Einfaches Produkt, clevere Idee: eine Plastikflasche, gefüllt mit Hahnenwasser. Darin ein Trinkhalm verbunden mit einem Duftring auf dem Mundstück. Man saugt das Wasser mit der aromatisierten Luft an – runter geht der Inhalt geschmacklich wie Cola oder ein anderes echtes Süssgetränk. Allerdings ohne eine einzige Kalorie zu sich zu nehmen. «Wir tricksen das Gehirn aus. Es denkt, man trinke Wasser mit Geschmack», sagt Lena Jüngst (29).
Die Erfindung heisst «Air up». Das Trinksystem ist auf den Pausenplätzen der Schulen buchstäblich gerade in aller Munde.
Air-up-Gründerin Jüngst und ihre vier geschäftsführenden Mitstreiter haben erreicht, wovon viele Start-ups träumen. Knapp eineinhalb Jahre nach Lancierung ihrer Erfindung in Deutschland ist die Firma in sieben weiteren Ländern am Markt. Und Jüngst ist bereits eine gemachte Frau und Millionärin. «Abgefahren fühlt sich das an», sagt die Münchnerin. «Dass wir die Firma so schnell zum Fliegen bringen konnten und profitabel sind, ist schon krass.»
Blick trifft die 29-Jährige bei ihrem Schweiz-Besuch. Mitten in Zürich gründet sie gerade eine Niederlassung. Ihr Jungunternehmen wächst rasant. Inzwischen zählt es schon über 170 Angestellte. Für die Expansion in die USA, die Jüngst derzeit plant, fehle es an ausreichend Fachpersonal. «Wir haben über 60 offene Stellen und suchen dringend talentierte Leute, auch bei euch in der Schweiz.»
60 Rappen pro Liter aromatisiertes Wasser
Abgesehen vom Heimmarkt Deutschland, mit einem nationalen Vertrieb über die Drogerie-Ketten Rossmann und Müller, läuft der Verkauf via Internet. Seit Frühjahr 2021 ist der Schweizer Webshop aufgeschaltet. Die Flasche im «X-Mas-Starter-Set» mit fünf Duftringen kostet 49 Franken. Das reicht für 25 Liter. Rechnet man den Preis von einem Duftring herunter, sind das knapp 60 Rappen pro Liter aromatisiertes Wasser.
Jüngst: «In keinem anderen Land ist der Verkaufsstart so schnell und gut gelaufen wie in der Schweiz.» Dies wohl nicht ohne Grund: Der Verkaufsverantwortliche bei Air up ist ein Schweizer. Jüngst weiss, im Alpenland ist die Kaufkraft hoch, und vor allem: «Die Schweizerinnen und Schweizer haben auch ein gutes Auge für Design und Innovation.» Die grösste Käufergruppe, die Generation Z, sind die 18- bis 25-Jährigen, ihr Lieblingsaroma: Wassermelone, gefolgt von Cola.
Die gute Laune der Jungunternehmerin steckt an. Ob es schon immer ihr Traum war, selbständig zu sein? Der Prototyp einer Start-up-Chefin sei sie jedenfalls nicht. Ihre Mutter ist Lehrerin, ihr Vater Richter, ihre vier Geschwister haben ebenfalls keinen unternehmerischen Hintergrund. «Ein Teil meiner Familie sind typisch deutsche Beamte, ein anderer Teil sind wilde Künstler. Eine explosive Mischung», erklärt Jüngst. «Ich bin irgendetwas dazwischen.»
«Stoffübergang vom Duftring ins Wasser ist minimal»
Den Look der Flasche habe sie entworfen, so die Produktdesignerin, die als Kind gern an ihren Spielzeugen herumgebastelt hat. Die Idee für die Millionen-Flasche kam während der Bachelor-Arbeit an der Uni in Schwäbisch Gmünd auf.
Gesundheitliche Bedenken beim Einatmen der Duftstoffe wischt sie vom Tisch: «Da muss man sich keine Sorgen machen.» Der Duft gelangt mit dem Wasser in den Mund, dort trennt er sich von der Flüssigkeit und gelangt vom Rachenraum hoch zu den Riechrezeptoren und wird dort als Geschmack wahrgenommen und wieder ausgeatmet. «Die Duftstoffe sind natürliche Aromen, werden aus Pflanzen hergestellt. Der Stoffübergang vom Duftring ins Wasser ist minimal.» So könnten Menschen, die auf bestimmte Früchte oder Pflanzen allergisch sind, diese Geschmacksrichtungen ohne Probleme mit dem Trinksystem geniessen, sagt Jüngst.
Was sein könnte, ist, dass der Geschmack der Düfte für manche zu wenig intensiv ist im Vergleich zu einer Cola. Zucker werde eben grossteils über Rezeptoren auf der Zunge aufgenommen.
US-Riese Pepsico steckt Millionen in Air-up-Jungfirma
Dennoch: Kein Zucker, keine Kalorien – das zieht nicht nur bei Eltern, sondern auch bei den Investoren. Die jungen Konsumenten schlucken ohne Murren sogar Preiserhöhungen, stellt Jüngst fest. «Der Vorteil, dass man keinen Zucker und keine Zusatzstoffe zu sich nimmt, ist anscheinend so gross, dass die Leute bereit sind, für das Produkt auch langfristig zu zahlen.»
Laut Jüngst hat ihr Unternehmen bislang 60 Millionen Franken in Finanzierungsrunden eingesammelt. Der US-Getränkeriese Pepsico hat sich im zweistelligen Millionenbereich beteiligt und kürzlich nochmals aufgestockt. Im September ist der Pariser Food-Fonds Five Seasons eingestiegen.
«Die Kontrolle über die Firma ist aber noch in unserer Hand», bekräftigt Jüngst, die einen hochgerechneten Jahresumsatz von 100 Millionen Franken bestätigt.
«Bierduft war eine Schnapsidee»
Verbesserungspotenzial sieht sie beim ökologischen Fussabdruck. Derzeit wird das Trinksystem in China hergestellt. «Wir sind gerade dabei, die Produktion näher zu uns zu holen. Wir haben bereits eine Produktion für die Duftringe in der Türkei aufbauen können und sind gerade dabei, eine Produktionsstätte in Zentraleuropa aufzubauen.» Kompostierbar sind die Duftringe noch nicht. Deren Transport sei aber deutlich CO2-effizienter als die PET-Flaschen in den Ladenregalen.
«Allein in der Schweiz konnten wir mit unseren Produkten schon potenziell mehr als 3 Millionen PET-Flaschen einsparen», so die Air-up-Gründerin weiter.
Und warum hat das Start-up aus Bayern noch kein Bieraroma am Start? «Bierduft hatten wir tatsächlich am Anfang, aber das war eine Schnapsidee», sagt Jüngst und lacht. Aber solche Experimente sind verkraftbar, wenn man bereits Millionen im Rücken hat.