Simon Baumann, über das Erbe Ihrer Eltern haben Sie einen sehr persönlichen Dokfilm gemacht. Es fällt auf, wie gelassen Sie auch heikle Themen abhandeln. Wer übers Erben spricht, redet indirekt ja auch über das Älterwerden und den Tod. Wie gelang Ihnen das?
Simon Baumann: Es ist nicht angenehm, darüber zu reden, was ist, wenn die Eltern einmal nicht mehr da sind. Aber meine Eltern gehen mit vielen Themen sehr rational um. So waren sie schon immer. Darum konnten wir auch ziemlich offen über die beiden Tabuthemen des Erbens – Geld und Tod – reden. Viele schieben diese Themen bis zu ihrem Tod von sich weg.
Stephanie Baumann: Ich habe sie aber auch eher von mir weggeschoben. Erst der Film hat mich dazu gebracht, mich mit meinem Alter auseinanderzusetzen und mit der Frage: Wie geht es weiter? Ich bin jetzt 72 Jahre alt, Ruedi 76. Der Tod ist mir egal, was danach geschieht, betrifft mich ja dann nicht mehr. Ich dachte aber viel mehr an das, was geschieht, wenn wir krank oder pflegebedürftig werden und nicht mehr Auto fahren können. Unser Hof ist eineinhalb Kilometer vom nächsten Haus entfernt. Wo bin ich, wo sind wir, wenn wir es nicht mehr schaffen, unseren Alltag in Frankreich zu bewältigen?
Ruedi Baumann: Ich hatte keinen Stress mit diesem Thema. Im Gegenteil, ich wollte es proaktiv angehen, schon wegen meiner eigenen Geschichte: Das Heimet hier in Suberg, in dem nun Kilian mit seiner Familie lebt (Kilian ist Baumanns zweiter Sohn, heute ebenfalls Nationalrat der Grünen Partei und Präsident der Kleinbauern-Vereinigung; Anm. d. Red.), hat meinem Grossvater gehört. Da bin ich aufgewachsen. Mein Grossvater blieb bis zu seinem Tod der Besitzer des Hofs. Und er bestimmte auch, was man umbauen darf und was nicht. Alle seine Nachkommen waren abhängig von ihm. Kurz nach seinem Tod starb auch mein Vater, was meine beiden Geschwister und mich in eine schwierige Situation brachte. Ich sagte mir: So werden wir es nie machen, wir müssen uns rechtzeitig darum kümmern.
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Simon, fühlen Sie sich angesichts des anfallenden Erbes Ihrer Eltern, als stünden Sie mit dem Rücken zur Wand?
Simon: Ehrlich gesagt, meine Partnerin und ich sind deswegen schon jetzt ein bisschen gestresst. Der Hof in Frankreich ist 1000 Kilometer entfernt und viel mehr als ein Ferienhaus. Oft funktioniert der Strom oder das Wasser nicht mehr, oder bei einem Unwetter dringt Regenwasser ein. Sobald meine Eltern den Hof nicht mehr bewirtschaften können, müssten mein Bruder und ich in unseren Ferien nach Frankreich, um ihn zu unterhalten. Das kann schnell zur Last werden, auch finanziell.
Haben Sie schon mit dem Gedanken gespielt, das Erbe auszuschlagen?
Simon: Ja klar. Ich habe mich oft gefragt: Blocke ich einfach ab? Handkehrum ist das Erbe mit den elterlichen Idealvorstellungen verbunden, mit ihren Wünschen und Hoffnungen, wie es weitergehen könnte. Besitz ist nie frei von Emotionen. Wenn ich das Materielle nicht annehme und weiterpflege, breche ich auch mit den Idealen der Eltern. Angesichts dessen ist es schwer, Nein zu sagen. Zudem teile ich die Gedanken und Werte meiner Eltern, die auf ihrem Landgut in Frankreich natürliche Lebensräume erhalten wollen. Den Hof zu verkaufen und zu riskieren, dass er in Zukunft mit Pestiziden bewirtschaftet wird, ist auch für mich keine schöne Vorstellung.
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Ruedi und Stephanie, hätten Sie es als Verrat empfunden, wenn Ihre Söhne gesagt hätten: Den Hof in Frankreich wollen wir nicht.
Stephanie: Nein.
Ruedi: Nicht als Verrat, aber enttäuscht wäre ich schon gewesen. Wenn wir jetzt alle zum Schluss gekommen wären, dass wir ihn verkaufen, hätte mir das wahnsinnig gestunken.
Stephanie: Ich sehe aber auch die Probleme: Der Hof ist weit weg, die Söhne haben ihren Lebensmittelpunkt hier in der Schweiz. Wir haben uns damals entschieden, nach Frankreich zu gehen und für uns etwas zu kaufen, nicht für die Kinder.
