«Das ist eine empörende Aussage»
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Wermuth über Lohn-Bemerkung:«Für eine solche Aussage fehlen mir die Worte»

Nach Arbeitgeber-Eklat
Wie viel Geld braucht es in der Schweiz zum Leben?

Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller sorgt für eine Kontroverse: Er sieht die Wirtschaft nicht in der Pflicht für existenzsichernde Löhne. Die Aussage empört – und wirft die Frage auf: Ab wann hat man in der Schweiz zu wenig Geld?
Publiziert: 05.06.2025 um 16:34 Uhr
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Aktualisiert: 06.06.2025 um 08:40 Uhr
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Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller sorgt vor Nationalrätinnen und Nationalräten für einen Eklat: Er sieht die Sozialhilfe und nicht die Wirtschaft in der Pflicht, existenzsichernde Einkommen zu ermöglichen.
Foto: PETER SCHNEIDER

Darum gehts

  • Arbeitgeber-Direktor sieht Sozialhilfe in der Pflicht für existenzsichernde Löhne
  • Tatsächliches Existenzminimum variiert je nach Kanton und Lebenssituation
  • Durchschnittliche Armutsschwelle für Alleinstehende 2023: 2315 Franken monatlich
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Die Aussage sorgt für gehörigen Zündstoff: Den Arbeiterinnen und Arbeitern existenzsichernde Löhne zu bezahlen, ist für Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller (62) nicht zwingend eine Aufgabe der Wirtschaft. So zumindest sagte er es vor Mitgliedern der nationalrätlichen Wirtschaftskommission.

Damit machte Müller sich nicht nur bei Linken und Gewerkschaften keine Freunde – sondern stösst auch einen grossen Teil der Erwerbstätigen vor den Kopf und löst Diskussionen aus. Müller sieht stattdessen die Sozialhilfe in der Verantwortung. Diese wiederum richtet den Grundbedarf für Sozialbeziehende unter anderem nach der Schweizer Lohnentwicklung aus. Eine verzwickte Sache. Doch wie viel Geld braucht es überhaupt, um in der Schweiz leben zu können?

Welche Zahl ist die richtige?

Blickt man etwa ins Tessin, scheint die Sache klar: Mindestens 20 Franken in der Stunde verdienen Erwerbstätige dort, damit ihre Existenz gesichert ist. In den insgesamt fünf Kantonen, die einen Mindestlohn kennen, variiert dieser Betrag jedoch deutlich – bis zu 24.50 Franken in Genf.

Gescheiterte Versuche in anderen Kantonen zeigen jedoch: Der Betrag ist dabei nicht zwingend harte Mathematik, sondern mehr ein Ausdruck davon, wie viel die Stimmbevölkerung gerade als angemessen ansieht.

Einen besseren Anhaltspunkt bieten die Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Laut dieser benötigt eine alleinstehende Person im Jahr 2025 monatlich 1061 Franken, um ihre Grundbedürfnisse zu decken.

Die SKOS-Empfehlung dient den Kantonen als Grundlage zur Berechnung der Sozialhilfe. Der Betrag wird etwa alle zwei Jahre an die Teuerung angepasst – und zwar in Anlehnung an den Ausgleich des Bundes bei den AHV- und IV-Renten. Allerdings setzen nicht alle Kantone diesen Teuerungsausgleich gleich konsequent um.

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Existenzminimum ist klar definiert

In diesem «Grundbedarf für den Lebensunterhalt» nicht eingeschlossen: Miete, Krankenkasse oder etwa die Kosten für den Arbeitsweg. Da diese sich je nach Lebenssituation und Wohnort stark unterscheiden, werden sie zusätzlich dazugerechnet. Aus all diesen Faktoren ergibt sich am Ende ein durchschnittliches Existenzminimum – heisst: das effektive «Geld zum Leben» in der Schweiz.

Für eine alleinstehende, allein lebende erwachsene Person lag die Armutsgrenze im Schweizer Durchschnitt 2023 bei monatlich 2315 Franken. Eine vierköpfige Familie galt im selben Jahr als arm, wenn ihr Haushaltseinkommen unter 4051 Franken pro Monat lag. Neuere Zahlen liegen derzeit nicht vor.

Zum Vergleich: Der monatliche Medianlohn eines klassischen Tieflohn-Jobs – etwa als Coiffeuse – liegt laut Lohnrechner des Bundes bei rund 3700 Franken. Bereits ab einem 60-Prozent-Pensum wäre eine Coiffeuse mit diesem Lohn armutsbetroffen.

Sozialhilfe kompensiert «Working Poor»

Tatsächlich arm sind laut neusten Zahlen jedoch nur etwas mehr als 700’000 Personen in der Schweiz – davon sind rund 176’000 Personen erwerbstätig, sogenannte «Working Poor». Das Bundesamt für Statistik hält aber auch fest, dass die Armutsquote ohne Sozialleistungen gleich doppelt so hoch wäre. 

Das zeigt: Schon heute gibt es in der Schweiz Menschen, die trotz Lohnarbeit unter die Armutsgrenze fallen – und nur dank Sozialhilfe oder IV-Rente über die Runden kommen.

Zugleich zeigen Erhebungen des Bundes, dass damit jedoch längst nicht alle Sorgen gelöst werden: Beinahe jede fünfte Person kann keine unerwarteten Ausgaben stemmen. Wer dafür sorgen soll, dass sich das ändert, bleibt politisch umstritten.

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