Fragwürdige Einstellungs-Praxis
Arbeitsvertrag gilt bei Ems erst nach Arztbesuch

Für Firmen sind Personalausfälle teuer. Ems minimiert dieses Risiko und schreibt allen neuen Mitarbeitenden eine medizinische Untersuchung vor.
Publiziert: 05.11.2023 um 01:13 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2023 um 14:06 Uhr
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Thomas Geiser, emeritierter Arbeitsrechtsprofessor Uni St. Gallen.
Foto: Keystone
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Die Geschäftsleitung der Ems-Chemie tut alles, um negative Einflüsse auf die Rendite zu verhindern. «Das Ergebnis steht im Mittelpunkt. Das Ergebnis ist das Blut des Unternehmens», lautet der wichtigste Führungsgrundsatz des Konzerns. Überhaupt nicht gern gesehen sind deshalb Angestellte, die aus gesundheitlichen Gründen ausfallen.

Ems hat ein Anstellungsprozedere etabliert, das dieses Risiko minimiert: Alle neuen Mitarbeitenden – ob Kader, Bürogummi oder Fabrikarbeiter – müssen vor Stellenantritt beim Vertrauensarzt vorsprechen. Ohne positives Ergebnis dieser Untersuchung kommt die Anstellung nicht zustande. Wörtlich heisst es in den Arbeitsverträgen: «Dieser Vertrag tritt vorbehältlich einer positiven medizinischen Eintrittsuntersuchung in Kraft.»

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Das kann insbesondere für Schwangere oder Menschen mit chronischer Krankheit zum Problem werden. Thomas Geiser, emeritierter Arbeitsrechtsprofessor der Universität St.Gallen (HSG), sieht das Vorgehen deshalb kritisch: «Gemäss Obligationenrecht dürfen Arbeitgeber nur Gesundheitsdaten erheben, sofern für eine Stelle aus Sicherheitsgründen gewisse gesundheitliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen.» Bei einem Bäcker zum Beispiel dürfe abgeklärt werden, ob er eine Mehlallergie habe. Bei Lokführern sei eine medizinische Tauglichkeitsuntersuchung ebenfalls legitim, um die Sicherheit der Fahrgäste zu gewährleisten.

Dass ein Konzern aber über sämtliche Berufsgruppen hinweg medizinische Eintrittsuntersuchungen verlangt, findet Geiser fragwürdig: «Wenn keine der genannten Voraussetzungen gegeben sind und die Arbeitgeberin nur das Risiko einschätzen will, ob die Person in nächster Zeit aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig werden könnte, sind solche Untersuchungen nicht zulässig.»

Wegen Pensionskasse?

Ems-Chemie begründet das Vorgehen mit der Pensionskasse: «Die vorgängige Gesundheitsprüfung findet im Rahmen der überobligatorischen Versicherungsleistungen der EMS-Pensionskasse statt.» Da bei Ems alle Mitarbeitenden überobligatorisch versichert seien, gebe es auch bei sämtlichen Arbeitnehmenden eine medizinische Eintrittsuntersuchung.

Zudem hält das Unternehmen fest: «Für Schichtarbeit ist die medizinische Eintrittsuntersuchung gesetzlich vorgeschrieben. Dabei geht es insbesondere um die Tauglichkeit für Schichtarbeit im Umgang mit Chemikalien.»

Bei Ems leisten jedoch längst nicht alle Mitarbeitenden Schichtarbeit. Auch das Pensionskassen-Argument überzeugt Geiser nur bedingt: «Im überobligatorischen Bereich sind Gesundheitsvorbehalte auf fünf Jahre beschränkt», sagt er. Bei Übertritten aus einer früheren Vorsorgeeinrichtung zur Vorsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers seien neue gesundheitliche Vorbehalte zudem grundsätzlich unzulässig.

Des Weiteren betont Geiser, dass allfällige gesundheitliche Vorbehalte die Vorsorge betreffen würden und nicht das Arbeitsverhältnis. «Die entsprechenden gesundheitlichen Untersuchungen sind deshalb von der Pensionskasse zu veranlassen, und auch nur sie darf das Ergebnis erfahren.» Ob ein gesundheitlicher Vorbehalt bestehe oder nicht, gehe die Arbeitgeberin nichts an. Die Informationen seien strikt zu trennen.

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