Die Impfungen werden die Pandemie weiter entschärfen – aber beendet ist sie damit nicht. Das liegt auch an den vielen Menschen, die sich laut einem Bericht im «Beobachter» nicht impfen lassen möchten. Zuletzt ergab eine Umfrage der Universität Zürich unter Internetnutzern, dass noch 20 Prozent unentschlossen oder ablehnend gegenüber der Impfung sind.
Im siebten SRG-Corona-Monitor, der letzten repräsentativen Umfrage, gaben 20 Prozent der Befragten an, dass sie sich nicht immunisieren lassen wollen, weitere 28 Prozent waren unschlüssig.
Werden die Impfverweigerer zur Gefahr?
In einem Schreiben an die Kantone bezieht sich das Bundesamt für Gesundheit auf diese Umfrage und rechnet damit, dass sich nur «75 Prozent der Risikopersonen und 60 Prozent der breiten Bevölkerung impfen lassen». Werden die Impfverweigerer zu einer Gefahr für die Gesellschaft?
«Es ist keine rein individuelle Entscheidung, ob ich mich impfen lasse», sagt die Zürcher Soziologieprofessorin Katja Rost. «Die gesamte Gesellschaft profitiert von denen, die dazu bereit sind.»
«Akt der Solidarität»
Wenn sich genügend Personen immunisieren lassen, dann sind auch jene geschützt, die sich den Piks sparen – durch die sogenannte Herdenimmunität. «Über Trittbrettfahrer ärgert sich natürlich die Gemeinschaft, die die Kosten – Zeit und Weg zum Impftermin etwa und die Impfreaktionen – auf sich genommen hat.»
In der Schweiz sind zudem 1,5 Millionen Leute auf die Impfungen der anderen angewiesen, um selbst geschützt zu sein: alle unter 16 Jahren und alle, deren Gesundheitszustand keine Impfung zulässt. Das BAG bezeichnet die Impfung deshalb als «Akt der Solidarität».
Das Virus wird weiter zirkulieren
«Es gibt viele Menschen, die abhängig davon sind, dass andere diesen Beitrag leisten», sagt auch der Epidemiologe Marcel Salathé. «Mit einem Anstieg der Infektionen im Herbst muss man rechnen.»
In der nicht geimpften Bevölkerung werde das Virus dann zirkulieren, denn mit den anderen Schutzmassnahmen soll weitgehend Schluss sein. «Dem Bundesrat ist es deshalb ein Anliegen, dass sich die Gesellschaft damit auseinandersetzt, dass sich langfristig alle nicht geimpften und nicht genesenen Personen anstecken werden», schreibt das BAG.
Die 80-Prozent-Schwelle
Doch ist Herdenimmunität möglich? Das BAG gibt sich in dem Schreiben an die Kantone pessimistisch. «Das Erreichen einer Herdenimmunität ist, auch wegen der hohen Infektiosität der in der Schweiz nun dominanten Virusvariante B.1.1.7, selbst bei einer hohen Impfbereitschaft wohl nicht realistisch.» Gemäss Berechnungen müssen dazu 80 Prozent aller Menschen geimpft sein, die in der Schweiz leben.
Mut macht dagegen das Beispiel Israel – dort sind rund 60 Prozent der Bevölkerung voll geimpft. Trotzdem gibt es kaum noch Neuinfektionen. Allerdings geht man dort davon aus, dass 25 Prozent der Bevölkerung bereits mit dem Virus infiziert waren und deshalb auf natürliche Weise immunisiert sind. In der Summe würde man damit die 80-Prozent-Schwelle erreichen.
Keine simple Addition
Doch Marcel Salathé warnt vor blindem Optimismus: «Man kann diese Zahlen nicht einfach addieren, denn auch bereits Infizierte haben Impfungen erhalten.» Er rät auch zur Vorsicht bei der Interpretation der israelischen Zahlen, denn es sind Schutzmassnahmen wie die Maskenpflicht in Innenräumen in Kraft geblieben.
Dennoch ist Salathé für die Schweiz optimistischer als das BAG zuletzt. «Ich erwarte ab 50 Prozent Durchimpfung, dass die Infektionszahlen markant nach unten gehen – das heisst aber nicht, dass die Pandemie vorbei sein wird.»
