Die Schweiz ist ein geldpolitischer Sonderfall. Nicht nur weil die Schweizerische Nationalbank (SNB) die geldpolitische Lage nur viermal im Jahr beurteilt – statt alle zwei Monate wie die grossen Zentralbanken –, sondern auch weil sie den Märkten wenig Orientierung darüber gibt, wie die Zinsentwicklung weitergeht.
Während Jerome Powell vom Fed (USA) und Christine Lagarde von der EZB (Europa) bei jedem Zinsentscheid praktisch auch schon den nächsten kommunizieren, hält sich Thomas Jordan bedeckt. «Es ist nicht auszuschliessen, dass zusätzliche Zinserhöhungen nötig sein werden» – mehr ist dem SNB-Chef nicht zu entlocken.
Jordans Furcht vor Zweitrundeneffekten
Bei den letzten Auftritten und im Interview mit der «Sonntagszeitung» hat Jordan allerdings klargemacht, dass er die Teuerung noch immer für zu hoch hält und der Kampf dagegen noch nicht vorüber ist. Vor allem die Zweit- und Drittrundeneffekte machen ihm Sorgen. Gemeint sind die nachgelagerten Preis- und Lohnerhöhungen als Reaktion auf die steigenden Kosten.
Es deutet damit also alles auf eine weitere Zinserhöhung diese Woche hin, wenn die SNB am Donnerstag die Geldpolitik fürs Sommerquartal festlegt.
Die Frage ist daher vor allem, ob die SNB nochmals um 0,5 Prozentpunkt nach oben geht oder nur um 0,25 Prozentpunkte. An den Zinsderivatemärkten eingepreist ist nur ein kleiner Schritt. Der aus den sogenannten Overnight Index Swaps abgeleitete neue Leitzins liegt aber etwas über 1,75 Prozent bei 1,83 Prozent, was zeigt, dass sich nicht alle Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer einig sind.
Für einen grossen Schritt spricht, dass die SNB bis am 21. September keine Anpassung mehr machen kann, während die EZB bis dahin noch zwei weitere Zinssitzungen hat. Dadurch könnte sich der Zinsabstand zur Schweiz nochmals ausweiten. Das könnte den Franken übermässig unter Druck setzen und die importierte Inflation anheizen. Die SNB hält den Franken nicht mehr für überbewertet beziehungsweise unterlässt Kommentare zur Franken-Bewertung.
Ein 50er-Schritt wäre auch eine Fortsetzung der bisherigen Politik und würde zu den geäusserten Bedenken über Zweit- und Drittrundeneffekte von Jordan passen. Ausserdem gilt zu berücksichtigen, dass die SNB zur Erhaltung der Preisstabilität nicht ein Inflationsziel von 2 Prozent hat wie etwa die US-Notenbank, sondern eine Spanne von 0 bis 2 Prozent.
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Der nachlassende Inflationsdruck spricht für einen kleinen Zinsschritt
Für einen kleineren Schritt spricht hingegen die Tatsache, dass die neusten Zahlen und Indikatoren zur Inflation auf eine Entspannung hindeuten. So ist die Kerninflation ohne Energie und frische und saisonale Produkte im Mai auf 1,9 Prozent gefallen. Die im Ausland gewöhnlich verwendete Definition der Kerninflation als Teuerung ohne Energie und Lebensmittel liegt sogar unter 1,5 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich einzigartig, liegt doch sonst fast überall die Kerninflation über der normalen Teuerung, weil die darin nicht enthaltenen Energiepreise zuletzt stark gefallen sind.
Zudem zeigen die Einkaufsmanagerumfragen (PMI), dass die Vorstufenpreise in der Summe nachgeben und mehr Schweizer Unternehmen die Preise senken wollen.
Die Gesamtteuerung ist gemäss Konsumentenpreisindex auf 2,2 Prozent gesunken und hat damit die Jahresendprognose, die die SNB im März abgegeben hatte, bereits unterschritten. Es ist schwierig, die von Jordan heraufbeschworenen Zweitrundeneffekte dingfest zu machen: Effektiv gestiegen sind im Mai vor allem die Preise für gewisse Lebensmittel und die Mieten.
Der Preisschub bei Olivenöl, Früchten und Gemüse dürfte jedoch vorübergehend sein. Bei den Mieten weiss man jetzt schon, dass sie in den kommenden Monaten wegen des steigenden Referenzzinssatzes steigen werden. Doch mit höheren Zinsen lässt sich diese Inflationskomponente nicht bremsen, da sie über den Referenzzinssatz positiv mit dem Leitzins zusammenhängen.
Wie auch immer die SNB am Donnerstag entscheidet – es könnte einer der letzten Zinserhöhungsschritte in diesem Zyklus sein. An den Obligationenmärkten hat sich diese Sichtweise schon länger etabliert: Seit Anfang Jahr sind die Renditen zehnjähriger Eidgenossen von 1,5 auf gut 1 Prozent gefallen. Wer sich am Franken-Markt verschuldet hat – das sind hauptsächlich die Immobilienbesitzerinnen und -besitzer –, kann ein wenig aufatmen.