Ruedi, Ihre Mutter konnte letztlich den Hof Ihres Grossvaters in Suberg übernehmen. Sie aber kauften ihn ihr gleich nach dem frühen Tod Ihres Vaters ab. Wie haben Sie das erlebt?
Ruedi: Als Verpflichtung – sonst hätte meine Mutter damals vom Hof und aus ihrem Haus müssen.
Stephanie: Es hiess: Jemand muss weiterfahren. Ruedis Schwester und sein Bruder wollten nicht. Ruedi sagte, dann mache er es halt. Er war der Einzige, der das Bauern gelernt hat. Und ich bin danebengesessen und wusste: Wenn er dorthin muss, heisst das für mich, dass ich auch dorthin muss. Es sei denn, ich trenne mich von ihm. Das habe ich als extreme Last empfunden.
War die Trennung wirklich eine Option?
Stephanie: Ich habe mir das schon überlegt. Ich war damals 25 und voll in einer Emanzipationsphase. Wir wohnten in der Berner Altstadt. Die Freundinnen sagten, ich sei gestört, wenn ich in dieses Suberg ziehe. Ich habe nie Bäuerin sein wollen.
Ruedi: Steffi hätte sagen können, sie bleibe in der Berner Altstadt. Ich aber habe dort eher gelitten. Ich bin kein Städter.
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Simon, 2010 vermachten Ihnen Ihre Eltern die alte Ölmühle in Suberg, Ihr heutiges Haus, als Vorerbe. Hat dies zwischen Ihnen und Ihrer Partnerin damals zu ähnlichen existenziellen Diskussionen geführt?
Simon: Zum Glück nicht. Meine Partnerin und ich hatten die Chance, das Haus schleichend zu übernehmen, mussten uns nicht sofort dafür entscheiden, unser Leben in Suberg zu verbringen. Wir sehen uns als urbane Menschen, die in der Stadt ihren Freundeskreis haben. Aufs Dorf zu ziehen, war für uns ein grosser Schritt. Aber plötzlich bekam meine Partnerin Freude am Garten, wir begannen mit dem Umbau, der uns viel Geld und Arbeit kostete. Dadurch identifizierten wir uns immer mehr mit dem Haus.
Stephanie: Meine Schwiegertochter machte eigentlich dasselbe mit wie ich als junge Frau. Ich begann auch plötzlich, den Garten zu übernehmen, lebte mich dann langsam auf dem Hof ein.
Ruedi: Die Frauen haben sich mehr mit dem Land identifiziert als wir Männer. Steffi ist zu einer hervorragenden Bäuerin geworden, die beiden Schwiegertöchter Kathrin und Bettina kümmern sich leidenschaftlich um ihre Gärten. Hut ab – vor allen zusammen.
Stephanie: Das zeigt, wie verdammt anpassungsfähig wir Frauen sind. Wir machen das Beste aus der Situation, in die wir hineingestellt werden.
Sie beide sind später nach Frankreich ausgewandert, haben dort quasi noch mal von vorn angefangen – nach Ihrer Politkarriere hier in der Schweiz im Nationalrat und nach unzähligen Fernsehdebatten. Sind Sie Ihrem Erbe davongelaufen?
Ruedi: Das würde ich so nicht sagen. Wir haben damals, als wir mit der Politik aufhörten, von Kollegen gehört, dass wir sicher in ein Loch fallen, wenn wir den Trubel und die Bedeutung des Bundeshauses nicht mehr haben. Steffi war bei der SP, ich bei den Grünen. Ich wusste, dass ich etwas ganz anderes machen musste. Die meisten anderen, die aus der Politik ausschieden, wurden Berater. Wir aber wollten uns – um die 50 – noch mal etwas Mutiges aufbauen. Etwas, wofür wir uns wieder voll engagieren konnten. Damals habe ich noch von der Ukraine geredet. Die haben die schönsten Böden Europas. Aber Steffi wollte nicht mitkommen.
Simon, Sie sagen im Film, dass Ihre Eltern ökologische Vorreiter waren, die Macher. Die Söhne sind hingegen bloss Mitläufer, die nur das Erbe verwalten. Fühlen Sie sich tatsächlich so? Als Verwalter?
Simon: Ja, die Eltern sind Teil der Boomer-Generation, der 68er, von denen viele aufsteigen und sich entfalten konnten. In ihrer Lebenszeit ist in der Schweiz wahnsinnig viel Reichtum angehäuft worden. Und wir müssen nun verwalten, was an Immobilien, Firmen und Ferienhäusern vorhanden ist. Meine Generation erbt so viel wie noch keine andere Generation davor. Das heisst auch, wir müssen sehr viel mehr über das Thema nachdenken.
Sie haben nun die Chance, zusammen mit Ihrem Bruder diesen Hof in Frankreich zu übernehmen. Das ist doch auch ein Privileg, oder?
