Zeno Staub (53) wohnt mitten in Zürich. Mit dem Velo ist er nur einmal zur Arbeit gefahren, verschwitzt im Anzug rumzusitzen, das ist nicht sein Ding. Deshalb fährt der Chef der Bank Vontobel mit dem Tram zur Bank, nutzt die zehnminütige Fahrt, um sich mit der Espresso-App des «Economist» den globalen News-Überblick zu verschaffen. Auf dem Heimweg schlendert er auch mal zu Fuss durch die Stadt.
Blick: Sie sind seit elf Jahren CEO von Vontobel und damit einer der dienstältesten Bankenchefs der Schweiz. Wie schafft man es, so lange an der Spitze zu bleiben?
Zeno Staub: Auch mein Job macht nicht jeden Tag gleich viel Spass. Aber es ist auch ein Privileg, so eine Aufgabe zu haben. Um das so lange machen zu können, muss man neugierig bleiben. Diese Neugier hält den Geist wach. Zudem hilft es sehr, wenn man sich selber nicht immer allzu ernst nimmt, auch mal einen Schritt aus sich heraus macht und fragt, was habe ich da nun gemacht, war das vernünftig, was kann ich daraus lernen?
Haben Sie auch gelernt, gut zu schlafen? Es sind ja gerade für Banken keine einfachen Zeiten.
Ich habe auch schon länger geschlafen! Es ist eine sehr intensive Zeit. Bei vielen Kunden und Investoren ist die Unsicherheit gross. Die aktuelle Situation ist für alle sehr herausfordernd, vieles ist neu.
Was ist denn neu, auch in der Finanzkrise sind die Börsen abgestürzt?
Das Spezielle an dieser Konstellation ist, dass nicht nur die Aktien-, sondern auch die Obligationenmärkte fallen. Das ist historisch relativ selten. Es gab bis jetzt nur drei Jahre, in denen dies der Fall war. Das Jahr 2022 ist bislang das schlechteste Jahr für ein gemischtes Portfolio aus Aktien und Obligationen.
Weshalb?
Wenn die Zinsen steigen, dann ist Geld, das Sie morgen bekommen, heute weniger wert. Das gilt für Obligationen ebenso wie für Aktien: Bei den Obligationen ist der nächste Coupon und die Rückzahlung weniger wert, bei der Aktien sind es die künftigen Dividenden. Und über allem schwebt die Frage, wird es eine Rezession geben?
Wird es?
Da muss man etwas nach Regionen unterscheiden. Aber wir glauben, dass in den wesentlichen Wirtschaftsräumen im nächsten Jahr zumindest eine leichte Rezession droht.
Auch in der Schweiz?
Die Chancen, dass die Schweiz auch diese Krise besser meistern könnte, stehen nicht so schlecht. Die unabhängige und starke Währung hilft dabei. Zumal die Nationalbank mit der Anhebung der Zinsen ein weiteres Erstarken des Frankens zulässt. Das hilft mit, die Inflation zu bändigen …
… ist aber schlecht für die Exportwirtschaft?
Ein grosser Teil der Schweizer Wirtschaftsleistung ist den steigenden Energiepreisen weniger ausgesetzt. Wir sind auch eine starke Dienstleistungswirtschaft. Das heisst, um einen Franken Bruttoinlandprodukt zu verdienen, brauchen wir weniger Energie als andere Länder, wie zum Beispiel Deutschland. Andererseits ist es schon so, dass wir als Exportnation auch von der Wirtschaftsentwicklung in den Absatzmärkten abhängig sind.
Seit 2011 steht Zeno Staub (53) an der Spitze der Bank Vontobel – für einen Banker in dieser Position eine lange Zeit. Im Jahrzehnt davor hat sich der HSG-Absolvent in der Bank nach oben gearbeitet, viele Schlüsselposition innegehabt, war Finanzchef und hat das Asset Management und das Investment Banking geleitet. Staub gilt als hochintelligent und sehr belesen, er gibt den Mitarbeitenden immer wieder Lesetipps. Staub ist verheiratet und hat zwei Töchter. Einzig der Fussball dürfte ihm im Moment nicht viel Freude machen: Er ist Anhänger von GC, da schmerzt es wohl besonders, wenn der Stadtrivale FCZ Meister wird.
