Christoph Blocher prophezeit einen bürgerlichen Schulterschluss in der Asylpolitik
«Ich glaube, dass FDP und Mitte jetzt endlich erwachen»

Der SVP-Patron sieht den Wahlerfolg seiner Partei als «Fingerzeig» an die Konkurrenz, die Zuwanderung einzudämmen. Im SonntagsBlick-Interview spricht er über seinen Einfluss bei der Themensetzung und Rassismus-Vorwürfe aus Deutschland.
Publiziert: 29.10.2023 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 30.10.2023 um 08:36 Uhr
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Debatte zu dritt: Christoph Blocher (M.) mit den SonntagsBlick-Redaktoren Reza Rafi (l.) und Thomas Schlittler im Giacometti-Saal seines Privatmuseums in Herrliberg ZH.
Foto: STEFAN BOHRER

Schon unzählige Male wurde er politisch totgesagt. Doch allen Abgesängen zum Trotz ist Christoph Blocher immer noch da – vielleicht sogar mehr denn je, seit er kein verpflichtendes Amt mehr in der Partei ausübt. Am Sonntag erzielte die SVP bei den Eidgenössischen Wahlen mit 27,9 Prozent das drittbeste Resultat ihrer Geschichte: mit einem Wahlkampf, der voll auf das Thema Migration setzte.

Das letzte Wort in der Volkspartei hat nach wie vor Financier Blocher. Der 83-Jährige empfing SonntagsBlick zu Hause in Herrliberg am Zürichsee. Das Gespräch fand in seinen neuen Kunsträumen statt, wo Gemälde der Maler Albert Anker, Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti und Giovanni Segantini hängen.

SonntagsBlick: Herr Blocher, Ihre Partei hat letzten Sonntag einen fulminanten Wahlsieg eingefahren. Jetzt könnten Sie sich endgültig zurückziehen.
Christoph Blocher:
Fulminant war das nicht – aber ein kleiner Lichtblick. Denn was heisst das? Bleiben wir eine Schweiz, die selber bestimmen kann, mit schweizerischer Neutralität, mit Volksrechten und endlich einer Beschränkung der Zuwanderung? Das Wahlergebnis deutet auf eine Korrektur von dreissig Jahren Träumerei, Hochnäsigkeit, politischer Unbescheidenheit in ganz Europa hin, besonders aber auch in der Schweiz.

Wieso Korrektur? Ihr Wähleranteil ist heute mehr als doppelt so hoch wie vor dreissig Jahren.
Ich habe die Parteiführung im Kanton Zürich 1977 übernommen. Damals stand die SVP vor dem Untergang. Die Linken erstarkten, die SVP hatte gesamtschweizerisch weniger als zehn Prozent der Stimmen. Zusammen mit Freisinnigen und konservativen CVPlern setzten wir uns damals für eine bürgerliche Schweiz ein. In den Siebzigerjahren kamen alle drei Parteien auf mich zu, ob ich ihnen beitreten würde. Ich hätte mir die FDP vorstellen können, entschied mich aber für die SVP, weil deren Mitglieder in meinem damaligen Wohnort Meilen gmögiger waren. Aber dann kam 1989, der Fall der Berliner Mauer und der Kollaps der Sowjetunion.

Was wollen Sie damit sagen?
Durch dieses Ereignis haben Politiker in ganz Europa den Kopf verloren, insbesondere in der Schweiz. Adolf Ogi als damaliger Verteidigungsminister erzählte mir, Militärstrategen der ETH hätten ihm weisgemacht, dass die Welt nun ganz anders werde. Es werde keine Grenzen mehr geben, keine Kriege mehr, und wenn, dann mit Vorwarnzeiten von zwanzig Jahren!

Ein Politologe schrieb vom «Ende der Geschichte».
Genau. Solchen Fantastereien hat man sich hingegeben. Dem passte sich auch die Politik an. «Partnerschaft für den Frieden», hiess es zum Beispiel. Die Grenzen waren nicht mehr so wichtig, und man wollte unbedingt in die EU – die Schweiz preisgeben.

Dann kam das Nein zum EWR-Beitritt 1992. Für Sie war es ein Triumph. Dieses Mal hat Ihre Partei auf das Thema Migration gesetzt. Kam das von Ihnen?
Nein, gepredigt habe ich lediglich: konzentriert euch. Es gibt im Wahlkampf ein Thema, maximal drei.

Trotz Ihres Erfolgs haben Sie keine absolute Mehrheit, die SVP ist auf Bündnisse angewiesen. Wie wollen Sie Ihr Versprechen einlösen, die Zuwanderung zu verringern?
Sie haben recht. Aber die Wahl war ein Fingerzeig für die anderen bürgerlichen Politiker: Das Hauptproblem der Stunde ist die masslose Zuwanderung. Die Bevölkerung sieht das. Ausser Luxemburg gibt es kein anderes Land in Europa, das eine so hohe Ausländer-Quote hat wie die Schweiz. Deutschland – neunmal grösser als die Schweiz – wuchs in den letzten 20 Jahren um 1,1 Millionen, die kleine Schweiz aber um 1,5 Millionen! Die Behörden haben die Bevölkerung jahrelang mit zu tiefen Zuwanderungsprognosen in die Irre geführt.

