Diskriminierung im Alltag
Männer sind gleicher

Die Gleichstellung von Frau und Mann ist gesetzlich vorgeschrieben. Mit der Umsetzung hapert es aber. Wir zeigen, wie Frauen ihre Rechte einfordern können.
Publiziert: 14.06.2019 um 09:18 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2019 um 11:17 Uhr
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Bis Frauen nur schon ihr Stimmrecht bekamen, dauerte es bekanntlich etwas – 1971 war es dann so weit.
Foto: Keystone
Tina Berg - Beobachter.ch

Lange waren Mann und Frau rechtlich nicht gleichgestellt. Bis Frauen nur schon ihr Stimmrecht bekamen, dauerte es eine Weile – 1971 war es dann so weit. Seit 1981 ist in der Bundesverfassung die Gleichstellung verankert, seit 1995 gibt es das entsprechende Gesetz. Es verbietet insbesondere jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Erwerbsleben.

Viele zusätzliche gesetzliche Bestimmungen wurden in den letzten Jahrzehnten angepasst, um Gleichstellung in den unterschiedlichsten Bereichen voranzutreiben. Auch wenn die formelle Gleichstellung weitgehend erreicht ist, haperts vielerorts bei der Umsetzung. Gegen Ungerechtigkeiten lässt sich aber oft etwas tun. Und verschiedene Vorstösse in der Politik könnten künftig für Besserung sorgen.

Lohngleichheit

Fakten

Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit – alles andere verstösst gegen die Verfassung. In der Realität ist die Lohngleichheit aber noch nicht Tatsache. Frauen erhalten 18,3 Prozent weniger Lohn als Männer – wenn man von den Durchschnittslöhnen der Gesamtwirtschaft ausgeht. Das hat das Eidgenössische Büro für die Gleich­stellung von Frau und Mann berechnet. Im Schnitt sind das 1455 Franken weniger pro Monat.

56 Prozent dieser Differenz lassen sich mit objektiven Faktoren erklären – zum Beispiel mit der beruflichen Stellung, den Dienstjahren oder dem Ausbildungsniveau. Die restlichen 44 Prozent bleiben unerklärt. Der Verdacht besteht, dass diese Differenz reine Diskriminierung der Frau ist.

Lohnunterschiede zeigen sich bereits beim Berufseinstieg. «Die Einstiegslöhne liegen in männertypischen Berufen rund 200 Franken pro Monat höher als in frauentypischen Berufen», heisst es beim Bund. «Zudem beträgt der unerklärte Lohnunterschied bei gleichen Voraussetzungen bereits beim Einstieg rund 7 Prozent oder 280 Franken pro Monat.»

Das können Sie tun

Informieren Sie sich über das Gleichstellungsgesetz und die Löhne in Ihrem Beruf. Lohnrechner wie derjenige des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds können helfen. Sprechen Sie mit Kolleginnen und Kollegen, um zu erfahren, was andere in der Firma verdienen. Sammeln Sie Informationen, die eine potenzielle Diskriminierung belegen können, und informieren Sie sich über das betriebliche Lohnreglement und allfällige Gesamtarbeitsverträge. Lassen Sie sich von Berufsverbänden, Gewerkschaften oder Frauenorganisationen beraten.

Wenn Sie vermuten, dass Sie beim Lohn diskriminiert werden, sollten Sie den Arbeitgeber darauf hinweisen und versuchen, sich mit ihm zu einigen. Gelingt das nicht, können Sie sich an die Behörden wenden. Es gibt in jedem Kanton eine Schlichtungsbehörde nach Gleichstellungsgesetz für Diskriminierungen im Erwerbsleben.

Schlichtungsverfahren sind kostenlos und für Sie freiwillig. Wird keine Einigung erzielt, können Sie innert drei Monaten Klage einreichen. Sie können aber auch ohne Schlichtung direkt ans Gericht gelangen. Ein solcher Schritt sollte allerdings gut überdacht sein, denn oft ziehen sich Verfahren über mehrere Jahre hin und belasten das Arbeitsverhältnis. Eine Studie des Bundes präsentiert ernüchternde Zahlen: 62 Prozent aller Gerichtsverfahren nach Gleichstellungsgesetz enden zuungunsten der Klägerinnen.

