«Ich finde es eine sehr lässige Sorte, weil sie unkompliziert ist»
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Winzerin über Müller-Thurgau:«Ich finde es eine sehr lässige Sorte, weil sie unkompliziert ist»

Spannend wie ein Krimi
Rebenschmuggel und genetisches Profiling

Unkompliziert, frisch, mit leichter Restsüsse. So lieben wir Riesling x Sylvaner aka Müller-Thurgau. 2025 jährt sich der Geburtstag ihres Züchters zum 175ten Mal. Hinter der beliebten Neuzüchtung stecken wilde Geschichten über Rebenschmuggel und genetisches Profiling.
Publiziert: 01.06.2025 um 13:58 Uhr
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Aktualisiert: 01.06.2025 um 13:59 Uhr
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Stock 58 war der vielversprechendste Sprössling der Kreuzung von Dr. Hermann Müller. Aus der «Urrebe» wird heute wieder Pflanzmaterial vermehrt.
Foto: Ursula Geiger

Darum gehts

  • Der Schweizer Hermann Müller aus Tägerwilen TG schuf die erfolgreichste Rebsortenkreuzung weltweit
  • Die Neuzüchtung Riesling x Sylvaner wurde in Deutschland als Müller-Thurgau bekannt
  • Erst genetisches Profiling konnte die Vaterschaftsfrage in den 1990ern klären
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ursula GeigerRedaktorin Wein

Das Genie, das aus zwei Rebsorten eine der erfolgreichsten Neuzüchtungen weltweit schuf, stammt aus Tägerwilen im Kanton Thurgau.

So ganz «Made in Switzerland» ist die Neuzüchtung Riesling x Sylvaner nicht, denn gekreuzt hat Dr. Hermann Müller die beiden Sorten 1882 in der Forschungsanstalt Geisenheim DE.

Frühe Reife und Ertrag

Mit seiner Züchtung wollte Müller die geschmacklichen Eigenschaften von Riesling mit der früheren Reifezeit und der Ertragssicherheit der Sorte Sylvaner kombinieren.

Weil er den Aufbau der eidgenössischen Forschungsanstalt in Wädenswil am Zürichsee vorantreiben sollte, kam der Agronom 1891 zurück in die Schweiz, bevor die Jahrzehnte dauernde Züchtungsarbeit abgeschlossen war.

Lieblingskandidat Nr. 58

Im Gepäck: 150 durchnummerierte Pflänzchen (Sämlinge) seiner Neuzüchtung, die die Vorprüfung bestanden hatten. In Wädenswil wurde die Forschungsarbeit fortgesetzt. Im Laufe der Jahre mauserte sich Sämling Nr. 58 zum Lieblingskandidaten. 1897 stand fest, dass die Nr. 58 zum «Riesling x Sylvaner 1» werden sollte.

Die Rebe wurde vermehrt und auf grösseren Flächen ausgepflanzt. 1913 gelangten 100 Rebstöcke vom Zürichsee nach Deutschland. Dort wurde Sorte nach ihrem Züchter Müller-Thurgau-Rebe genannt. So heisst sie seither ausserhalb der Schweiz: Müller-Thurgau.

Revolution lag in der Luft

Schon damals durfte in den Rebbergen nicht ohne Bewilligung bestockt werden. Am deutschen Bodensee-Ufer klemmte die Bürokratie das Pflanzen der neuen Sorte ab. Dabei hätte frischer Wind in den Rebbergen geholfen, denn die Situation des Weinbaus war in den 1920ern desolat.

Die Trauben reiften nicht aus und der säurebetonte Weiss aus der Sorte Elbling schmeckte nicht wirklich. Die deutschen Bodensee-Winzer, die bereits Riesling x Sylvaner auf Schloss Arenenberg in Ermatingen TG verkosten konnten, sahen in der früh reifenden, ertragssicheren Neuzüchtung ihre Rettung. Revolution lag in der Luft.

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Schmugglertour

In einer Nacht- und Nebel-Aktion ruderten Winzer von Hagnau DE aus über den See nach Ermatingen. Dort holten sie 400 für sie produzierte Rebstecklinge ab.

Die Schmuggeltour überstanden Winzer und Reben unbeschadet. Aber die Initiative wurde nicht gerngesehen. Der Markgraf von Baden untersagte weiterhin den Anbau der Sorte auf seinen Flächen.

Nur kleine Mengen durften die Winzer in Eigenregie produzieren. Obwohl der Wein äusserst beliebt war, sollte es noch zwei Jahrzehnte dauern, bis die Sorte offiziell in den markgräflichen Weinbergen angebaut werden durfte.

Vaterschaftstest

Dr. Hermann Müller war sich sicher, dass die Mutter seiner Neuzüchtung die Sorte Riesling war. Beim Vater verhielt es sich anders. Rebenzüchtung ist eine heikle Sache. Schnell machen sich Pollen von anderen Sorten breit.

Aus jedem Kern einer Traubenbeere wird ein Pflänzchen mit individuellen Eigenschaften. Nur die vielversprechendsten werden nummeriert und als Stecklinge vegetativ weitervermehrt.

Erst in den 1990ern konnte die Vaterschaft der Neuzüchtung mittels Genetik zweifelsfrei festgestellt werden. Erst vermutete man Chasselas als Vater (die Schweizer Winzer jubelten), doch der wahre männliche Kreuzungspartner ist die Sorte Madeleine Royale, die anders als Sylvaner, keine bedeutende Keltertraube ist.


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