Ende Oktober, zwischen Herbst- und Wintersaison, ist im Davoser Hotel Alpengold für gewöhnlich wenig los. Dieses Jahr war die Luxusherberge in Form eines goldenen Tannenzapfens jedoch gut gebucht. Das Multi Family Office Quilvest Switzerland hatte zu den «Heritage Days» geladen.
«Wir machen das alle zwei Jahre und bringen die Familien auf den neusten Stand», sagt Matthias Jenzer. Die von ihm geführte Quilvest verwaltet in erster Linie das Vermögen der Familie Bemberg. Otto Bemberg wanderte im 19. Jahrhundert nach Argentinien aus, gründete dort die Brauerei Quilmes und wurde zum steinreichen Mann. Noch heute profitieren 240 Mitglieder der Familie von seinem Pioniergeist. 2006 öffnete die Familie die Vermögensverwaltung für Aussenstehende. Heute vermehrt Quilvest das Vermögen von 30 Familien.
Immer mehr Ultra-High-Net-Worth Individuals setzen auf ein Family Office. Lag die Zahl der Family Offices vor fünf Jahren bei 6500, sollen es laut J.P. Morgan heute über 15'000 sein. Die meisten und grössten Family Offices befinden sich in den USA, am schnellsten verbreiten sie sich mit dem Wohlstand in Asien. In Europa liegt das «alte Geld». Die Schweiz ist eine Hochburg.
600 Milliarden Franken
Single Family Offices (SFOs) arbeiten in der Regel abseits des Rampenlichts – und das besonders in der Schweiz. «SFOs schätzen die Diskretion und neigen dazu, Investitionen sowie philanthropische Zuwendungen nicht offenzulegen», sagt Felix Oeschger, Vorstandsmitglied der Single Family Office Association (SFOA). Die Interessenorganisation schätzt, dass in der Schweiz zwischen 250 und 300 SFOs aktiv sind. 70 nahmen zuletzt an einer Studie teil. Ein gutes Drittel gab an, mehr als eine Milliarde Franken zu verwalten. «Insgesamt schätzen wir das Vermögen der Schweizer Family Offices auf rund 600 Milliarden Franken», sagt Oeschger. Das Vermögen externer Vermögensverwalter liege im Vergleich dazu wohl bei 500 Milliarden Franken.
Wer ein Single Family Office eröffnen will, muss ein beträchtliches Vermögen mitbringen. 150 Millionen Franken gelten als unterste Grenze, sinnvoller sollen 200 Millionen und mehr sein. Ärmere Reiche kommen bei einem Multi Family Office wie Marcuard unter. Dort liegt die Hürde für inländische Vermögen bei 30 Millionen Franken. Bei Familien von ausserhalb der Schweiz machen die Strategien ab 50 Millionen Sinn. Doch weil auch ein Single Family Office Zeit und Nerven kostet, lagern selbst Superreiche die Dienstleistung an ein Multi Family Office aus. Marcuard verwaltet für 40 Familien rund sechs Milliarden.
Ein klassischer Fall
Lukas Dörig ist bei Marcuard Head Client Relationship Management und Managing Partner. Im Oktober war er für zwei Wochen in den USA. Dort traf er sich mit einem neuen Kunden, laut Dörig «ein klassischer Fall». Die Familie habe ihr Unternehmen zwar nicht verkauft. Das Business sei aber sehr profitabel, der Cashflow gross. 100 Millionen werden nun an Marcuard zur Verwaltung übertragen, «um dieses Geld für künftige Generationen zu bewahren». Werden die Erwartungen erfüllt, besteht die Aussicht auf mehr.
Wie der Kunde genau tickt und wo die Erwartungen liegen, stellt Marcuard in einem intensiven Onboardingprozess fest. Die Prozedur kann Monate dauern. «Wir nehmen uns Zeit. Es geht uns darum, die Strategie zu definieren, die die langfristigen Werte der Familie reflektiert», sagt Nadja Bleuler. Sie ist bei Marcuard Chefökonomin und Partnerin.
Bei der Asset Allocation denken Familien in Säulen. So wird in illiquide und liquide Vermögen unterteilt. Unter die liquiden Anlagen fallen bei Marcuard Aktien, Obligationen, Gold und Hedgefonds. Letztgenannte werden bei dem Multi Family Office vergleichsweise stark eingesetzt: In einem ausgewogenen Profil machen sie wie Aktien knapp ein Viertel des Portfolios aus. 2022, als Aktien und Obligationen gemeinsam fielen, sorgten Hedgefonds für ein Gegengewicht. Jedoch gehen die Resultate bei Hedgefonds weit auseinander. «Hier muss man sehr wählerisch sein», sagt Nadja Bleuler. Über das Netzwerk und Datenbanken findet Marcuard die aussichtsreichsten.
