Zentralbankchefin Elwira Nabiullina verlängert den Krieg
Sie ist Putins Gross-Manipulatorin

Viele Russen stützen Putins Regime. Denn sie glauben, ihrer Wirtschaft gehe es gut. Hinter dieser Illusion steckt die russische Notenbankpräsidentin.
Publiziert: 29.05.2022 um 13:04 Uhr
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Aktualisiert: 29.05.2022 um 15:05 Uhr
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In den russischen Städten wimmelt es von Wechselstuben.
Foto: Bloomberg via Getty Images
Danny Schlumpf

Nach der Annexion der Krim im Frühjahr 2014 treffen westliche Sanktionen Russlands Wirtschaft. Der Ölpreis taucht, der Rubel verliert die Hälfte seines Werts. Doch dann zieht Zentralbankchefin Elwira Nabiullina (58) den Karren mit einer harten Zinserhöhung aus dem Dreck.

Dafür wird sie 2015 am Sitz der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel zur Notenbankerin des Jahres gekürt. Drei Jahre später feiert der Westen Nabiullina erneut: Christine Lagarde (66), damals Chefin des Internationalen Währungsfonds, heute Präsidentin der Europäischen Zentralbank, vergleicht die Opern-Liebhaberin mit einem grossen Dirigenten.

Denn Nabiullina sticht heraus: Seit 2018 schraubt sie die russische Auslandsverschuldung massiv herunter, stockt den Staatsfonds von 60 auf über 200 Milliarden Dollar auf, baut Dollar-Reserven ab und ersetzt sie mit Euro, Yuan und Gold. Ja, die russische Zentralbankchefin spart – in einer Zeit der Negativzinsen, in der ihre westlichen Kollegen Geld in Hülle und Fülle drucken.

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Heimliche Vorbereitungen

Was niemand merkt: Nabiullina ist auf dem Kriegspfad. «Mit diesen Massnahmen hat sie Russland auf einen Wirtschaftskrieg gegen den Westen vorbereitet», sagt Notenbank-Experte Adriel Jost (37), Chef des Beratungsunternehmens WPuls.

Dennoch wird auch Nabiullina von den scharfen Sanktionen überrascht, die der Westen nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine Ende Februar 2022 verhängt. Wie 2014 fällt der Rubel ins Bodenlose. «Aber Nabiullina hat erneut klug reagiert, indem sie die Zinsen massiv erhöht und die russischen Energieexporteure gezwungen hat, ihre Einnahmen in Rubel zu wechseln», sagt Jost.

Deshalb ist die russische Währung wieder stabil – zumindest auf dem Papier. «Mit dem realen Wert hat das nichts zu tun», sagt Militärökonom Marcus Keupp (44) von der ETH Zürich. «Der Rubel wird nämlich nur noch in Moskau gehandelt. Die russische Zentralbank kann ihn deshalb manipulieren wie zu Sowjetzeiten.»

Für Putins Regime hat dieser Fantasiekurs laut Keupp zentrale Bedeutung: «Das Schauspiel trägt wesentlich dazu bei, dass die Bevölkerung den Staatspräsidenten weiter unterstützt. Denn seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion setzen die Russen den Rubelkurs mit dem Zustand ihrer Wirtschaft gleich. Das Problem ist nur, dass das längst nicht mehr zutrifft.»

Das falsche Bild einer funktionierenden Wirtschaft flimmert der Bevölkerung an jeder Strassenecke entgegen: In den russischen Städten wimmelt es von Wechselstuben mit leuchtenden Anzeigen der Währungskurse. Und solange diese Anzeigen einen stabilen Rubel vermelden, fühlen sich die Russen sicher. «Elwira Nabiullina ist für die Währungsmanipulation und damit die Täuschung der Bevölkerung verantwortlich», sagt ETH-Dozent Keupp. «Sie hilft mit, Putins Popularität zu sichern, und trägt so auch zur Verlängerung des Krieges bei.»

