Wirtschaft sabotiert sich selbst
Vorurteile gegen Unternehmerinnen

Unternehmerinnen generieren doppelt so viel Gewinn wie Unternehmer – und bekommen trotzdem kaum Investitionen. Das schadet der Schweizer Wirtschaft immens und gleich auf mehreren Ebenen.
Publiziert: 04.02.2021 um 06:32 Uhr
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Aktualisiert: 16.02.2021 um 15:22 Uhr
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Unserer Wirtschaft ginge es um einiges besser, wenn man(n) sie machen liesse.
Foto: Getty Images
Silvia Tschui

Die Schweiz gilt als Innovationsland. Die Schweiz hat aber im Ausland den Ruf, hinterwäldlerisch zu sein, was Gleichstellungsfragen betrifft. Dass Frauen erst ab 1971 abstimmen konnten, dass erst letztes Jahr ein Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen gesetzlich verankert werden konnte, dass Frauen in der Schweiz immer noch knapp 20 Prozent weniger verdienen als Männer in vergleichbaren Positionen und gesamtwirtschaftlich gesehen nur zu zwanzig Prozent in Führungsetagen vertreten sind, ist dabei das eine.

Das andere ist, dass Frauen oft gar nicht die Chance bekommen, sich zu beweisen. In den Führungsetagen grosser Unternehmen geht deshalb langsam etwas, um den Frauenanteil zu erhöhen – etwa nach Geschlechtern anonymisierte Bewerbungsverfahren. Denn diverse Studien zeigen, dass möglichst diverse und geschlechtergemischte Teams und Führungsstrukturen eine Firma wirtschaftlich erfolgreicher machen. Kurz: Wer als Unternehmen Frauen nicht fördert, schneidet sich selbst ins Fleisch.

Männer werden gefragt, wie sie gewinnen, Frauen, wie sie nicht verlieren

Was für Firmen gilt, gilt aber leider auch für die gesamte Volkswirtschaft der Schweiz. Denn Frauen, so zeigen Untersuchungen der Universität St. Gallen aus dem Jahr 2017, haben es auch als Unternehmerinnen ungleich viel schwerer als Männer – nur schon bei der Anfangsfinanzierung. Die Uni St. Gallen beruft sich in ihrem Statement unter anderem auf eine Studie, die im renommierten US-Wirtschafts-Forschungsmagazin «Academy of Management Journal» erschienen ist. Forscher untersuchten zwischen 2010 und 2016, wie sich Start-up-Förderungsverfahren geschlechterspezifisch unterscheiden.

Der Ablauf, um eine Finanzierung eines Start-ups zu erhalten, ist überall ungefähr der gleiche: Vor Forschungsgremien, potenziellen Investoren wie Stiftungen, Vertretern von grösseren Firmen, Privaten, aber auch Banken erklären die potenziellen Unternehmensgründer und -gründerinnen ihr Konzept. Nur schon da konnten die Autoren der Studie Unterschiede feststellen: Während Männern nach ihrer Präsentation zumeist positive Fragen gestellt werden – etwa «Was ist Ihre Expansionsstrategie?» oder «Wie gewinnen Sie gegen Ihre Konkurrenz?» –, formulieren potenzielle Geldgeber eine Frage gleichen Inhalts für Frauen negativ, beispielsweise «Wie können Sie sicherstellen, dass die Konkurrenz Ihre Idee nicht kopiert?» oder «Weshalb gehen Sie davon aus, nicht gegen die Konkurrenz zu verlieren?». Das drängt potenzielle Unternehmerinnen sofort in die Defensive. Wer sich aber rechtfertigen muss, wirkt weniger souverän als jemand, der eine Strategie erklären kann. Und wer weniger souverän wirkt, erhält weniger Geld. Viel weniger Geld. In Zahlen schlägt sich das folgendermassen nieder: Nur 10,7 Prozent der schweizerischen Start-up-Gründungen sind von Frauen initiiert. Damit steht die Schweiz, die sich so viel auf ihre Innovationskraft einbildet, europäisch gesehen auf den hintersten Rängen.

Studien belegen: Frauen generieren mehr Gewinn

Natürlich gibt es weitere Gründe, weshalb Frauen untervertreten sind – etwa eine Mentalität, die Frauen noch immer stärker in die Geisteswissenschaften und Männer eher in technische Studiengänge spült. Dennoch: Der Frauenanteil an der Universität St. Gallen, die zukünftige Unternehmer ausbildet, liegt bei ca. 35 Prozent, an der ETH, die naturwissenschaftlich-technische Studiengänge anbietet, bei 34 Prozent. Angesichts dieser Zahlen ist es nicht mit der Geschlechterverteilung in unterschiedlichen Studiengängen erklärbar, dass nur 10,7 Prozent aller Start-ups weiblich sind. Vielmehr trauen Geldgeber Frauen weniger zu, lassen sie bei Präsentationen auflaufen und drängen sie in die Defensive – um dann bestätigt zu sehen, dass ihnen weniger zuzutrauen sei.

