziele im Französischunterricht nicht erreichbar.

Wieso nicht?
Guter Fremdsprachenunterricht bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler viel in Aktion kommen. Die Kinder sollen möglichst viel reden, viel lesen, viel in der Fremdsprache hören. Mit teilweise 25 Kindern in einer Klasse ist es schwierig, dass alle ausreichend zu Wort kommen. Das klingt jetzt vielleicht alles nach Ausflüchten …

… weil dieselben Bedingungen auch für den Englischunterricht gelten. Hier schneiden die Schülerinnen aber viel besser ab.
Deshalb müsste Französischunterricht in Zukunft anders behandelt werden als Englischunterricht.

Wie meinen Sie das?
Mit der englischen Sprache kommen die Schülerinnen und Schüler auch im Alltag und in ihrer Freizeit häufig in Kontakt, bei Streamingdiensten, in den sozialen Medien, in der Musik. Der Zugang und der Bezug zum Französisch ist weniger selbstverständlich, obwohl es eine Landessprache ist. Das ist alarmierend, weil es auch um den Zusammenhalt der Sprachgemeinschaften in der Schweiz geht. Wir müssten deshalb auch über die Motivation der Schülerinnen und Schüler sprechen, wenn es um das Lernen von Französisch geht.

Das müssen Sie erklären.
Es ist ein Phänomen, dass Schülerinnen und Schüler im Französischunterricht vor allem in den Jugendjahren weniger motiviert sind. Es kostet die Lehrpersonen oft viel Energie, Schülerinnen und Schüler zu motivieren, sich für den Unterricht zu engagieren. Dabei bezweifle ich, dass die Lehrpersonen den Unterricht im Französisch grundlegend anders gestalten. Französisch wird nicht schlechter unterrichtet als Englisch! Lehrpersonen setzen sich täglich mit grossem Engagement für einen erfolgreichen Fremdsprachenunterricht ein.

Was also tun gegen die Demotivation? Französisch gilt wie Mathematik immer mehr als Hassfach.
Es wird bereits viel getan, um den Bezug zur Landessprache herzustellen. Viele Schulen sind im Austausch mit Schulen aus der Romandie, man organisiert Schullager und Schulreisen im französischsprachigen Teil unseres Landes, pflegt Brieffreundschaften mit frankofonen Schulklassen. Man darf nicht vergessen, dass die französische Sprache vor allem zu Beginn schwierig zu erlernen ist.

Mit den schlechten Testergebnissen wird der politische Druck auf das umstrittene Frühfranzösisch noch einmal steigen. Zu Recht?
Es muss ernsthaft diskutiert werden, wie die zukünftige Haltung zum Fremdsprachenunterricht aussehen soll. Nicht nur in der Politik, auch bei uns im Verband. Das wird ein intensiver Prozess, da die Situation in den Kantonen sehr unterschiedlich ist.

Ein klares Bekenntnis ist das nicht. Sind zwei Fremdsprachen in der Primarschule eine zu viel?
Wir hören von Lehrpersonen, dass zwei Fremdsprachen überfordern können, vor allem schwächere Schülerinnen und Schüler. Ich kann nachvollziehen, dass die Häufung von Hausaufgaben in Deutsch, Mathematik, Französisch und Englisch eine Belastung für Primarschülerinnen und -schüler sein kann, warne aber davor, alle Probleme den Fremdsprachen aufzudrücken.

Englisch aus der Primarschule zu verbannen, könnte Entlastung bringen – und die Landessprache Französisch wieder stärken.
Ob eine Landessprache auf Primarstufe ausreicht, steht jetzt zur Debatte. Zwei Fremdsprachen bleiben nur gerechtfertigt, wenn die Kantone Massnahmen ergreifen, die das Erreichen der hohen Ziele ermöglichen. Sonst muss eine Neuausrichtung der Ziele der Sprachenstrategie der Konferenz der Erziehungsdirektoren offen diskutiert werden.

«Eine Diskussion über die Lernmethode ist unabdingbar»
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Präsident EDK:«Eine Diskussion über die Lernmethode ist unabdingbar»
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