Im August 2023 verschwand die damals 26-jährige Journalistin Victoria Roshchyna. Im April 2024 bestätigte Russland die Inhaftierung der Frau, und erst vor kurzem kam sie wieder in ihrer Heimat an – tot. Eine Untersuchung zeigte jetzt, dass sie gefoltert wurde und dass ihrer Leiche Organe fehlten.
Die Journalistin wurde monatelang im Gefängnis in Taganrog festgehalten und gequält. Einer Untersuchung 13 verschiedener Medien, darunter «The Guardian», «The Washington Post» und «Le Monde» zufolge wurden in Taganrog und 27 weiteren Einrichtungen systematisch Folter und Misshandlungen an ukrainischen Zivilisten und Soldaten verübt. Die Recherchen basieren auf Interviews mit ehemaligen Häftlingen und Angehörigen.
Es gibt ein «Willkommensritual»
Wie die Uno-Sonderberichterstatterin für Folter, Alice Edwards sagt: «Für mich ist klar, dass Folter Teil der russischen Kriegspolitik und des russischen Kriegsapparats ist.» Ehemalige Insassen berichteten von grausamen Foltermethoden wie Elektroschocks, Schlägen und Waterboarding.
Die Gewalt beginnt bereits bei der Ankunft der Gefangenen mit der sogenannten «Willkommensprozedur». «Das ist ein heiliges Ritual für sie. Mit verbundenen Augen, gefesselten Händen und gesenktem Kopf wird dir befohlen zu laufen, und jeder, der dabei steht, hält es für nötig, dich mit etwas zu schlagen», berichtete der ehemalige Häftling Wolodimir Labuzow.
In überfüllten Zellen wurden die Gefangenen systematisch unterernährt. Die eine Mahlzeit, die die Inhaftierten täglich erhalten, habe teils aus knapp vier Gabeln Teigwaren bestanden. Manchmal hätten sie auch Fisch erhalten, der aber mit Gräten und Eingeweiden gemischt war. Bei den Zellendurchsuchungen, die zweimal täglich stattfanden, und Verhören wurde man geschlagen.
Der elektrische Stuhl
Die ehemalige Soldatin Yelyzaveta Shylyk beschreibt einen Raum mit einem elektrischen Stuhl: «Ich wurde zweimal auf den Stuhl gesetzt, und Klammern wurden zwischen meinen Zehen befestigt. Dann schalteten sie den Strom ein.» Shylyk beschrieb weiter, wie sie mit drohenden Vergewaltigungen eingeschüchtert und mit Hunden angegriffen wurde.
Die Elektroschocks seien mit einem batteriebetriebenen Feldtelefon aus der Sowjetzeit verabreicht worden.
Vom FSB beaufsichtigt
Von denselben und einer weiteren perversen Foltermethode berichte Oleksander Maksymchuk in einer Aussage, die «The Guardian» vorliegt. Wärter sollen die Gefangenen von Kopf bis Fuss mit Klebeband eingewickelt und sich auf sie gesetzt haben. Sie wurden als «menschliches Möbelstück» benutzt, heisst es.
Laut Zeugenaussagen wurden die Folterungen vom russischen Geheimdienst FSB beaufsichtigt. Ein ehemaliger hochrangiger Beamter des russischen Strafvollzugs FSIN berichtete von Anweisungen der Führung im Frühjahr 2022, bei ukrainischen Gefangenen hart durchzugreifen. Es habe zwar nicht direkt geheissen «Geht und schlagt sie!»: «Aber es war verständlich. Vom General und seinem Stellvertreter über den Kommandant der Spezialeinheit bis hin zu den Soldaten wurde kommuniziert, dass wir ‹hart arbeiten und alles Mögliche tun› sollten.»
Höllenloch Taganrog als Drohung
Nicht nur Soldatinnen und ukrainische Kämpfer werden nach Taganrog gebracht, sondern auch Zivilisten. Vor 2022 waren in der Einrichtung etwa 400 Häftlinge untergebracht, doch Berichte legen nahe, dass möglicherweise deutlich mehr ukrainische Gefangene dort inhaftiert waren.
Die meisten Zivilisten werden ohne Anklage festgehalten, oft ohne Kontakt zur Aussenwelt. Anwälte haben kaum Zugang zu den Gefangenen. «Es gibt Menschen, die seit Jahren inhaftiert sind, und wir wissen nicht einmal, wo sie sind», sagte ein russischer Anwalt laut der Medienrecherche.
Obwohl es Berichte über verbesserte Bedingungen gibt, wird Taganrog weiterhin als Drohung eingesetzt. «Wenn sie sagen: ‹Wir schicken Sie nach Taganrog›, unterschreiben viele Leute alles, was man ihnen sagt», so eine russische Rechtsquelle zu den Journalisten. Die systematische Folter stellt einen schweren Verstoss gegen internationales Recht dar.