Weiter Kapazitäten für Covid-19-Patienten in Spitälern
Auch wenn es viele Sackgassen für das Virus gebe, weil es immer wieder auf geimpfte Personen trifft, die es nur in seltenen Fällen weiterverbreiten können. Wichtig auch, dass – gemäss Salathés Schätzung – in der Schweiz zu den Geimpften auch bis zu 25 Prozent der Bevölkerung hinzukommen, die bereits mit Sars-CoV-2 infiziert waren – wobei es deutliche regionale Unterschiede gebe.
«In Bevölkerungsgruppen, die sich nicht impfen lassen, kann es zu grossen Ausbrüchen kommen», sagt Salathé. «Die Zeit der mächtigen Infektionswellen geht bei genügend hoher Durchimpfung zu Ende, aber wir müssen in den Spitälern trotzdem Kapazitäten für Covid-19-Patientinnen und -Patienten bereithalten, denn lokal können immer noch viele Menschen erkranken.»
Fehlende Überzeugung
Auch wenn keine Herdenimmunität erreicht wird: Je mehr Menschen geimpft werden, desto mehr schwere Krankheitsfälle können vermieden werden, da sind sich das BAG und Experten wie Salathé einig. Eine wichtige Frage ist deshalb: Wie können mehr Menschen motiviert werden, sich impfen zu lassen?
Zum einem durch Argumente, meint Salathé. «Wir können froh sein, dass wir sehr wirksame und sichere Impfstoffe haben. Covid-19 kann auch bei jungen Menschen einen schweren Verlauf haben, und es gibt die Gefahr, an Long Covid zu erkranken. Wenn ich die Wahl habe, ist es schon aus egoistischen Gründen klüger, die Impfung zu wählen.» Zudem verleihe diese einen stabileren Immunschutz als die Infektion.
Mehr Impforte für höhere Impfquote
Cornelia Betsch forscht darüber, wie die Impfbereitschaft erhöht werden kann. Die Erfurter Professorin für Gesundheitskommunikation sagt: «Personen, die davon ausgehen, dass durch die Impfung auch die Übertragung des Virus verhindert wird, haben eine höhere Impfbereitschaft.»
Gemäss den Daten aus Israel geben Geimpfte das Virus tatsächlich kaum noch weiter. «Hürden sollten zudem weitestgehend abgebaut werden, und Impfen sollte so einfach wie möglich gemacht werden», sagt Betsch. Für eine hohe Impfquote sei es am besten, möglichst bald am Arbeitsplatz, in den Universitäten und – sobald ein Impfstoff für Kinder und Jugendliche zugelassen und empfohlen ist – in Schulen zu impfen. «So können grosse Gruppen mit vielen Kontakten erreicht werden, und der Aufwand wird reduziert, an eine Impfung zu kommen.»
Mit Supermärkten und Promis
Soziologin Katja Rost kann sich zudem vorstellen, dass auch in Drogerien und Supermärkten geimpft wird. «Gemeinden könnten ihre nicht geimpften Einwohnerinnen und Einwohner anschreiben und ihnen mitteilen, wenn die meisten Nachbarn bereits geimpft sind», sagt sie. «Niemand will gern herausstechen.»
Salathé schlägt vor, bekannte Persönlichkeiten auf lokaler Ebene als Vorbilder für die Impfkampagnen zu gewinnen. «In den angelsächsischen Ländern hat man damit gute Erfahrungen gemacht.»
Erleichterungen für Geimpfte im Alltag
Das BAG setzt im Moment vorwiegend auf Informationen, etwa auf Videos, die Impfmythen widerlegen. Es gibt jetzt auch schon Clips, in denen mittelalte Töfffahrer und Teenager für die Impfung werben.
Am Ende werden wohl Erleichterungen, die für Geimpfte im Alltag vorgesehen sind, viele Unentschlossene von der Impfung überzeugen. «Wenn ich mich jedes Mal testen lassen muss, um ins Restaurant gehen zu können, wähle ich vielleicht doch lieber die Impfung», sagt Katja Rost. «Der grösste Anreiz kommt wahrscheinlich nicht aus der Schweiz selbst: Wenn andere Staaten nur noch Geimpfte ins Land lassen, dann entscheiden sich wohl viele dafür.» Reisen wollen schliesslich fast alle.
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch
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