Seit 2011 steht Zeno Staub (53) an der Spitze der Bank Vontobel – für einen Banker in dieser Position eine lange Zeit. Im Jahrzehnt davor hat sich der HSG-Absolvent in der Bank nach oben gearbeitet, viele Schlüsselposition innegehabt, war Finanzchef und hat das Asset Management und das Investment Banking geleitet. Staub gilt als hochintelligent und sehr belesen, er gibt den Mitarbeitenden immer wieder Lesetipps. Staub ist verheiratet und hat zwei Töchter. Einzig der Fussball dürfte ihm im Moment nicht viel Freude machen: Er ist Anhänger von GC, da schmerzt es wohl besonders, wenn der Stadtrivale FCZ Meister wird.
Stichwort Russland – gibt es auch bei Vontobel Oligarchengelder?
Wir stehen voll hinter den Sanktionen. Die Umsetzung des Sanktionsregimes ist anspruchsvoll und hochkomplex, von unserem Geschäftsmodell haben wir uns auf den Mittelstand der Unternehmen konzentriert. Auch deshalb, weil wir gar nicht alles anbieten können und wollen, was Oligarchen, die ja Grossunternehmer sind, nachfragen. Wenn sie eine Pipeline finanzieren müssen, dann kommen sie nicht zu Vontobel.
Mussten auch bei Vontobel Gelder blockiert werden?
In sehr überschaubarem Rahmen.
Die Kunden sind verunsichert. Ist der Bedarf an Beratung gestiegen?
Wichtig ist, dass der Kunde immer so anlegt, wie es zu seinem Ziel, seinem Gesamtvermögen und zu seinem Zeithorizont passt. Dann fühlt man sich wohler in guten Zeiten. Und ist weniger verunsichert in herausfordernden Zeiten. Unsere Kunden sind sehr besonnen, bleiben ruhig. «Hin und her macht die Taschen leer», sagt eine alte Börsenweisheit.
Das bedeutet konkret?
Jetzt hektisch die Anlagestrategie, die auf die eigenen Ziele einzahlt, zu ändern, das ist schwierig. Diese dagegen durchzuhalten, ist einer der Schlüssel für langfristigen Anlageerfolg.
Die Inflation dämpft in einigen Ländern bereits die Kauflaune der Konsumenten.
Wenn Inflation herrscht, dann neigen Konsumenten zunächst dazu, geplanten Konsum vorzuziehen. Das heisst, wenn sie einen neuen Fernseher brauchen, dann kaufen sie diesen eher heute als morgen, wenn er dann teurer sein wird. Noch zeigen die Daten einen relativ robusten Konsumenten. Nur, bei Inflation haben sie auch weniger Geld im Portemonnaie, das heisst die Leute werden ihr Konsumbudget über die Zeit der realen Kaufkraft anpassen. Damit steigt das Risiko für eine Rezession. Entscheidend wird sein, wie sich die Teuerung und die Löhne weiterentwickeln.
Ist die Globalisierung am Ende?
Nein! Die Globalisierung ist nicht am Ende. Sie hat einen grossen Beitrag zu sinkenden Preise geleistet. Die Ausweitung der Produktionskapazitäten vor allem in Asien hat die Preise ebenso gedrückt wie der technologische Fortschritt. Nun sehen wir eine Dämpfung bei der Globalisierung, erleben eine Regionalisierung der Produktion. Allerdings wird die Globalisierung nicht verschwinden, die Wohlstandsverluste wären zu gigantisch.
Was ist mit der technologischen Entwicklung?
Die technologischen Produktivitätsgewinne sind enorm. Das Objekt, das die Preise in der Menschheitsgeschichte am vielleicht stärksten zum Einstürzen gebracht hat, ist übrigens ihr Smartphone. Denken Sie nur an all die technischen Möglichkeiten – Karten, Kamera, Videokonferenzen etc. –, die heute in einem Telefon stecken. Hätten Sie all diese Funktionalitäten, die heute selbstverständlich sind, zu damaligen Preisen in das erste Smartphone verbauen wollen, hätte das an die 800’000 Dollar gekostet. Und heute bekommen Sie diese Leistung für unter 1000 Franken.