Nochmals: Für Mehrheiten brauchen Sie die Freisinnigen und die Mitte.
Ich glaube, dass FDP und Mitte jetzt endlich erwachen. Gemäss deren Erklärungen vom Wahlsonntag sollten wir insbesondere im Asylbereich etwas zustande bringen.

Im Wahlkampf hat die SVP Stimmung mit kriminellen Ausländern gemacht. Da wurde teilweise ein prekäres Bild gezeichnet, bei dessen Anblick man sich fragt: Von welchem Land reden wir jetzt hier?
Gewalt und Kriminalität haben beängstigend zugenommen. Ausländer werden deutlich öfter straffällig als Schweizer. Für 53 Prozent der Kriminalfälle sind Ausländer verantwortlich – bei 26 Prozent Ausländeranteil. Das dürfen wir nicht tolerieren. Wer kriminell wird, hat hier nichts verloren. Das hat das Schweizervolk längst beschlossen.

2012 wurden in der Schweiz 612'000 Straftaten registriert. 2022 waren es 459'000 – eine deutliche Abnahme, trotz Zuwanderung.
Tötungen, Vergewaltigungen, Übergriffe auf den Strassen sind alltäglich. Ich rede nicht von Bagatellfällen. Die Menschen sehen doch, was hier passiert. Sie sind nicht blind. Es ist vorwiegend Ausländerkriminalität. Wir müssen aufpassen, dass wir in ein paar Jahren keine Ghettos haben wie in Deutschland und Frankreich. Dort gibt es Stadtteile, in die sich nicht einmal die Polizei hineinwagt.

Das ist doch Angstmacherei. In der Schweiz sieht es anders aus: Hier können Sie, der umstrittenste Politiker der vergangenen 30 Jahre, mit der S-Bahn nach Zürich in die Oper fahren.
Bedauern Sie das? Aber in der Nacht verkehre ich nicht in gefährlichen Quartieren. Seit meiner Zeit im Bundesrat werden Asylbewerber im Losverfahren in die Kantone verteilt. Ich wollte verhindern, dass alle aus dem gleichen Gebiet zusammenziehen. Das erzeugt Ghettos, von anderen Missständen nicht zu sprechen. Eine Enkelin ist gerade in die erste Klasse gekommen – und da gibt es neben ihr nur ein Kind, das Mundart spricht. Wer integriert hier wen?

Im Ausland stiess Ihr Wahlsieg auf Kritik. Laut deutschen Medien hat die Schweiz «rechtsextrem» gewählt und ihr «hässliches Gesicht» gezeigt.
Ich wuchs während des Zweiten Weltkriegs an der deutschen Grenze auf. Wir schauten über den Rhein, und solche Töne wie heute gegen die Schweiz hörte ich den ganzen Krieg lang. Mir läuft es bei solchen deutschen Tönen kalt den Rücken herunter.

Trifft Sie das?
Ja, besonders, wenn es von dort kommt. Kaum war der Krieg fertig, sagte unser Vater: Jetzt ist fertig mit dem Deutschenhass! Die haben den Krieg verloren. Jetzt ist Hilfe gefragt. In den ersten Wochen organisierte er, dass man Kinder aus Donaueschingen mit Cars zu uns in die Gemeinde bringt, wo sie etwas Anständiges zu essen bekamen. Mit Meringue und allem. Das ist die Stimmung, in der ich aufgewachsen bin. Und jetzt muss uns die deutsche Presse mitteilen, wie hässlich wir Schweizer seien. So etwas verletzt mich.

Sie fordern eine härtere Asylpolitik. Damit allein werden Sie die Zehn-Millionen-Schweiz aber nicht verhindern können. Tiefe Unternehmenssteuern sorgen für immer noch mehr Firmen und Menschen im Land. SP-Politikerin Jacqueline Badran etwa sagt: Hört auf, Firmen wie Google in die Schweiz zu holen!
Das ist eine Idee, aber eine blöde. Wer hier arbeitet, ist nicht das Problem. Tiefe Steuern für Unternehmen schaffen Wohlstandseffekte für alle. Aber deswegen unbegrenzt Leute ins Land zu lassen, ist kurzsichtig. Wir müssen selber bestimmen können, wer kommen kann. Von den ordentlichen Zugewanderten ist nur jeder zweite erwerbstätig. Wir müssen verlangen, dass nur kommen kann, wer entweder eine Arbeitsstelle hat oder einen Vermögensausweis.