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Rücktritt abgelehnt

Das ist umso tragischer, weil Nabiullina eine der letzten Liberalen mit Einfluss in Moskau ist. Alle anderen wurden längst von den Vertretern aus Geheimdienst und Militär verdrängt, die sich nach Putins Machtantritt grosse Teile der russischen Wirtschaft unter den Nagel rissen. Bloss haben die von Wirtschaft keine Ahnung. Dafür träumen sie von einem neuen Imperium.

Nabiullina hingegen ist eine promovierte Ökonomin, die von Putin wegen ihrer Fähigkeiten 2007 zur Wirtschaftsministerin und 2013 zur Notenbankchefin ernannt wurde – zum Ärger des Establishments. Heute ist sie die mächtigste Frau Russlands. Doch der Preis ist hoch: Nabiullina ist ganz in Putins Hand. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kkriegs wollte sie zurücktreten, der Kreml-Herrscher sagte «njet». Er braucht ihre Fähigkeiten mehr denn je.

Nun muss die Notenbankpräsidentin weiter für Putin arbeiten. «Die russische Wirtschaft wird sie allerdings nicht retten», sagt Marcus Keupp. «Die westlichen Sanktionen sind die härtesten der Weltgeschichte. Die Produktion in Russland bricht ein. Das Land wird zurück in die Sowjetzeit katapultiert.» Nabiullina sei eine tragische Figur, sagt Adriel Jost. «Sie ist eine brillante Technokratin, aber sie hat sich zur Handlangerin eines Kriegstreibers gemacht. Sie trägt eine Verantwortung, die sie nicht mehr abschütteln kann.»

Bald auch auf den Sanktionslisten?

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt bereits wegen russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine. Wenn Nabiullina nicht umgehend zurücktrete, gehöre auch sie nach Den Haag, meinte unlängst die ehemalige ukrainische Notenbankchefin Walerija Hontarewa (57) – «mit all den anderen Banditen». Bis jetzt steht Nabiullina aber nicht einmal auf einer Sanktionsliste.

Kann eine Zentralbankpräsidentin überhaupt zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie mit ihren Massnahmen ein verbrecherisches Regime unterstützt? Bis heute stand nur ein einziger Notenbankchef vor einem internationalen Gericht. 1946 mussten sich 24 Angeklagte wegen der nationalsozialistischen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg vor dem Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg (D) verantworten. Unter ihnen war Hjalmar Schacht, der als Reichsbankpräsident von 1933 bis 1939 mit einer versteckten Inflationspolitik geholfen hatte, die Aufrüstung der deutschen Wehrmacht zu finanzieren. Schacht wurde freigesprochen – auch weil er als Notenbanker einfach seinen Job gemacht habe.

Elwira Nabiullina werde der Anklage vor einem internationalen Tribunal wohl ebenfalls entgehen, sagt Völkerrechtsprofessor Oliver Diggelmann (54) von der Uni Zürich. «Sie spielt zwar eine durchaus wichtige politische Rolle, dürfte aber kaum in direkte Kriegsentscheidungen involviert sein. Das völkerrechtliche Verbrechen der Aggression können nur Personen begehen, in deren Hand diese Entscheidung auch tatsächlich liegt. Es genügt nicht, zum erweiterten Führungszirkel zu gehören.»

Ungemütliche Zeiten stehen Nabiullina so oder so bevor. Ihrem Land droht der ökonomische Kollaps. Westliche Firmen ziehen in Scharen ab, darunter auch Schweizer Unternehmen wie der Industriekonzern Sulzer, der diese Woche seinen Rückzug aus dem russischen Markt bekannt gab.

Damit endet ein Jahrzehnt immer engerer Geschäftsbeziehungen zwischen Russland und der Schweiz, eingeläutet vom ehemaligen Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (70). Er schloss 2011 in Moskau einen Vertrag zur Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ab – mit Elwira Nabiullina, die damals noch russische Wirtschaftsministerin war.

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