Es ist längst eine Selbstverständlichkeit: Steigen die Preise, erhöhen die Zentralbanken die Leitzinsen. Die EZB seit Juli 2022 von Null auf 3,75 Prozent, unsere SNB von minus 0,75 auf 1,5 Prozent. Aber warum eigentlich? Inflation kommt dadurch zustande, dass jemand die Preise erhöht. Könnten zum Beispiel die Gewerkschaften in der Gastronomie Löhne durchsetzen, von denen man leben und die Miete bezahlen kann, dann müsste Gastwirte die Preise deutlich erhöhen. Doch es gibt keinen Grund, solche Preissteigerungen zu verhindern.
Anders sieht es aus, wenn wir statt 20 nun 32 Franken pro Monat für das Pay-T-Abo ausgeben müssen, bloss damit noch mehr Fussballspieler zweistellige Millionensaläre kassieren können. Dass allein die fünf grössten Pharma-Konzerne dieses Jahr 90 Milliarden Dollar Reingewinn erwarten und ihre Kader mit Millionensalären verwöhnen, deutet auf stark übersetzte Preise hin. Oder nehmen wir die Energiekonzerne: Shell hat letztes Jahr den Gewinn auf rund 40 Milliarden verdoppelt. Exxon meldete gar einen Gewinn von 56 Milliarden, fast dreimal so viel wie im Vorjahr. Auch diese Zeche zahlen letztlich die Konsumenten.
Steigende Löhne seien das Problem
In den einschlägigen Pressemitteilungen der EZB liest man dazu kein kritisches Wort. Da ist nur von der «Gesamtinflation» oder von der «zugrundeliegenden Inflation» die Rede. Der einzige «Täter», der wenigstens andeutungsweise genannt wird, sind die «steigenden Löhne». Diese gelten als «Zweitrundeneffekt», den man mit steigenden Zinsen vermeiden will. Offenbar mit Erfolg. Die Reallöhne letztes Jahr in den EU-Ländern im Mittel um 2,9 Prozent und in der Schweiz um 1,9 Prozent gesunken.
Auch zu der naheliegenden Frage, wie denn höhere Zinsen die Teuerung bremsen sollen, liest man bloss immer wieder die gleiche Floskel. «Wirken stark auf die Finanzierungsbedingungen durch», und dämpfen damit die Investitionen. Doch warum sollte das so sein? Bei aktuell 7 Prozent Inflation in Deutschland ist der Hypozins von 3,8 Prozent real gesehen sogar noch billiger als die 1,4 Prozent, die man 2018 bei einer Inflation von 1,8 Prozent bezahlen musste. Das wissen auch die Banken, die bei der Finanzierung helfen.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass das ganze Brimborium um den «Zinsentscheid», über den die Medien schon lange zum Voraus spekulieren, die Wirtschaft tatsächlich abkühlen. Wie sich das dieses Mal konkret auswirken wird, hat das «Handelsblatt» wie folgt präzisiert: Das BIP Wachstum wird 2022 und 2023 (gegenüber früheren Prognosen) um je 2 Prozentpunkte tiefer ausfallen, wodurch die Inflation bis 2025 um insgesamt 2,5 Prozent bzw. 0,5 Prozent pro Jahr gedämpft wird. Was das Handelsblatt nicht schreibt: 4 Prozent weniger BIP kosten die EU mehr als 600 Milliarden Euro.
Arbeiterklasse leidet
Was das Handelsblatt auch nicht schreibt: Diese Last wird sehr ungleich verteilt: Die «Kapitalisten» kassieren höhere Zinsen, die Löhne der Arbeitnehmer sinken. Die Umverteilung ist massiv: Da in Deutschland die Löhne letztes Jahr real um 4,1 Prozent gesunken sind, das reale BIP aber dennoch um 1,8 Prozent gestiegen ist, müssen bei einer Lohnquote von 70 Prozent die Profite rein rechnerisch um rund 15 Prozent explodiert sein. Was durchaus im Sinne der Zentralbanken ist: Da die Kapitalisten einen viel kleineren Anteil ihrer Einkommen konsumieren als die Arbeiterklasse, senkt diese Umverteilung den Konsum – was letztlich die Inflation dämpft.
Uff – Ziel doch noch erreicht. Aber zu welchen und zu wessen Kosten? Und könnte man dieses Ziel nicht auch anders erreichen, etwa durch ein verschärftes Kartellgesetz oder durch direkte Preiskontrollen? In den ersten Nachkriegsjahrzehnten wurden solche in den USA unter dem Einfluss des damals führenden Ökonomen John Kenneth Galbraith noch erfolgreich durchgeführt.
Heute redet niemand mehr davon. Allen ist klar, dass die Inflationsbekämpfung alleinige Sache der Zentralbanken ist. Folglich finanzieren wir weiterhin brav die Megaprofite der Multis und warten gespannt auf den nächsten «Zinsentscheid».