Die Kamera ist unübersehbar: Knapp zwei Meter über der Umkleidekabine hängt sie. Schwarze Fassung, montiert an einem schwarzen Balken. Sie kann die ganze Umgebung des Bershka-Ladens im Berner Wankdorf Center filmen: den Kassenbereich, die Accessoires-Abteilung, die anstehenden Kunden. Die Kamera ermöglicht aber auch den Blick in die Umkleide. Und das ist hoch problematisch.
BLICK-Leserin Melinda Tanner* war am Donnerstag beim Zara-Schwesterunternehmen shoppen. Sie probierte ein rückenfreies Kleid an, zog deshalb den BH aus. Tanner stand nur noch im Slip da. Dann entdeckte sie die Kamera. «Ich war schockiert», sagt sie zu BLICK.
Sie konfrontierte die Mitarbeiterinnen. «Man wollte mir erklären, dass man dies getan habe, damit in der Kabine niemand stehlen könne», sagt die junge Frau. «So was ist doch nicht normal. Ich fühle mich zutiefst in meiner Privatsphäre verletzt.»
Die Meinung des Eidgenössischen Datenbeauftragten Adrian Lobsiger (62) dazu ist glasklar: Filmen in der Umkleide verletzt die Privatsphäre. Es gibt keinen guten Grund, weswegen eine 360-Grad-Kamera oberhalb von Umkleidekabinen montiert werden. «Ich erachte das als gesetzeswidriges Verhalten», sagt dazu auch Konsumentenschützerin Sara Stalder (54). «Das sollte umgehend gestoppt werden.»
Drei-Milliarden-Jungbrunnen Bershka
Selbst der Verband der Schweizer Textildetailhändler distanziert sich von Bershka und ist über die Kamera im Umkleidebereich entsetzt. «Ich werde künftig an die Decke schauen, bevor ich etwas anprobiere», sagt die Geschäftsführerin von Textilschweiz, Sabine Völlmin (40).
Ob Kundin Tanner wirklich gefilmt wurde, ist unklar. Der Bershka-Mutterkonzern Inditex versichert gegenüber BLICK, dass die 360-Grad-Kamera im Wankdorf zu keinem Zeitpunkt Kunden beim Umziehen gefilmt habe. Das Unternehmen halte sich an alle Regeln, die Kamera ziele auf den Bereich vor der Kasse. Wie lange die Aufnahmen gespeichert werden, sagt Inditex nicht. Fakt ist: Die Aussagen stehen jenen des Verkaufspersonals in der Berner Filiale entgegen.
Die Kundinnen sind verunsichert. Das Thema ist heikel, vor allem für Frauen. Bershka müsste es besser wissen. Der spanische Mutterkonzern Inditex ist ein Gigant der Fashion-Industrie. Der Umsatz vor der Pandemie: umgerechnet über 30 Milliarden Franken. Bershka war für fast drei Milliarden Franken verantwortlich.
Die Firma kann Mode, das steht fest. Aber kann sie auch Datenschutz nach Schweizer Standard?
Untaugliche Kameras
«Es muss zwingend auf die Videoüberwachung hingewiesen werden, damit eine Einwilligung überhaupt möglich ist», sagt Konsumentenschützerin Stalder. «Falls das nicht stattgefunden hat, liegt ein Verstoss gegen das Datenschutzgesetz vor.»
Das gelte für jegliche Aufnahmen mit einer Überwachungskamera, konkretisiert Stalder. Das Filmen von Personen in einer Umkleidekabine sei unter keinen Umständen erlaubt. «Diebstahl kann mit anderen Massnahmen verhindert werden», sagt Stalder. «Unter anderem mit mehr Personal.»
Datenschützer Lobsiger doppelt nach: «Zur Verhinderung des Kleiderdiebstahls existieren in der heutigen Zeit auch andere Methoden, namentlich elektronische Sensoren bei Ladenausgängen.»
* Name geändert