Diese ungleiche Verteilung von Start-up-Fördergeldern ist nicht nur empörend ungerecht, es ist auch kurzsichtig und gesamtwirtschaftlich gesehen – man kann es nicht anders sagen – strunzdumm. Denn das Potenzial, das der Schweiz grundsätzlich in der wirtschaftlichen Wertschöpfung einerseits und steuertechnisch andererseits entgeht, ist im ersteren Fall Milliarden, steuerlich gesehen viele Millionen wert. Der Verlust dieser Gelder schadet uns allen. Doppelt schmerzt das, wenn man sich eine Studie eines der weltweit grössten Wirtschaftsconsulting-Unternehmen ansieht: Boston Consulting publizierte 2019, dass statistisch gesehen von Frauen gegründete Firmen mehr Gewinn generieren als von Männern gegründete. Genauer gesagt: Gründerinnen generieren für jeden investierten US Dollar einen Gewinn von 0,78 US-Dollar, während Gründer nicht mal die Hälfte erwirtschaften, nämlich 31 Cents.

Programmiersprache, Bluetooth, personalisierte Hauttransplantate – alles von Frauen entwickelt

Die Schweizer Mentalität verhindert so eine brummende Wirtschaft gleich mehrfach. Wirtschaftlich und innovationsfördernd gute Ideen sind ja nicht davon abhängig, ob sie einem männlichen oder weiblichen Hirn entstammen. Das zeigt die Geschichte von Wissenschaftlerinnen wie Ada Lovelace, welche die erste Computersprache erfunden hat, Marie Curie, die an Radioaktivität geforscht hat, oder Hedy Lamarr, die Erfinderin und Hollywood-Schauspielerin, die im Zweiten Weltkrieg ein Torpedo-Steuerungsverfahren auf Frequenzwechselbasis entwickelt hat, dessen Grundlage noch heute bei Bluetooth eingesetzt wird.

Heutzutage ist die Innovationskraft von Frauen natürlich gleichermassen vorhanden – wenn sie nicht ständig ausgebremst würde. Erst langsam tut sich etwas: So wurden etwa im Jahr 2019 und 2020 in der Schweiz zum ersten Mal Preise für den «Female Innovator of the Year» («Innovatorin des Jahres») verliehen – präsentiert von BMW. Die Nominiertenlisten zeigen, wie viel Nutzbringendes in sämtlichen Bereichen Schweizer Frauen entwickeln, wenn man sie lässt – von personalisierten Hauttransplantaten, welche aus einer Biopsie gezüchtet werden und nach Unfällen transplantiert werden können (Daniela Marino mit ihrer Cutiss AG), über Gamedesign und -entwicklung (Philomena Schwab, Stray Fawn) und medizinische Verfahren, welche eine Dialyse bequem zu Hause ermöglichen (Sandra Neumann mit ihrem Medtech-Start-up Peripal), bis hin zu Verschlüsselungstechnologie für digitale Daten (Sandra Tobler, Futurae), welche etwa die Swisscom bereits benutzt.

Die Wirtschaft ignoriert 50 Prozent der Menschen

Es ist aber nicht nur das grundlegende Innovationspotenzial, das brachliegt, es gibt auch ein riesiges Feld von frauenspezifischen Produkten, das ganz einfach nicht bearbeitet wird. Diesem zweiten wirtschaftlichen Bremsfaktor liegen historische Ungerechtigkeiten zugrunde. Denn diverse Produkte des alltäglichen Gebrauchs sind von Männern entwickelt und auf Männer ausgerichtet – welche Frau hat sich noch nie darüber geärgert oder zumindest festgestellt, dass etwa das Handy oder die Kamera für ihre Hände zu gross ist? Dasselbe gilt für Motorsägen, die eine Frau, ausser sie ist gross gewachsen und hat lange Arme, rein ergonomisch gesehen noch nicht mal anwerfen kann, für Schutzbekleidung, für diverse Werkzeuge und Geräte – aber auch für Sicherheitsstandards etwa in Autos (SonntagsBlick Magazin berichtete), die noch immer aufgrund männlicher Proportionen erstellt werden und für Frauen deshalb weniger effektiv sind.

Sogar Medikamente wurden jahrelang vor allem an Männern getestet und wirken deshalb bei Frauen weniger, zu stark oder anders. Frauenspezifische, an und für Frauen erforschte und entwickelte Gegenstände sind also abgesehen vom Mode- und Beauty-Bereich ein rares Gut – und bieten ein so grosses brachliegendes wirtschaftliches Potenzial, dass sich Investoren eigentlich um jedes frauenspezifische Projekt reissen sollten.


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