Anziehen am Morgen wird zur Tortur. Der Einstieg in die Dusche oder Badewanne ist zu gefährlich. Und sich selbst eine Mahlzeit zu kochen, überfordert. Viele Menschen in der Schweiz sind tagtäglich auf Unterstützung angewiesen. Zudem nimmt die Zahl der betagten Menschen kontinuierlich zu. Viele von ihnen möchten so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben.
Das können sie oft nur dank der Hunderttausenden Angehörigen, die ihre Nächsten pflegen. Die Pflegenden setzen sich dabei grossen finanziellen Risiken aus, wenn sie das Pensum reduzieren oder gar ganz aufhören, einer Lohnarbeit nachzugehen. Das Haushaltseinkommen sinkt, die Vorsorge leidet – es kann gar die Altersarmut drohen.
Doch in vielen Fällen hätten sie Anspruch auf eine Entschädigung. Doch wann ist dies der Fall? Und wie hoch fällt die Bezahlung aus? Blick liefert die Übersicht.
Wofür kann ich entschädigt werden?
Angehörige können für die Unterstützung bei der Grundpflege entschädigt werden. Darunter fallen Hilfe beim Essen und Trinken, Toilettengang, Körperpflege, Hilfe beim An- und Ausziehen und bei der Hausarbeit sowie für allgemeine Betreuung. Auch Bewegungsübungen und Mobilisieren sowie Betten und Lagern gehören dazu. Betreuungsaufgaben wie gemeinsame Spaziergänge oder Büroarbeiten wie das Bezahlen von Rechnungen werden nicht vergütet.
Wer kommt für die Entschädigung infrage?
Der Pflegende muss volljährig sein und erwerbsfähig sein. Die pflegebedürftige Person muss ein Familienmitglied sein. Zudem muss eine dauerhafte Pflegesituation vorliegen. Eine weitere Voraussetzung ist ein Kurs beim Roten Kreuz. Dieser setzt sich aus einem Theorieteil über 120 Stunden sowie einem 15-tägigen Praxiseinsatz zusammen. Kostenpunkt: 2200 Franken. Viele Spitex-Organisationen beteiligen sich jedoch daran.
Was muss ich tun, damit ich entlohnt werde?
Wer für seine Pflegedienste bezahlt werden will, muss sich von einer Spitex-Organisation oder ähnlichen Firma anstellen lassen. Diese prüft vor Ort den Pflegebedarf und rechnet die Leistungen in der Grundpflege mit der Krankenkasse ab. Für die Anbieter ist das ein einträgliches Geschäft, weshalb sie oft auch die Kosten für den Pflegehelfer-Kurs übernehmen. Grundsätzlich besteht kein Anspruch auf eine Anstellung. Die Pflegeaufgaben müssen zudem ärztlich verordnet werden. Und da die Kantone zuständig sind, sind die kantonalen Regelungen ausschlaggebend. Wer eine Ausbildung zur Pflegefachkraft absolviert hat und selbstständig erwerbend ist, muss nicht bei einer Spitex-Organisation angestellt sein.
Wie viel verdiene ich?
Die meisten Anbieter zahlen den pflegenden Angehörigen rund 35 Franken pro Stunde. Der zeitliche Pflegebedarf wird nach zwölf Stufen unterschieden. Bei leichter Pflege kann man pro Monat mit mehreren Hundert Franken rechnen. Bei intensivem Bedarf, also rund 4 Stunden pro Tag und mehr für anrechenbare Pflegeleistungen, können es auch zwischen 2500 und 3500 Franken pro Monat sein. Dabei zahlen die Firmen auch in die Sozialversicherungen ein. Ab einem Jahreslohn von 22’050 Franken wird auch über die Pensionskasse Alterskapital aufgebaut.
Gibt es noch weitere Möglichkeiten?
Pflegende Angehörige können bei ihrer AHV-Ausgleichskasse Betreuungsgutschriften beantragen. Voraussetzung ist, dass die gepflegte Person eine Hilflosenentschädigung für mittlere oder schwere Hilflosigkeit bezieht. Diese Gutschriften erhöhen die spätere Rente. Einige Kantone und Gemeinden bieten Betreuungszulagen an. Bedingungen und Höhe können variieren. Meist muss jedoch ein Minimum an Pflegestunden geleistet werden. Vergütet wird die Betreuung pro Pflegetag. Die Pflege minderjähriger Kinder kann zum Intensivpflegezuschlag berechtigen. Dafür muss die gesundheitliche Beeinträchtigung mindestens vier Stunden Mehrbedarf an Behandlungs- und Grundpflege erzeugen.
Was könnte der jüngste Bundesgerichtsentscheid ändern?
Eine Mutter forderte für die Pflege ihres behinderten Sohns 15'000 Franken von ihrer Krankenkasse. Das Bundesgericht hat ihren Anspruch auf eine Bezahlung der umfassenden Pflege ihres Sohns Mitte Juni bestätigt. Ein Leitentscheid, der die ganze Branche der Krankenversicherer in Aufruhr gebracht hat. Die Mutter erhielt bis dahin bereits Hilflosenentschädigung, Ergänzungsleistungen, IV-Rente sowie ein Pflegehonorar für die Grundpflege. Nun wird die Versicherung beurteilen müssen, wie viele Stunden sie der Mutter für die Pflege anrechnet. Da dadurch enorme Zusatzkosten auf die Krankenkassen zukommen könnten, dürfte das Parlament hier bald den Spielraum per Gesetz eingrenzen.