Die illiquiden Anlagen umfassen neben Immobilien Privatmarktanlagen, ob als Fonds oder von Kunden eingebrachte Direktbeteiligungen. Es sind die illiquiden Anlagen, die Family Offices von Privatanlegern unterscheiden. «Typischerweise gilt: Je grösser das Vermögen, desto mehr kann in illiquide Anlagen investiert werden», weiss Bleuler. Bei Marcuard liegt der Anteil der illiquiden Anlagen im Schnitt bei etwa 20 Prozent. Bei Quilvest sind es deutlich mehr, dort werden überdurchschnittliche 60 bis 80 Prozent in Privatmärkte investiert.
Der Fokus auf illiquide Anlagen kommt nicht von ungefähr. «Privatmärkte zahlen massiv besser als liquide Anlagen. Die Performance ist eindrücklich», sagt Quilvest-Chef Matthias Jenzer. Liege die jährliche Rendite an den Aktienmärkten im langjährigen Durchschnitt bei 7 Prozent, sind es an den Privatmärkten 14 Prozent und mehr. Mithilfe des Zinseszinses vergrössern sich Vermögen so über die Jahre enorm.
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Die höchsten Returns locken bei den sogenannten Direct Deals. Dort steigen die Familien direkt bei einzelnen Firmen ein. In der Schweiz ist etwa Daniel Aegerter mit seinem Family Office Armada Investment auf solche Deals spezialisiert. So investierte er unter anderem in Elon Musks SpaceX, Lufttaxihersteller Lilium, die Onlinebank N26 oder Roboterhersteller Swiss-Mile. Solche Private Deals holen Family Offices über ihr grosses Netzwerk herein. Dabei agieren Family Offices ähnlich einem Venture-Capital-Geber. Je jünger und unprofitabler die Unternehmen, desto grösser das Risiko. Pleiten kommen vor. Eingegangen werden die Risiken wegen des Potenzials. «Schaffen es solche Firmen an die Börse, schenkt das massiv ein. 500'000 Franken wachsen so auf fünf oder sogar zehn Millionen an. Ist der Verlust auf 100 Prozent beschränkt, ist das Gewinnpotenzial nach oben offen», sagt Jenzer.
Kontrollverlust
Anders als bei den Direct Deals geben Familien bei Private-Equity-Fonds die Kontrolle über ihre Anlagen aus der Hand. Dort vertrauen sie auf die Geschicke eines Fondsmanagers. Was der genau kauft, ist bei der Unterschrift des Subscription Agreements meist nicht bekannt. Der Fondsmanager fungiert als General Partner, die Investoren sind Limited Partner. Die kleinsten «Tickets» umfassen eine Million Dollar. Die Liquidität wird in Anlagen wie Aktien bereitgehalten. Hat der Fondsmanager den ersten Zukauf klargemacht, wird Geld abgerufen. Häufig 100'000 Dollar, manchmal mehr. Für die Überweisung bleiben dann zwei, drei Wochen Zeit. Die ersten drei bis vier Jahre wird investiert, dann fliesst das erste Geld in Form von Dividenden oder ersten Verkaufserlösen zurück. Solche Engagements ziehen sich lange hin: Zehn Jahre mit zwei Jahren Extension gelten als Standard. Sind Exits wie derzeit wegen eines schlechten Marktumfelds schwierig, warten Investoren länger auf ihr Geld.
Die Unterschiede in der Performance zwischen Private-Market-Fonds sind genauso gross wie diejenigen in den Strategien. Manche investieren in blutjunge Start-ups, andere sind auf Beteiligungen an alteingesessenen Industriebetrieben spezialisiert. «Wir fokussieren uns im Allgemeinen auf reife Wachstumsfirmen. Die sexy Venture-Fonds bergen recht grosse Risiken, die lassen wir aus Risiko- und Renditeüberlegungen lieber aus», sagt Lukas Dörig. Die Prüfung der Fonds, die Due Diligence, ist bei diesen Anlagen daher noch viel wichtiger als bei liquiden.
