Während Sunrise 180 Angestellte vor die Tür setzen will, klagt die Wirtschaft lauter denn je über den Fachkräftemangel – wie geht das zusammen? Laut dem Personalvermittler Adecco und der Universität Zürich erreicht der Fachkräftemangel in der Schweiz einen neuen Höchstwert. Um 24 Prozent hat er im Vergleich zum Vorjahr zugenommen, wie die neuste Ausgabe des jährlichen Fachkräftemangel-Index zeigt.
Allerdings: Das Wachstum hat sich verlangsamt. Im Vorjahr spitzte sich der Fachkräftemangel noch um 69 Prozent zu. Das aktuelle Plus von 24 Prozent wirkt dagegen beinahe läppisch. Schuld an der Verlangsamung sind Inflation, starker Franken, trübe Weltwirtschaftsaussichten und geopolitische Unsicherheiten. Exportorientierte Wirtschaftszweige trugen laut der Erhebung denn auch weniger zum Personalmangel bei als die robuste Binnenwirtschaft, darunter das Gastgewerbe.
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Aber die unfreiwillige Verschnaufpause durch die konjunkturelle Abkühlung wird wohl nur von kurzer Dauer sein. Langfristig kommen sämtliche Schweizer Arbeitgeber nicht um den Fachkräftemangel herum, betont Marcel Keller, Schweiz-Chef von Adecco: «Einflussfaktoren wie die alternde Bevölkerung, die fortschreitende Digitalisierung und der Übergang zu einer Green Economy werden diese Entwicklung auch in Zukunft weiter antreiben.»
Informatiker mit schlechteren Karten auf dem Arbeitsmarkt
Am meisten Fachkräfte fehlen gemäss der Untersuchung in den Gesundheitsberufen. Es mangelt etwa an Pflegepersonal oder Apothekern. An zweiter Stelle folgen IT-Berufe. Allerdings: Während sich der Mangel beim Gesundheitspersonal stark verschärfte, nahm er in der IT ab.
Google, Meta und Co. bauten im Zuge der weltweiten Tech-Krise auch in der Schweiz viele Stellen ab – das macht sich nun bemerkbar. «Die Turbulenzen in der Informatik-Branche haben deutliche Spuren auf dem Stellenmarkt hinterlassen», sagt dazu Yanik Kipfer (33) von der Uni Zürich. Alleine im September nahm die Zahl der Arbeitslosen in der Informatik-Branche um 45 Prozent zu im Vergleich zum Vorjahresmonat.
Auf Platz 3 folgen «ingenieurtechnische und vergleichbare Fachkräfte». Dazu gehören etwa Maschinentechnikerinnen und Heizungsplaner. Insgesamt sind technische Berufe in den Top 10 stark übervertreten. Für die Schweizer Industrie wird das immer mehr zum Problem. Gerade auch, weil ihnen nicht nur die Ingenieurinnen mit Hochschulabschluss fehlen – sondern auch Berufsgruppen mit Lehrabschluss. Es mangelt an Elektrikerinnen, Polymechanikern und Co.
Zu viele Chefs
Hie und da herrscht aber ein Überangebot an Personal: Etwa bei den Hilfsarbeitskräften, den allgemeinen Büro- und Sekretariatskräften, denen die Digitalisierung die Jobs streitig macht, sowie bei den Führungskräften. Das erklärt denn auch, warum die am Montag angekündigte Massenentlassung bei Sunrise nicht im Widerspruch zum Fachkräftemangel steht. Der Telekomanbieter kündigte an, nicht etwa im Call Center oder in den Shops den Rotstift anzusetzen – sondern bei den Führungspersonen.