Das läuft politisch

Der Bundesrat hat das Gleichstellungsgesetz in den letzten Jahren revidiert. Ende 2018 beschloss das Parlament: Arbeitgebende mit mehr als 100 Angestellten müssen künftig die Löhne innerhalb ihrer Firma alle vier Jahre analysieren. Die Belegschaft muss über die Resultate informiert werden. Sanktionen für fehlbare FirmenGleichstellungsgesetzWas die Lohnanalyse bringen wird sieht das Gesetz aber nicht vor.

Pflege- und Betreuungsarbeit

Fakten

Besonders am Anfang und am Ende ihres Lebens sind Menschen auf Betreuung angewiesen. Rund vier Fünftel der Pflege- und (Kinder-)Betreuungsarbeit, kurz Care-Arbeit genannt, sind unbezahlt, berechnet das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann. Bei der Kinderbetreuung sind es über 90 Prozent, bei der Pflege von Erwachsenen etwa ein Drittel.

Das Bundesamt für Statistik berechnet regelmässig, welchen Wert diese unbezahlte Arbeit hat. Für das Jahr 2016 kam es auf eine Summe von 408 Mil­liarden Franken, davon 81 Milliarden für Betreuung.

Wer unbezahlte Arbeit leistet, nimmt beträchtliche Nachteile in Kauf, zum Beispiel verminderte Karrierechancen, weniger Einkommen und im Alter eine tiefere Rente. Frauen leisten nach wie vor den Grossteil der Betreuungsarbeit und sind deshalb stärker von den negativen Konsequenzen betroffen. 

Das können Sie tun

Diskutieren Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin frühzeitig und spätestens, wenn ein Kind unterwegs ist, wie Sie die Betreuungs- und Haushalts­arbeit sowie die Erwerbsarbeit künftig untereinander aufteilen wollen.

Klären Sie bei der kantonalen Ausgleichskasse oder Sozialversicherungsanstalt ab, ob Sie Anspruch auf Betreuungs- oder Erziehungsgutschriften für Kinder unter 16 Jahren oder pflege­bedürftige Verwandte haben. Solche Gutschriften sind fiktive Einkommen, die dem AHV-Konto gutgeschrieben werden und mit denen sich spätere Renten aufbessern lassen.

Informieren Sie sich über Unterstützungsangebote, die Entlastung bieten (zum Beispiel die «Zeitvorsorge» des Vereins KISS). Informationen zur Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und zur Pflege von älteren Angehörigen finden Sie auf der Site Info-­Workcare.ch der Gewerkschaft Travailsuisse.

Das läuft politisch

Das Parlament berät derzeit die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vater­schaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie», die einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub fordert, und den indirekten Gegenvorschlag der ständerätlichen Kommission für sozia­le Sicherheit und Gesundheit, der zwei Wochen will.

Der Bundesrat lehnt das ab und will stattdessen mit einem neuen Gesetz eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege erreichen. Es soll Lohnfort­zahlungen bei kurzen Abwesenheiten regeln und einen bezahlten Betreuungsurlaub für Eltern von schwer kranken oder verunfallten Kindern schaffen. Zudem soll der Anspruch auf Betreuungsgutschriften in der AHV erweitert werden. Der Gesetzesentwurf geht nun in die parlamentarische Beratung. Der Arbeitgeberverband hat bereits Widerstand angekündigt.

Sozialversicherungen

Fakten

«Das Sozialversicherungsrecht ist geschlechtsneutral, in der Realität öffnet sich aber ein geschlechtsspezifischer Graben», stellt das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann fest. Die Renten der Frauen sind im Durchschnitt 37,1 Prozent tiefer als diejenigen der Männer. Bei der AHV besteht ein Renten­gefälle von 3 Prozent, dramatischer sieht die Situation bei der beruflichen Vorsorge aus: Dort klafft mit 60 Prozent eine riesige Lücke.