Private Market Advisors wissen, welcher Fondsmanager gerade Geld für einen neuen Markt aufnimmt und wie sein Erfolgsausweis aussieht. Plattformen wie Preqin helfen im Privatmarkt bei der Leistungsbeurteilung. Hat man den aussichtsreichsten Fonds gefunden, heisst das noch lange nicht, dass man dort investieren «darf». «Wenn die Stars der Branche einen neuen Fonds auflegen, will die ganze Welt investieren», sagt Jenzer. Hier sind Netzwerke gefragt. Die Familie Bemberg, die Jenzer vertritt, habe «zu wirklich smarten Guys auf der Welt Kontakt». Die Tickets liegen dort laut Jenzer bei 20 oder 30 Millionen. Die Bembergs tun sich häufig zusammen und nehmen laut Jenzer schon mal 200 Millionen Dollar in die Hand.
Grosse Namen
Apollo Global, Astor Group, Bain Capital, Blackstone, KKR oder auch die skandinavische EQT Partners zählen zu den grossen Namen. Kleinere, häufig spezialisiertere Fonds sind oft nicht weniger erfolgreich, jedoch nur Insidern bekannt. Ihre Namen werden gerne zwischen den Family Offices herumgereicht.
Rainer Kobler arbeitet bei einem der grössten Player auf den Privatmärkten, Hamilton Lane. Das Unternehmen hat über 940 Milliarden Dollar an verwaltetem und beaufsichtigtem Vermögen. Hamilton Lane tritt vor allem als Co-Investor auf. «Dabei sind wir zwar nicht der Fahrer, aber wichtiger Co-Pilot», sagt Kobler. Hamilton Lane sammelt grosse Datenmengen und weiss genau, welche Fahrer gut sind und wohin sich Trends entwickeln. Der Vermögensverwalter treibt die Demokratisierung der Privatmarktanlagen mit seinen Evergreen-Fonds voran. Die Mindestanlage in der R-Anteilsklasse liegt bei relativ niedrigen 100'000 Franken. Banken und Vermögensverwalter bündeln und setzen diese Produkte zunehmend für diskretionäre Mandate ein. So landen auch bei weniger reichen Privatanlegern zwei, drei Prozent Private Equity im Depot.
Die Performance lässt sich auch nach den nicht unerheblichen Kosten sehen. Die US-Dollar-Tranche wurde vor fünf Jahren aufgelegt. In Dollar liegt die Rendite bei 13,5 Prozent. Auch in der demokratisierten Version der Private Equities ist die Liquidität beschränkt: Pro Quartal ist der Verkauf von fünf Prozent der Fondsanteile möglich.
Für den individuellen Investor muss die Illiquidität kein Nachteil sein. Weil er gebunden ist, kann er auch nicht verkaufen, wenn an den Börsen wieder einmal der Weltuntergang droht. «Dass der Investor einfach nicht verkaufen kann, wenn an den Märkten Panik ausbricht, wirkt sich extrem positiv auf die Performance aus», sagt Jenzer. Denn wer sich von Gefühlen leiten lässt, verkauft meist spät und verpasst den Wiedereinstieg.
Ein eingespieltes Team
Nicht alle Family Offices fokussieren sich auf illiquide Anlagen. «Spätestens seit in der Finanzkrise alle gleichzeitig zu den Ausgängen rannten, schätzen wir Liquidität», sagt Pendo Löfgren. 2003 gründete er mit Christian Kälin, Chef von Henley & Partners, das Family Office Arnova Capital. Vermehrt wird eigenes Geld und das von einigen ausgewählten Kunden. Die beiden kennen sich seit ihrer Jugend und sind ein eingespieltes Team. «Chris trifft viele interessante Leute und weiss, was Regierungen tun», sagt Löfgren. Löfgren ist Investmentstratege und Trader mit viel Gespür für die Muster auf dem Markt. Weil Kälin viel unterwegs ist, werden die Anlageideen meist am Telefon diskutiert.
Investiert wird auf zwei Arten. Zum einen emotionslos mithilfe eines selbst entwickelten Programms. Hier reicht der Track Record bis 2003 zurück. Die durchschnittliche jährliche Rendite liegt bei 16 Prozent. Zum anderen identifiziert man Opportunitäten. «Wir konzentrieren uns sehr intensiv auf wenige ausgewählte Themen, das ist am gewinnbringendsten. Meistens sind wir nur in eine Handvoll Ideen gleichzeitig investiert», sagt Löfgren. Langfristig wurde vor Jahren mit dem ETF Sprott Physical Uranium Trust und ausgewählten Uranminen auf das Revival der Atomkraft gesetzt.
