Darum gehts
- Trend #probablyneededahug zeigt Bewältigungsstrategien für schmerzhafte Gefühle auf Social Media
- Expertinnen betonen Wichtigkeit der Selbstwahrnehmung und des offenen Umgangs mit Emotionen
- Ein bewusster Umgang sei dabei zentral, um zu sich selbst zu finden
Fühlt man sich traurig und niedergeschlagen, versucht man sich von diesen Gefühlen zu lösen. Für sehr viele ist die Nähe zu einem geliebten Menschen das beste Heilmittel. Doch was ist, wenn man diese Nähe gerade nicht bekommen kann?
In den sozialen Medien trendet unter dem Hashtag #probablyneededahug genau dies. Auf Tiktok und Instagram finden sich unzählige Beiträge, in denen sich insbesondere junge Menschen niedergeschlagen zeigen, untertitelt mit der Aussage «Wahrscheinlich hätte ich eine Umarmung gebraucht». In der nächsten Szene sieht man, wie sie stattdessen etwas anderes getan haben, um mit den negativen Gefühlen klarzukommen.
Die eigenen Bedürfnisse finden
Um sich selbst zu trösten, wird sich ein Matcha Latte gegönnt oder eine Runde gejoggt. Mit der Lieblingsmusik oder bei einem langen Spaziergang kommt man auf andere Gedanken. Für andere geht es auf eine Reise oder einen Shopping-Trip. Die Aussage variiert: Einige möchten ihre inneren Zustände persönlich teilen, andere wollen sie ironisch überspielen.
Gesundheits- und Leadership-Coachin Heidi Hauer (44) sagt zu Blick: «Spannend ist die Bandbreite der Bewältigungsstrategien, die gezeigt werden. Das reicht von heilsam bis ungesund. Nichts davon ist neu, doch Social Media bringt diese inneren Prozesse nun ins Sichtbare.»
Die Expertin ergänzt: «Der Trend lädt zu einer bewussteren Selbstwahrnehmung ein. Er ist eine schöne Gelegenheit, sich zu fragen: ‹Wann brauche ich eigentlich eine Umarmung? Und was brauche ich gerade wirklich?›». So könne man zu den eigenen Bedürfnissen finden. Auch die Ehrlichkeit zu sich selbst sei wertvoll.
Bewältigungsstrategien massvoll setzen
Im Rahmen des Trends finden sich auch intimere Beiträge. Die Tiktok-Userin Yazmin Marziali teilt ihre Erfahrung als Mutter eines Neugeborenen. «Wahrscheinlich hätte ich eine Umarmung gebraucht, aber stattdessen habe ich mich damit abgefunden und weinte unter der Dusche, weil Mütter das eben so machen», teilt sie in ihrem Kurzvideo.
Die Medizinerin und Empowerment-Mentorin Cornelia Birta sagt zu Blick: «Die Mischung aus Verletzlichkeit und Selbstinszenierung in diesen Clips offenbart ein zentrales Thema unserer Zeit: den Umgang mit schwierigen Emotionen in einer oberflächlichen Welt, die oft keine Räume für echte Gefühle lässt.»
Stattdessen werde versucht, Emotionen wie Traurigkeit, Einsamkeit oder Überforderung zu kompensieren, erklärt sie. «In einem gewissen Rahmen ist das auch okay. Problematisch wird es erst, wenn diese Emotionen dauerhaft unterdrückt oder überspielt werden.» Denn auch unterdrückte Gefühle wirken weiter und beeinflussen die Gesundheit, betont die Expertin.
Sichtbarkeit und Enttabuisierung
Heidi Hauer beobachtet im Teilen der persönlichen Gefühlszustände eine Form der Sichtbarmachung. Am Beispiel der jungen Mutter zeige sich ein offener Umgang mit Überforderung: «Social Media bietet eine weitreichende Vernetzung und Verbindung. Andere Mütter könnten sich in der Lage wiederfinden und selbst erkennen.»
Der Anreiz: Man könne sich selbst mehr mit den eigenen Gefühlen auseinandersetzen und diese offen kommunizieren. Das Thema Gefühle werde so enttabuisiert und normalisiert. Wichtig: «Man sollte die gezeigten Bewältigungsstrategien jedoch nicht eins zu eins nachmachen. Es geht darum, den richtigen Weg für sich selbst zu finden.»
Zu sich selbst finden
Cornelia Birta sieht in der Selbstbehauptung des Trends, die Niedergeschlagenheit überwunden zu haben, einen «inneren Überlebensinstinkt». «Es geht darum, sich selbst Kontrolle zurückzugeben, Stärke zu beweisen – manchmal auch der Welt, manchmal nur sich selbst», betont sie. Zentral sei dabei: sich selbst in den eigenen Gefühlen spüren.
Expertin Heidi Hauer empfiehlt als Reaktion auf den Trend: «Wenn die Umarmung von aussen fehlt, kann es kraftvoll sein, sich innerlich in den Arm zu nehmen – mit Achtsamkeit, Selbstfürsorge und einem Moment der Freundlichkeit sich selbst gegenüber.»