Knöpfe, Tische, Armlehnen und Haltestangen: Mehrmals am Tag desinfizieren die SBB die Oberflächen im Zug. Knapp 1000 Personen sind mit Lappen im Dauereinsatz, um Coronaviren abzutöten. Seit knapp einem Jahr – und voraussichtlich noch für eine lange Zeit.
Eine kleine Firma aus Winterthur ZH geht aber noch einen Schritt weiter. Sie hat ein System entwickelt, um einen Zug als Ganzes zu desinfizieren. Der Vorgang kann von aussen ferngesteuert werden, braucht also kein Personal vor Ort. Es sind keine Personen dem Desinfektionsmittel ausgesetzt.
Molinari Rail heisst das Ingenieur-Büro, das den Plan ausgeheckt hat. Der Hauptsitz liegt direkt über dem bekanntesten Pub von Winterthur. Das Projekt ist aber alles andere als eine Bieridee. Lonza-Experte Daniel Kümin lieh dem grossen Desinfektionsplan die wissenschaftliche Expertise.
Erste Tests in Deutschland
Wasserstoffperoxid ist der Stoff, der den Zug sauber machen soll. Er ist vielseitig einsetzbar, bestens erprobt, breit verfügbar und relativ günstig. Ein starkes Bleich- und Desinfektionsmittel. Die Chemikalie kommt aber auch beim Blondieren der Haare zum Einsatz. In der Zahnmedizin wird Wasserstoffperoxid zum Aufhellen verwendet. In hochkonzentrierter Form ist es ein Raketentreibstoff. Und in gasförmiger Form wird es dafür genutzt, Labore keimfrei zu machen. Genau das will sich Molinari Rail zunutze machen.
«Wir haben erste Tests in Deutschland gemacht», sagt Inhaber Michele Molinari (56). Die Resultate seien vielversprechend, und das System sei bereits zum Patent angemeldet. Jetzt prüft der Unternehmer die Anwendung im ÖV in der Schweiz.
Das Konzept funktioniert so: Das Desinfektionsmittel ist in einem einfachen Behälter im Fahrgzeuginnern. Die Grösse des Behälters lässt sich der Umgebung anpassen. Auf Knopfdruck wird ein Gasnebel freigesetzt, der über die Lüftungsanlage oder über Zerstäubungsdüsen im Raum verteilt wird. Der Nebel setzt sich langsam von oben nach unten ab. Die allfälligen Coronaviren in der Luft und auf Oberflächen werden dadurch unschädlich gemacht.
Mega-Trend Sauberkeit
Beim Einsatz im Alltag zeigen sich aber gewisse Probleme: Die Eisenbahnunternehmen haben ganz unterschiedliche Wagentypen. Es gibt kein einfaches System, um den Behälter mit dem Wasserstoffperoxid zu platzieren. Und die Verteilung des Gases ist je nach Lüftungssystem anders. Es ist ausserdem unklar, wie die Behörden auf ein Gaszerstäubungssystem im ÖV reagieren. Und schliesslich stehen die Firmen unter grossem Zeitdruck. Geld ist auch ein Thema.
Der Einsatz muss über Nacht erfolgen können oder zwischen der Hauptbetriebszeit am Morgen und am Abend. Eine Stunde im Wasserstoff-Nebel muss reichen, dann ein kurzer Moment zum Auslüften, schliesslich muss der Zug wieder auf die Schiene – ohne eine rollende Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung zu sein.
Die Reiseindustrie hat zwar ein grosses Interesse an sicheren Verkehrsmitteln. Aber die Pandemie hat die Firmen auch heftig durchgeschüttelt. Alleine die SBB verzeichnen Milliardeneinbussen.
Unterm Strich ist aber klar: Sauberkeit wird nach der Pandemie der neue Mega-Trend sein. Molinari denkt denn bereits weiter. «Wir haben uns auch die Anwendung in Flugzeugen angeschaut», sagt er. Und: «Das System könnte in Grossraumbüros und in öffentlichen Bereichen ebenfalls angewendet werden.»