Grund dafür: die mangelnde Gleichstellung im Erwerbsleben. Diese wirkt sich auf die Altersvorsorge aus – Altersarmut ist weiblichVorsorgeAuch Geld ist Frauensache. Die Rentenansprüche werden durch die Anzahl Beitragsjahre und die Höhe des Einkommens bestimmt. Bei beiden Faktoren sind Frauen im Nachteil. Sie scheiden öfter wegen Betreuung von Kindern oder Angehörigen aus dem Berufsleben aus oder arbeiten in einem kleineren Pensum zu tieferem Lohn. Zum Tragen kommt das insbesondere bei der beruflichen und privaten Vorsorge. 

Das können Sie tun

Frauen sollten Lücken in der Alters­vorsorge vermeiden und unbedingt im Erwerbsleben bleiben, rät Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung des Kantons Zürich. «Ein Pensum von mindestens 70 Prozent ist wichtig, um die Altersvorsorge zu sichern.» Gibt es doch einen Ausstieg aus dem Arbeitsleben, sollte dieser nur kurze Zeit dauern.

Lassen Sie sich beraten, etwa von Frauenzentralen, und informieren Sie sich frühzeitig über Ihr Altersguthaben. Es lohnt sich, ein Budget zu machen.

Das läuft politisch

Die 2017 abgelehnten AHV-Reformen hätten Verbesserungen für die soziale Sicherheit von Frauen gebracht. Eine neue Reformvorlage steht aus, aber parlamentarische Vorstösse sind hängig. SP-Nationalrätin Valérie Piller Carrard fordert eine Verbesserung der beruflichen Vorsorge von Teilzeitarbeitenden. SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen will, dass in der Erwerbsersatzordnung für Militärdienst und in der Mutterschaftsentschädigung der Erwerbsausfall gleich hoch entschädigt wird.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Fakten

Jede fünfte Frau in der Schweiz erlebte mindestens einmal in ihrem Leben ungewollte sexuelle Handlungen, zeigt eine aktuelle Studie des Umfrageinstituts GFS im Auftrag von Amnesty International Schweiz. 12 Prozent hatten Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen. 59 Prozent wurden unerwünscht berührt, geküsst, umarmt. Ein Drittel erlebte sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Solches Verhalten ist verboten.

Das können Sie tun

Bei sexueller oder sexistischer Belästigung am Arbeitsplatz helfen kantonale Schlichtungsbehörden nach Gleichstellungsgesetz, Fachstellen sowie Plattformen wie Belaestigt.ch und Opfer­hilfe-Schweiz.ch.

Sprechen Sie mit Vorgesetzten oder Personalverantwortlichen. Sobald diese Kenntnis vom Vorfall haben, müssen sie intervenieren. Passiert dies nicht, können Sie an die Schlichtungsbehörde gelangen oder vor Gericht gegen den Arbeitgeber klagen. Ist der Vorfall strafrechtlich relevant, können Sie gegen die belästigende Person Strafanzeige einreichen.

Das läuft politisch

SP-Nationalrat Mathias Reynard will mit Vorstössen verlässliche Zahlen zu sexueller Belästigung schaffen, die Beweislast für die Opfer erleichtern und Lücken im Strafrecht schliessen.

Seit Anfang 2018 ist in der Schweiz die Istanbul-Konvention in Kraft. Das internationale Abkommen soll Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt stärker bekämpfen. Das Bundesamt für Justiz nahm zudem eine Reform des Sexualstrafrechts in Angriff. Der Bundesrat will für Gewalt- und Sexualdelikte härtere Strafen. Für Amnesty International Schweiz geht das vorgelegte Gesetz zu wenig weit: Die Organisation fordert, dass alle sexuellen Handlungen ohne Einwilligung strafbar sind.

So kommt Frau zu ihrem Recht!

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Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch

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