Nachtzüge sind in der Bevölkerung hoch im Kurs. Gleichzeitig stehen die SBB mit ihrem Angebot unter Beschuss. Nicht nur regelmässige Verspätungen und gestrichene Abteile verärgern Reisende. Die SBB-Website selbst sei veraltet und unnötig kompliziert, monieren Kritiker.
Eine Erfahrung, die auch Timo Grossenbacher (35) aus Solothurn machen muss. Seine Freundin lebt in Amsterdam, weswegen er regelmässig mit dem Nachtzug zwischen der Schweiz und den Niederlanden reist. Etwa 20 Klicks seien nötig, um eine einzige Verbindung abzufragen, kritisiert der Zugfan im Gespräch mit Blick. «Will ich das Datum ändern, muss ich den ganzen Prozess nochmals von vorne durchlaufen», sagt er. Zudem sei das momentane Design der Website untauglich für mobile Geräte wie Smartphones.
Eigene Website in Freizeit erstellt
Grossenbacher, der sich selbst als «Hobby-Hacker» bezeichnet, löst das Problem gleich selbst. Seine Methode ist einfach und effektiv zugleich. Das mühsame Durchklicken auf der SBB-Website hat er kurzerhand automatisiert. Ein Algorithmus fragt mehrmals täglich ausgewählte Verbindungen auf den Websites der SBB und Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ab und zeigt sie auf der Website an. Ein weiterer Vorteil, der dadurch entsteht: Billett-Preise der SBB- und ÖBB-Websites können einfach verglichen werden.
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«Am Anfang liefen alle Informationen in eine einfache Excel-Tabelle für meine Freundin und mich», erinnert sich Grossenbacher. Als sein Freundeskreis mit Enthusiasmus auf sein Produkt reagierte, entschloss er sich, es per Website öffentlich zugänglich zu machen.
Inzwischen hat er mehr als 300 Stunden Freizeit in night-ride.ch gesteckt – eine Website, die Nachtzug-Verbindungen aus und in die Schweiz einfach und übersichtlich anzeigt. Sind Abfahrts- und Zielort einmal angegeben, können Datum und eventuelle Verbilligungen in wenigen Klicks angepasst werden. Verfügbare Plätze und die entsprechenden Preise werden direkt angezeigt. Der Aufwand, um die passende Verbindung zu finden, verringert sich somit massiv.
Der einzige Haken: Die Tickets kann man über Grossenbachers Website nicht buchen. Wer die passende Verbindung gefunden hat, wird auf die Website der SBB oder ÖBB weitergeleitet. Dort müssen die Informationen nochmals neu eingegeben werden, bevor die Reservation vollzogen werden kann.
SBB begrüssen aktives Engagement
Auf Nachfrage bestätigen die SBB, Kenntnis von Grossenbachers Website zu haben. Was halten sie von der Eigeninitiative ihres Kunden? «Der klimafreundliche Bahnverkehr soll weiter an Attraktivität gewinnen. Dazu tragen auch Kundinnen und Kunden bei, die sich aktiv engagieren und eigene Lösungen anbieten», sagt ein Sprecher. Trotzdem: Eine Zusammenarbeit mit Grossenbacher sei momentan nicht geplant.
Zur Kritik, das momentane Buchungssystem sei noch zu kompliziert, lassen die SBB verlauten: «Die Bahnen haben sich auf die Einführung eines gemeinsamen Standards geeinigt. Dieser soll ab Ende 2025 schrittweise Verbesserungen für die Kundinnen und Kunden beim Kauf von internationalen Zugbilletten bringen.»
Man arbeite mit Hochdruck an einer Lösung für einen einfacheren Billettkauf für internationale Zugreisen. Nebst Verbindungen in die Nachbarländer und direkten Nachtzügen soll eine Reihe weiterer internationaler Verbindungen bis Ende Jahr direkt auf der SBB-Website buchbar sein, teilt der Sprecher mit. Geplant sind Ticketkäufe für die Benelux-Länder, Dänemark, Tschechien sowie der Eurostar und der TGV von Frankreich nach Barcelona.
Schweiz-Verbindungen erst der Anfang
Laut Grossenbacher steht sein Herzensprojekt, das er nicht-kommerziell betreibt, noch in den Kinderschuhen. Er hat zahlreiche Ideen, um night-ride.ch weiterzuentwickeln. Unter anderem sollen ein Stornierungsalarm für getätigte Buchungen oder die Möglichkeit, verfügbare Plätze für mehr als eine Person abzufragen, dazukommen.
Besonders ambitioniert: Bald soll auf seiner Plattform das ganze europäische Nachtzugnetz abrufbar sein. Wer also auf dem Weg nach Stockholm einige Tage in Hamburg einplanen will, könnte das vielleicht bald mithilfe von Grossenbachers Website entsprechend organisieren.
«Verglichen mit der Fliegerei ist der Buchungsprozess für Nachtzüge und internationale Verbindungen noch viel zu kompliziert. Das schreckt die Leute ab», sagt Grossenbacher. Was als Spielerei für seinen eigenen Nutzen begann, soll die Leute künftig dazu ermuntern, öfters in den Zug zu steigen.