Eine medizinische Eintrittsuntersuchung. Fragwürdige Führungsgrundsätze. Produktionsanlagen, die teilweise 50-jährig sind. Und vor allem: viele Betriebsunfälle. Die Arbeitsbedingungen bei Ems-Chemie sind nicht jedermanns Sache.
Auf Kununu, Europas bekanntester Plattform für Arbeitgeber-Bewertungen, kam der Konzern von Magdalena Martullo-Blocher (54) denn auch lange schlecht weg. In den vergangenen Jahren haben auf Kununu 112 aktive und ehemalige Ems-Chemie-Mitarbeitende eine Bewertung abgegeben. Im Schnitt erhielt das Unternehmen dabei 2,9 von 5 möglichen Punkten. Lediglich 42 Prozent der Mitarbeitenden empfahlen Ems-Chemie als Arbeitgeberin weiter.
Beide Werte sind im Vergleich zu anderen Chemie- und Pharmakonzernen wie Hamilton Bonaduz, Lonza, Novartis oder Roche schwach. Zuletzt hat Ems aber Boden gutgemacht. Betrachtet man ausschliesslich die Bewertungen des letzten halben Jahres, wird das Unternehmen plötzlich mit 4 von 5 Punkten bewertet. Die Weiterempfehlungsquote beträgt gar sagenhafte 100 Prozent. Wie kommt dieser Beliebtheitsboom?
Unangenehmes verschwindet
Recherchen von SonntagsBlick zeigen: In den vergangenen Monaten wurden auf Kununu mehrere negative Ems-Bewertungen gelöscht. Gleichzeitig erschienen auffällig viele positive Rückmeldungen. Ein Ems-Kadermitarbeiter, der anonym bleiben will, sagt dazu: «Es ist so, dass die Kadermitarbeitenden von der Personalabteilung dazu aufgefordert werden, positive Bewertungen abzugeben.» Ems-Chemie widerspricht: «Das ist uns nicht bekannt.»
Das Verschwinden kritischer Bemerkungen ist derweil eindeutig belegt. Im Oktober 2023 war auf Kununu zum Beispiel eine Rückmeldung mit folgendem Titel erschienen: «Hier folgt die meiner Meinung nach ehrlichste und zutreffendste Bewertung der Ems-Chemie als Arbeitgeber.» Der Verfasser beurteilte seinen Arbeitgeber sehr detailliert, durchaus differenziert und gab ihm die Gesamtnote 2,8. Nichtsdestotrotz wurde die Bewertung gelöscht.
Ende Juni 2023 ereilte den Mitarbeiter-beitrag «Inkompetenz in Reinform» das gleiche Schicksal. Die Bewertung mit der Gesamtnote 1,4 war wenige Tage nach Erscheinen wieder verschwunden.
Wie dies abgelaufen ist, zeigt ein internes E-Mail, das SonntagsBlick vorliegt. Demnach hat der Ems-Personalchef die Löschung höchstpersönlich beantragt. Am 27. Juni 2023 schrieb er: «Diese Meldung wurde zum Löschen beantragt, da einzelne Aussagen (z. B. inkompetente Mitarbeitende, keine Gleichberechtigung etc.) unwahre Tatsachenbehauptungen sind, und diese verletzen die Kununu.com-Richtlinie.»
Drohen mit Anwälten
Zuerst hat Kununu die Löschung allerdings abgewiesen, wie dem internen Mail-Verlauf weiter zu entnehmen ist. Begründung: «Weil die gemeldeten Textpassagen eine Offlinestellung der Bewertung offenbar nicht rechtfertigen.» Doch die Ems-Verantwortlichen liessen nicht locker. Für den 30. Juni 2023 wurde protokolliert: «Nachhaken und nochmalige Aufforderung zur Löschung der Bewertung inkl. Androhungen von rechtlichen Schritten.» Am 3. Juli 2023 konnte der Personalchef vermelden: «Vollzugsmeldung nach Löschung.»
Die geleakten E-Mails zeigen das unzimperliche Vorgehen der Ems-Verantwortlichen. Mindestens so brisant sind sie jedoch für Kununu. Wieso änderte das Portal nach Androhung rechtlicher Schritte seine Meinung bezüglich Löschung?
Auf Anfrage von SonntagsBlick schreibt Kununu, dass man durch die Rechtslage gezwungen sei, «auch bei kleinen Hinweisen auf Unwahrheiten» die gesamte Bewertung zunächst einmal offline zu nehmen und die Beschwerde zu prüfen. «Die Beanstandung vom 27. Juni wurde nach dieser Prüfung von unserem Team abgelehnt, weil uns nicht konkret geschildert wurde, warum eine beanstandete Passage gegen unsere Regeln verstösst», sagt ein Sprecher.
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Am 30. Juni sei diese Konkretisierung nachgeliefert worden, woraufhin die Bewertung offline genommen wurde. Der Sprecher betont: «Die anwaltliche Drohung war hierbei unerheblich – die folgenden Schritte wären auch ohne diese erfolgt.» Vielmehr sei die Löschung aufgrund einer «unwahren Tatsachenbehauptung hinsichtlich der genannten Anzahl der Urlaubstage» zustande gekommen.
Kununu sei mit der bewertenden Person in Kontakt getreten, mit der Bitte, die geschilderte Aussage nachzuweisen. Leider habe man jedoch keine Rückmeldung erhalten – daher habe man die Bewertung nicht wieder online stellen können.
Das Vorgehen von Kununu ist nachvollziehbar – die Reaktion des Verfassers aber ebenso. Wie sollen Mitarbeitende detailliert und konkret nachweisen, dass ihre Kritik gerechtfertigt ist, ohne Gefahr zu laufen, personenbezogene Daten und ihre Identität preiszugeben? Ein Balanceakt, der Zeit und Nerven kosten würde.
EMS fürchtet sich vor schlechten Bewertungen
Für Unternehmen ist es deshalb möglich, ihre Bewertung auf Kununu allein durch systematische «Hinweise» zu beeinflussen. Ems-Chemie scheint dies institutionalisiert zu haben: Gemäss einem internen Dokument, das SonntagsBlick vorliegt, hat der Personalchef den Auftrag, die Konzernleitung über jede Kununu-Bewertung «unter 3,0» mittels einer «Meldung besonderes Ereignis» zu informieren.
Ein Ems-Sprecher begründet dies so: «Kritische Hinweise nehmen wir ernst. In der Öffentlichkeit publizierte unwahre Tatsachenbehauptungen stellen wir selbstverständlich bei allen Medien richtig.» Wie viele negative Kununu-Bewertungen 2023 auf Intervention von Ems-Chemie gelöscht wurden, behält das Unternehmen für sich.