Vom durchschlagenden Erfolg Donald Trumps überzeugt, haben sich die beiden zudem mit Wetten auf fallende Kurse bei Herstellern von Impfstoffen in Stellung gebracht. Als Trump, wie von den Investoren erwartet, Robert F. Kennedy Jr. als Gesundheitsminister nominierte, brachen die Werte von Firmen wie Biontech oder Moderna ein.
Der Gegenwind hält wohl an. Löfgren rechnet mit einem Verbot der TV-Werbung von Pharmaunternehmen. US-Pharmaaktien werden sich laut Löfgren unterdurchschnittlich entwickeln. «Wir gehen davon aus, dass Kennedy die FDA komplett umgestalten wird, einschliesslich des Zulassungsverfahrens», sagt Löfgren. Weil er sich nicht um eine Wiederwahl kümmern müsse, agiere Trump frei. «Die Trump-Administration wird noch radikaler sein als vom Durchschnittsanalysten erwartet», sagt Löfgren. Das bringe 2025 sehr interessante Möglichkeiten für Stockpicker.
Fallende Kurse sagt Löfgren auch für Waffenhersteller und grosse Technologiekonzerne voraus. Vor allem jene Firmen, die sich in der Vergangenheit gegen Trump gestellt haben, wie Meta, Google oder Apple, würden leiden. Bei Apple komme zu den Problemen noch ein starker Fokus auf China hinzu. Löfgren verkauft Apple-Aktien leer. Zu den Sektoren, die sich besser entwickeln könnten, gehören seiner Ansicht nach US-Bauunternehmen und Investitionen im Bereich der Kernenergie, einschliesslich Uranbergbauunternehmen. Zwar werde irgendwann zu viel Uran erzeugt, doch das dauere mindestens noch zwei Jahre. Trumps Motto «Drill, baby, drill!» spricht auf den ersten Blick für fallende Ölpreise. Doch haben die Schieferölvorkommen in den USA laut Löfgren bereits den Peak erreicht. Auf stabile oder leicht steigende Ölpreise wettet Löfgren mittels kanadischer Ölkonzerne wie Cenovus oder Baytex Energy. «Hier muss man nicht sehr wählerisch sein, die sind alle günstig», sagt Löfgren.
Löfgren und Kälin nehmen die Verwaltung ihres Geldes selber in die Hand. Andere Family Offices vertrauen in vielen Bereichen auf externe Spezialisten. Dafür wurde die Bezeichnung «Virtual Family Office» kreiert. Bei der Entwicklung kommt Thomas Herrmann mit seiner Mosaik Capital zum Zug. Der ehemalige CS-Experte bietet für Familien das Investment Office als Dienstleistung an. «Die Nachfrage ist enorm. Es ist ein Gebiet, das Banken wegen ihrer eigenen Produkte nicht glaubwürdig anbieten können», sagt Herrmann.
Anders als ein Vermögensverwalter schlägt er keine fixfertigen Depots vor, sondern berät Familien bei der übergeordneten Asset Allocation. Zur Erklärung verwendet der Deutsche gerne das Bild einer Fussballmannschaft: Der Kunde ist der Clubbesitzer, er selber fungiert als Sportchef oder Trainer. Mit dem Family Office wird besprochen, ob recht offensiv oder eher defensiver gespielt werden soll. Gemeinsam geht man dann auf die Suche nach den passenden Spielern, also spezialisierten Asset Managern, etwa Experten für Hedgefonds oder Obligationen. Anders als CIOs, die in den Medien auftreten, hält sich Herrmann kaum mit Marktprognosen auf. «Keiner weiss, was in Zukunft passiert und wie sich die Märkte entwickeln. Den meisten Family Offices ist das auch klar.»
Wirksame Streuung
Um mit dieser Unsicherheit umzugehen, liegt der Schwerpunkt auf einer wirklich wirksamen Diversifikation. Die Aufstellung wird geprüft. «Laufen in einem sonnigen Umfeld alle Teile des Portfolios gleich gut, leuchten bei uns die Alarmlämpchen auf», sagt Herrmann. Das sei ein klares Zeichen für mangelhafte Diversifikation und bedürfe einer Nachjustierung. Grundsätzlich sei das Vermögen über möglichst viele Anlageklassen zu verteilen. Neben Aktien, Hedgefonds, Privatmarktanlagen, Immobilien und Gold haben auch Kryptoanlagen ihren Platz. Auf klassische Muster zu vertrauen, sei gefährlich. Wie falsch eine Absicherung gegen Rezessionsrisiken über lang laufende Obligationen sei, habe sich 2022 gezeigt, als die Kurse der Langläufer im Gleichklang mit den Aktien nach unten rauschten.