Es braucht eine starke Persönlichkeit, um in einer Branche als Frau zu bestehen, die noch immer von Männern dominiert wird. Claudia Siegle (40) bringt genau das mit: Sie ist zielstrebig und vor allem, sie weiss sich durchzusetzen. Sonst wäre es wohl gar nie dazu gekommen, dass Siegle heute ein reines Männerteam bei der Schweizer Immobilienfirma Mobimo leitet.
Siegle ist in Ermatingen TG aufgewachsen. Als sie 2001 Immobilienwirtschaft studieren wollte, gab es diesen Studiengang in der Schweiz noch gar nicht. Doch davon liess sie sich nicht abbringen und studierte kurzerhand in Deutschland. 2005 zurück in der Schweiz, trat sie eine Stelle als Immobilien-Entwicklerin bei der Architekturfirma Steiner an. Ihr erstes Projekt: Die Überbauung Urbahn auf dem riesigen Areal hinter dem Bahnhof in Schaffhausen. «Das war ein grosses Projekt so direkt nach dem Studium», sagt sie im Gespräch mit BLICK. Sie wirkt wie die Ruhe selbst. «Es hat mir Spass gemacht, das zu realisieren.»
Siegle führt ein reines Männerteam
Seit zehn Jahren schon macht Siegle Karriere bei Mobimo. Zwei kleine Kinder hat sie heute. Gleichzeitig ist sie inzwischen Leiterin eines vierköpfigen Teams von Projektentwicklern – alles Männer.
Siegle ist bei Mobimo derzeit für Immobilienprojekte im Wert von knapp 1 Milliarde Franken verantwortlich. Unter anderem war sie federführend bei der Überbauung Mattenhof in Kriens LU. Investitionsvolumen: 170 Millionen Franken. In ihrer Funktion steuert sie bei solchen Vorhaben den gesamten Prozess vom Bauland bis hin zu einem realisierbaren Projekt. Das heisst: Businesspläne schreiben, an Ausschreibungen von Architekturwettbewerben teilnehmen sowie mit Ämtern und Grundeigentümern zu verhandeln. Auch die Suche nach Bauunternehmen und Investoren gehört zu ihrem Job.
Agglolac ist umstritten
Bevor ein Immobilienprojekt bereit für den Bau ist, gibt es meist einige Hürden zu überwinden. So auch bei einem ihrer aktuellen Bauvorhaben: Das Stadtentwicklungsprojekt Agglolac am Ufer des Bielersees, das die Städte Biel BE und Nidau BE gemeinsam mit Mobimo entwickelt haben. Es ist eines der grössten und umstrittensten Projekte, das die Immobilienfirma je gestemmt hat.
Gegner nennen das Projekt auf dem ehemaligen Expo-Gelände «völlig überrissen». Neben einer öffentlich zugänglichen Freifläche soll im derzeit grösstenteils brachliegenden Teil des Areals dahinter ein Quartier für rund 1500 Bewohner entstehen. Investitionsvolumen: 500 Millionen Franken. Geplant sind verschiedene Gebäude, darunter ein Hochhaus mit 48 Metern Höhe. Die Bevölkerung soll Mitte 2021 über das Projekt abstimmen.
«Ich gehe gerne auf die Baustelle»
Wie geht Siegle mit solchem Widerstand um? «Ich finde es gut, dass ein öffentlicher Diskurs stattfindet», sagt sie gelassen. Jeder dürfe seine Meinung haben. Und die hat Siegle natürlich auch: «Es ist ein in sich stimmiges Projekt!». Es sei nicht in erster Linie ein Überbauungsprojekt, sondern man wolle einen Stadtteil realisieren, in dem es viel Grünraum geben werde. «Der Hochbau steht dabei im Hintergrund.» Sie hätte noch eine Reihe weiterer guter Argumente parat, um den Gegner den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Siegle geht es um die Sache, und dafür setzt sie sich mit grosser Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit ein. Es überrascht denn auch wenig, dass sie von Macho-Gehabe auf den Baustellen nichts wissen will: «Ich gehe sehr gerne auf die Baustelle», sagt sie.
Negatives habe sie auf dem Bau bisher nie erlebt. Zudem sei die Immobilienbranche heute längst nicht mehr nur eine Männersache. «Gerade in der Entwicklung, Bewirtschaftung und Vermarktung hat es sehr viele Frauen», weiss Siegle. Aber klar: Auf dem Bau seien hauptsächlich Männer an der Arbeit.