Auch Ihr Familienunternehmen Ems-Chemie beschäftigt zahlreiche Ausländer. Wollen Sie, dass diese ihre Familien nicht mehr mitbringen dürfen?
Anfänglich gibt es Restriktionen. Gegen die ordentlichen Mitarbeiter und ihre Familien hat niemand etwas. Unsere grosszügigen Sozialleistungen fördern den breiten Familiennachzug von Zuwanderern ohne Einkommen. Fast die Hälfte der Bezüger von Arbeitslosengeldern gehen an Ausländer, obwohl sie nur ein Viertel der Bevölkerung stellen. Zudem beanspruchen diese Leute unsere Infrastrukturen, das Gesundheits- und das Schulwesen. All dies braucht wieder Fachkräfte und Geld.

Für diese Spirale ist die SVP mitverantwortlich. Ihr Bundesrat Guy Parmelin wirbt als Wirtschaftsminister aktiv für Neuansiedlungen in der Schweiz.
Ich war immer gegen staatliche Standortförderung. In einigen Kantonen erhalten Firmen, die hierherziehen, gar Steuererleichterungen. Das ist Blödsinn, die Schweiz hat das nicht nötig. Herr Parmelin kann dafür aber nicht verantwortlich gemacht werden. Er kann nichts dafür, dass die staatliche Standortförderung in seinem Departement angesiedelt ist. Zudem: Gegen gute Firmen hat niemand etwas. Firmen wie Google sind sicher nicht die Treiber der unerwünschten Zuwanderung.

Wie stark beeinflussen Sie mit Ihren Ideen und Ansichten die SVP? Wie viel haben Sie noch in der Partei zu sagen?
Das müssen Sie andere fragen. Es kommt aber immer mal wieder vor, dass sich Parteimitglieder bei mir melden, weil sie ein Problem haben und von meiner Erfahrung profitieren wollen.

Jetzt stapeln Sie tief.
Wenn ich objektiv darauf blicke: Unsere Partei stand in den Siebzigerjahren vor dem Untergang, dann holte man einen, der vorangeht. Das kann kein harmonischer Politiker sein, sondern einer, der zupackt. Das war ein Kampf, auch innerparteilich. Mein Vorteil war und ist: Als Industrieller habe ich eine beneidenswerte und für die Gegner eine bedrohliche Unabhängigkeit. Und diese Unabhängigkeit ist immer noch da – auch die Gegner hören, was ich sage.

Wie intensiv ist Ihr Austausch mit Parteipräsident Marco Chiesa?
Wir telefonieren von Zeit zu Zeit und sehen uns auch mal an Parteiveranstaltungen. Ich gehe allerdings nur noch an ausgewählte Anlässe. Marco Chiesa macht eine hervorragende Arbeit und hat massgeblich zum Wahlerfolg beigetragen. Von den Medien wurde er stets kleingeschrieben. In Wahrheit hat er aber von allen Parteipräsidenten mit Abstand den besten Leistungsausweis. Ich hoffe, dass er weitermacht.

Und mit Ueli Maurer? Er war im Wahlkampf extrem aktiv und fast jeden Tag an einem SVP-Anlass anzutreffen.
Er hat seine Kräfte im Wahlkampf fast ein bisschen überstrapaziert. Zudem hat er sich auch noch beim Velofahren die Schulter gebrochen. Er muss nicht jede Anfrage annehmen. Für Sektionen ist es oft der einfachste Weg, den Saal mit dem alt Bundesrat zu füllen. Dabei sollten sie besser selbst Gas geben

Gibt es abgesehen von der Zuwanderung eigentlich sonst noch einen Bereich, in dem Sie Handlungsbedarf sehen?
Wir brauchen dringend eine Parlamentsreform! Die Tatsache, dass sich in Bern fast nur noch Berufspolitiker tummeln, ist verheerend für unser Land. Die Entlöhnung der National- und Ständeräte sollte deshalb massiv gekürzt werden und nicht mehr als ein Drittel eines Schweizer Durchschnittseinkommens betragen. Natürlich muss das Parlament gestrafft werden, damit man mit einem Drittel der normalen Arbeitszeit auskommt. Dann kann und muss jeder noch beruflich tätig sein.

Auch bei der SVP sind viele Parlamentarier faktisch Berufspolitiker. Albert Rösti etwa wurde vor seiner Wahl in den Bundesrat als Pöstchenjäger kritisiert.
Ich nehme SVP-Politiker nicht aus. Eine solche Reform wäre deshalb auch bei unseren eigenen Parlamentariern wenig populär und müsste deshalb von jemandem ergriffen werden, der völlig unabhängig ist und keine Angst hat, gegen den Strom zu schwimmen. Die Junge SVP war deswegen einmal bei mir. Sie hat sich letztlich aber nicht getraut, wohl weil sie die Angriffe fürchtet. Ich habe das Ganze vor dreissig Jahren schon einmal mit Erfolg gemacht. Heute mit meinen 83 Jahren kann ich solche Projekte nicht mehr stemmen.

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