Auf einen Blick
Black Friday, Black Week, Black November: Dieser Tage setzt in der Schweiz zum zehnten Mal seit 2015 die grosse Rabattschlacht ein.
Rund 500 Millionen Franken werden in der Schweiz alleine am letzten Freitag im November umgesetzt. Wie der Black Friday dabei unser Hirn besetzt, wie die Synapsen zünden und wie man Shopping-Resilienz aufbauen kann, weiss Neuromarketing-Spezialist Philipp Zutt.
Herr Zutt, was richtet ein Event wie der Black Friday in unserem Hirn an?
Philipp Zutt: Ein ziemliches Chaos. In schneller Folge laufen drei komplett verschiedene Programme ab. Erstens setzt der Anbruch der Preis-Jagdsaison Glückshormone frei. Der Start des Black Friday oder der Black Week sorgt dafür, dass Dopamine ausgeschüttet werden. Zweitens läuft das Programm der Verlustaversion. Also eine gewisse Erregtheit, gemischt mit der bangen Vorstellung, am Black Friday nicht die besten Preise zu ergattern. Diese Angst, beim Sparen nicht voll zu profitieren, wird vom Handel oft geschürt mit einer Preispolitik der Verknappung. Etwa in dieser Art: Wenn man jetzt nicht zuschlägt, ist alles vorbei.
Philipp Zutt ist Dozent für Neuromarketing an verschiedenen Hochschulen. Der Inhaber der Neuromarketing-Unternehmensberatung Zutt & Partner in Bubikon ZH berät mit seinem zehnköpfigen Team nationale und internationale Kunden.
Philipp Zutt ist Dozent für Neuromarketing an verschiedenen Hochschulen. Der Inhaber der Neuromarketing-Unternehmensberatung Zutt & Partner in Bubikon ZH berät mit seinem zehnköpfigen Team nationale und internationale Kunden.
Klingt stressig. Und Programm Nummer drei?
Der Community-Effekt. Wenn alle auf Shopping-Tour gehen, will man selber nicht abseitsstehen. Da entsteht eine Art Gruppendruck.
Eine Mischung aus Glück, Stress und Druck also?
Man kann es auch kurz sagen: Black Friday ist wie dreimal Blitzeinschlag im Hirn. Und: Alle drei Programme triggern einander.
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Ist das menschliche Hirn wirklich ein so leichtes Opfer? In der Regel geht man ja vom Homo oeconomicus aus, der seine Entscheide strikt rational trifft.
Der Homo oeconomicus ist tot. Falls es ihn überhaupt je gegeben hat. Aus der Hirnforschung weiss man sehr genau: Der Löwenanteil jedes Entscheids – 80 Prozent und mehr – ist nicht rational bedingt, sondern emotional. Und damit auch 80 Prozent und mehr jedes Kaufentscheides.
Wo genau im Gehirn sitzt der primäre Shopping-Triggerpunkt?
Den Kauf-Knopf als solches gibt es nicht. Zumindest hat ihn niemand gefunden bis jetzt. Was aber recht gut erforscht ist: Die Mechanismen, die einen Kauf auslösen. Ganz generell kann man sagen: Wer einen Kaufakt triggern will, muss am emotionalen Türsteher im Hirn vorbeikommen.
Und wo steht der?
Dazu unterteilen wir das Hirn in zwei Systeme. System 1 ist der ältere Teil des Gehirns, das limbische System, der Thalamus und weitere tieferliegende Hirnareale, es funktioniert schnell, intuitiv und mit wenig Aufwand. Der Neocortex gilt grob gesagt als System 2. Hier sind die kognitiven Fähigkeiten daheim, es ist der jüngere Teil des Gehirns; die Ratio funktioniert langsam, aufwendig und überlegt. System 1 ist der zeitlich vorgelagerte Teil.
Was heisst das nun für den Shopping-Karneval von Ende November?
Der Black Friday zielt voll auf System 1. Hier wartet der emotionale Türsteher. Wenn der sagt: «Ja, ich will», dann macht System 2 in aller Regel mit. Und dann öffnet sich die Shopping-Schleuse im Kopf. Vor allem auch dann, wenn zwei weitere typische Black-Friday-Mechanismen wirken: Der Anker-Effekt und der Halo-Effekt.
Einblick ins Gehirn der Kunden, Kaufentscheidungen ergründen und daraus wissenschaftlich fundierte Werbemassnahmen entwickeln und ergreifen – darum geht es im Gebiet des Neuromarketings.
Während sich andere Hirnforscher vor allem für die Ratio interessieren, berücksichtigt das Neuromarketing verstärkt auch unterbewusste Prozesse im Konsumentenhirn – und hier vor allem die zentrale Rolle von emotionalen Faktoren.
Einblick ins Gehirn der Kunden, Kaufentscheidungen ergründen und daraus wissenschaftlich fundierte Werbemassnahmen entwickeln und ergreifen – darum geht es im Gebiet des Neuromarketings.