Simon: Privileg und Last gleichzeitig. Ich will aber nicht jammern, das steht mir nicht zu. Hingegen reden wir viel zu wenig über Privilegien. Kaum jemand sagt: Ich habe das, was ich habe, geschenkt bekommen, weil ich in diese Familie hineingeboren worden bin und nicht in eine andere. Ich habe nichts dafür geleistet. Geld und Besitz durch Geburt – das ist die Definition von Feudalherrschaft, die wir ja hinter uns lassen wollten. Wir hören das nicht gern, weil wir uns als Leistungsgesellschaft verstehen, die auf dem Credo baut: Wer viel hat, der hat auch viel geleistet.
Erben gilt als einer der grössten Treiber für ökonomische Ungleichheit. Wie kann Erben gerechter werden?
Simon: Das ist für mich die wichtigste Frage, mit der sich meine Generation auseinandersetzen muss.
Stephanie: Durch die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer von 50 Prozent auf Vermögen von über 50 Millionen Franken, wie sie die Erbschaftssteuerinitiative fordert.
Die wohl aber chancenlos sein wird.
Ruedi: Was ich erstaunlich finde, gerade weil man bei denjenigen ansetzen würde, die wahnsinnig viel erben. Frankreich hat eine Erbschaftssteuer von bis zu 45 Prozent. Trotzdem gibt es dort immer noch sehr viele sehr reiche Menschen.
Simon: Die Erbschaftssteuer ist eine Errungenschaft der Französischen Revolution und war in vielen demokratischen Ländern lange unbestritten. In den letzten Jahrzehnten setzten die Reichen ihre Interessen aber immer erfolgreicher durch und reduzierten die Erbschaftssteuern oder schafften sie ganz ab. Wir müssen zurück zu einer kritischeren Haltung: Wenn ein schwerreicher Unternehmer Millionen an seine Kinder vererben will, gilt es, genauer hinzuschauen und zu fragen: Hat er das Geld wirklich allein erwirtschaftet? War er nicht angewiesen auf Staat, Infrastruktur und seine Mitarbeitenden, deren Ausbildung wir als Steuerzahlende mitfinanziert haben? Wer ein grosses Vermögen angehäuft hat, der hat von uns allen viel an Leistung bezogen. Ergo sollten wir alle etwas davon zurückerhalten.
Ist man als Erbe selbstbestimmt?Simon: Wohl nie wirklich. Wir sind nicht so individuell und frei, wie wir uns gern sehen, sondern Teil eines familiären Geflechts, das uns prägt und an uns haften bleibt. Der Philosoph Odo Marquard formulierte es sinngemäss so: Wir sind mehr Herkunft als Zukunft. Wir alle suchen doch die Anerkennung der Eltern und streben danach, innerhalb der Familie eine Position zu finden, in der uns einigermassen wohl ist.
Zumal man ja auch Charakterzüge erbt, Körpermerkmale, selbst die Veranlagung für Krankheiten.
Stephanie: Und auch eine Mentalität. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, deren Leben von Unsicherheiten und Existenzängsten geprägt war. Ich realisierte schon in sehr jungen Jahren an der Töchterhandelsschule, dass es verschiedene gesellschaftliche Klassen gibt, dass wir nicht alle gleich sind. Dieses «Ufeluege», das bleibt in dir.
Ruedi: Ich spüre immer noch diese Wut, dieses Gefühl der Verpflichtung. Ich habe meinen Vater krampfen sehen auf dem Hof und erlebt, wie es ist, wenn man es dennoch zu nichts bringt als Pachtbauer. Bei den Bauern gibt es die kleinen Schuldepuurli und die Herrepuure, zu denen ich meinen Grossvater zählte, der immer über seinem eigentlichen Einkommen gelebt hat. Er hätte den Hof meinem Vater, dem eingeheirateten Schwiegersohn, niemals übergeben. Auf dem Sterbebett wollte er schon mich als Erben einsetzen. Da habe ich ihm alle Schande gesagt. Mein Vater hatte 25 Jahre auf dem Hof gekrampft – und der Grossvater wollte eine Generation überspringen. Diese Wut hat mich dazu getrieben, in der Landwirtschaft für die Kleinen einzustehen. Da macht nun Kilian weiter. Er führt mein politisches Erbe fort.
Simon, wissen Sie schon, was Sie Ihren beiden Töchtern vererben werden?
Simon: Ich bin Hausbesitzer, habe zwei Kinder, aber nur ein Haus. Legt dies nun schon den Grundstein für einen zukünftigen Erbstreit? Sollte ich darum das Erbe in Frankreich annehmen? Wie mein Vater im Film sagt: «Du musst schauen, dass du beiden etwas vererben kannst.» Ehrlich gesagt fehlt mir der Mut, das materielle Erbe ganz auszuschlagen. Das wäre vielleicht auch meinen Töchtern gegenüber nicht klug. Sie könnten mir sonst eines Tages vorwerfen: «Hast du denn nie an uns gedacht?»