Was heisst das nun alles für den Sparer?
Wenn sie die Kaufkraft erhalten wollen, dann müssen sie investieren und auch ein gewisses Risiko im Portfolio akzeptieren können.
Ändert sich das bei steigenden Zinsen wieder, gibt es Hoffnung für Sparer?
Nein! Was sich ändert, ist, dass sie nun für das Aufbewahren von Geld nicht mehr bezahlen müssen. Der Hauptwunsch beim Sparen ist ein gesichertes Leben im Alter. Dafür braucht es den sogenannten dritten Beitragszahler – das sind die Renditen an den Kapitalmärkten. Der Zins auf dem Sparbuch wird nicht ausreichen.
Mit dem Zinsentscheid der Nationalbank hat Vontobel die Negativzinsen gleich ganz gestrichen. Ist das mehr als ein kluger PR-Schachzug?
Wir verwalten keine Barbestände von Schweizer Unternehmen wie andere Banken. Wir sind ein Anlagehaus. Auf den Konten der Kunden liegt gerade so viel Cash, wie die Kunden nicht in den Märkten investieren wollen. Negativzinsen haben bei uns eine ganz andere Relevanz. Zudem rechnen wir noch in diesem Jahr mit einem nächsten Zinsschritt der Nationalbank. Also haben wir die Negativzinsen gleich ganz gestrichen.
Wie weit wird die Schweizerische Nationalbank, die SNB, die Zinsen in der Schweiz noch anheben?
Die SNB hat durch diesen ersten Schritt ihre Unabhängigkeit unter Beweis gestellt. Und eben auch gezeigt, dass es ihr um Preisstabilität geht und nicht darum, Exportförderung zu betreiben. Zudem haben sich die Zeiten geändert: Ein zu starker Franken ist jetzt nicht mehr ein Treiber für Deflation – also sinkende Preise in der Schweiz –, sondern schützt uns vor dem Import einer zu hohen Inflation. Unsere Experten erwarten für die zweite Jahreshälfte einen weiteren Zinsschritt geben, wohl nochmals um 0,5 Prozentpunkte.
Was heisst das für Hausbesitzer?
Das kommt immer darauf an, wie sie finanziert sind. Wir sind zwar kein Hypothekenhaus, aber die Erfahrung zeigt, dass, bevor jemand die Zinsen für selbst bewohntes Wohneigentum nicht mehr bezahlen kann, an anderen Orten gespart wird. Bei den Ferien zum Beispiel, dem zweiten Auto oder im Ausgang. Das Haus zu verkaufen, ist wirklich der allerletzte Ausweg. Die Immobilienkrise der 1990er-Jahre wird sich nicht wiederholen. Allerdings müssen wir auch bei Immobilien erst wieder lernen, dass Preise, die raufgehen, auch wieder fallen können.
Auch Vontobel bietet nun mit «Volt» eine digitale App an. Wird das von den betuchten Kunden akzeptiert?
Volt ist ein hybrides Angebot, da Geldfragen oft an Wendepunkten oder Schlüsselpunkten des Lebens auftauchen. Geld bedeutet ja auch Sicherheit, Unabhängigkeit, das Vermeiden von Risiken, Vorsorge, das Sorgen für andere. Geldfragen sind immer sehr emotional. Steht man an einem dieser Wendepunkte, will man das auch mit einer Person besprechen. Aber das wollen sie ja nicht täglich oder für jede einzelne Transaktion tun, aber dafür rund um die Uhr informiert sein und handeln können.
Braucht jede Bank eine digitale Anlagelösung?
Das digitale Angebot richtet sich an alle Kunden. Es ist ja nicht so, dass nur die Jungen, die erst am Anfang des Vermögensaufbaus sind, digital unterwegs sind. Heute gibt es drei bis vier Generationen, die sehr aktiv mit digitalen Instrumenten arbeiten. Es ist also keine Generationenfrage und auch keine Frage der Grösse des Vermögens. Auch der klassische Vermögensverwaltungskunde will heute über eine digitale Schnittstelle mit der Bank kommunizieren.