Während sich andere Hirnforscher vor allem für die Ratio interessieren, berücksichtigt das Neuromarketing verstärkt auch unterbewusste Prozesse im Konsumentenhirn – und hier vor allem die zentrale Rolle von emotionalen Faktoren.
Wovon sprechen wir da?
Beim Anker-Effekt spielt die preisliche Darstellung eine grosse Rolle. Wenn etwas zuvor 500 Franken kostete und nun für 100 zu haben ist, wird der Wert der 500 grafisch gross dargestellt. Damit man spürt, dass man für nur 100 Franken etwas haben kann, das fünfmal so viel wert ist. Über die Jahre haben die Konsumenten auch eine Art Aktionsanker entwickelt. Was bedeutet, dass man sich an Rabatte von mindestens 30 Prozent gewöhnt hat. Bei 20 Prozent macht da natürlich niemand mehr einen Freudensprung.
Und worum geht es beim Halo-Effekt?
Halo steht für den Glorienschein, der auf alles andere hinabstrahlt. Hier geht es darum, dass ein Händler zwar nur wenige, dafür für sein Sortiment sehr relevante Produkte preislich hinuntersetzt, dabei aber den Anschein erweckt, das ganze Sortiment sei zum absoluten Tiefstpreis zu haben.
Was dann auch dazu führt, dass man in einer Art «Overshopping»-Rausch Dinge einkauft, die man gar nicht braucht. Ist unser Hirn so programmiert, dass man sich überhaupt nicht gegen den Rabattsog wehren kann?
So schlimm ist es nicht. Einige Menschen verstehen es, sich auch mal in Verzicht zu üben. Für alle anderen gilt: Man fertigt schon vor dem Black Friday eine Liste an mit den Dingen, die man am Black Friday kaufen will. Und kauft dann wirklich nur das, was auf der Liste steht. Oder man arbeitet mit einem Budget, etwa in der Art, wie man als Kind an die Chilbi gegangen ist: Mit einem Chilbi-Batzen. Wenn der aufgebraucht ist, dann ist fertig.
Und wie sollen Händler vorgehen, die am Black Friday nicht die ganze Marge verschenken wollen?
Hier kommt der Halo-Effekt zum Tragen: Wer ein Sortiment mit tausend Artikeln hat, könnte zum Black Friday 995 Artikel leicht vergünstigt abgeben. Viel lohnender aber ist es, 5 Artikel stark zu vergünstigen – und die anderen 995 zum normalen Preis zu verkaufen. Entscheidend ist dabei wie immer, dass die Angebote fair und transparent kommuniziert werden – irreführende Lockvogelangebote, die durchschaut werden, führen zu Reaktanz und damit Ablehnung.
Den Black Friday gibt es hierzulande seit 2015. Aus welcher Zeit stammt ein durchschnittliches Schweizer Gehirn?
In seiner heutigen Form hat sich das Hirn aller Menschen in den letzten 10’000 Jahren nicht gross verändert.
Dann dürfte es für das Marketing am Black Friday ein Leichtes sein, das uralte Menschenhirn zu übertölpeln?
Das würde ich so nicht sagen. Das Motto des «Günstiger und einfacher ist besser» war wohl auch schon in der Mittelsteinzeit bekannt. Wenn ein Bauer damals vor zwei Apfelbäumen stand, einer hoch und mit Früchten sehr weit oben, der andere mit Äpfeln in Griffweite – dann bediente er sich beim einfacheren. Heute würden wir das «Low hanging fruits» oder «Convenience» nennen.
Zurück ins 21. Jahrhundert: Topmarken wie Louis Vuitton, Rolex oder Apple machen nicht mit beim Black Friday. Warum?
Weil sie bei diesem Kampf um Aufmerksamkeit und dessen Haupttrigger, dem Preis, nicht mitmachen müssen. Diese Brands können sich kraft ihrer Markenstärke der Rabattschlacht entziehen.
Ein Zeichen der Cleverness?
Ja. Aber noch mehr ein Zeichen der Privilegiertheit. Während der Black Friday für viele Händler und Marken eine wichtige Rolle als Frequenzbringer spielt, brauchen solche Topbrands keine zusätzlichen und gewinnmindernden Massnahmen, um das Volk anzulocken.
Sie als Neuromarketer sind wahrscheinlich immun gegen alle Marketing-Tricks, die unser Hirn manipulieren, oder?
Überhaupt nicht. Zum Beispiel gehöre ich zu jenen Menschen, die wohl viel zu viel bezahlen, um Mitglied der Apple-Community zu sein. Das sagen mir jedenfalls Kolleginnen und Kollegen, die vorrechnen, wie viel Geld ich sparen könnte, wenn ich mit den ebenso guten Geräten der sehr viel günstigeren Konkurrenz kommunizieren würde.
Warum sind Sie trotzdem Teil des Apple-Stammes?
Weil auch hier wieder drei Programme rattern im Gehirn: Convenience, Gewohnheit und Freude am Design sorgen dafür, dass ich nicht nach einer günstigeren Lösung suche. Auch wenn ich sonst schon auch auf günstige Preise achte.