Der S&P 500 Index erreicht fast laufend neue Allzeithochs. Geht die Rally weiter?
Jeffrey Sherman: Der S&P 500 ist im historischen Vergleich eher teurer bewertet. Die gute Nachricht ist aber, dass die Rally vom Technologiesektor angetrieben wird. Dieser weist ein überdurchschnittliches Gewinnwachstum auf. Der Gesamtmarkt ist entsprechend eng auf eine Handvoll Aktien konzentriert. So erscheint die Bewertung aus historischer Sicht durchaus etwas reichhaltig.
Ein Argument für die teure Bewertung ist die Gewinnrendite im Vergleich zur Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen?
Beide Renditezahlen bewegen sich in etwa auf Augenhöhe. Insofern sind Aktien im Vergleich zu Anleihen nicht wirklich teuer. Vielmehr ist die US-Wirtschaft robust und das Gewinnwachstum dem Zyklus angemessen. Dabei ist nicht nur das reale Bruttoinlandprodukt (BIP), sondern auch das nominale BIP relativ stark. Das zieht den Aktienmarkt nach oben.
Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.
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Ist die «hartnäckige» Inflation kein Problem?
Ein bisschen Inflation ist in einer kleinen Dosis einigermassen gut für den Aktienmarkt, denn offensichtlich werden die Preise in nominalen Dollars festgesetzt. Von diesem Standpunkt aus lässt sich also kaum sagen, dass man kurzfristig mit einem Rückgang rechnen sollte, auch wenn im historischen Sinn die Preise nicht günstig sind.
Unternehmen, die die Gewinnerwartungen erfüllen, können mit weiter steigenden Aktienkursen rechnen?
Sicher, denn zu diesem Zeitpunkt ist alles eine Funktion der Unternehmensgewinne. Die Perspektiven der künftigen Gewinne sind für den S&P 500 immer noch ziemlich rosig und wir erwarten für das laufende Kalenderjahr ein Gewinnwachstum von etwa sieben Prozent. Derzeit empfehlen wir Aktienanlegerinnen und Anleger aber kein direktes Investment in den S&P 500 Index, sondern die zwei Alternativen «Fortune 500 Equal Weight ETF» und «DoubleLine Shiller CAPE U.S. Equities ETF».
Was ist die Überlegung dahinter?
Einerseits haben wir mit dem «DoubleLine Shiller CAPE U.S. Equities ETF» ein Sektorrotationsprodukt, das auf der Bewertung von Aktien im Case-Shiller-Index basiert. Es investiert monatlich ausschliesslich in die vier bis fünf am attraktivsten bewerteten Sektoren der total elf Sektoren, aus denen sich der S&P 500-Index zusammensetzt. Um nicht in sogenannte Value-Fallen zu tappen, eliminiert die Strategie aus diesen fünf Value-Sektoren den Sektor mit der schlechtesten Rendite der letzten zwölf Monate und investiert mit gleicher Gewichtung in die verbleibenden vier. Dies scheint eine vernünftigere Strategie zu sein, da bestimmte Sektoren in den USA ziemlich teuer geworden sind.
Wie unterscheidet sich der «Fortune 500 Equal Weight ETF» zum Beispiel gegenüber dem «SPDR S&P 500 ETF Trust»?
Die Fortune-500-Liste wird seit etwa 80 Jahren veröffentlicht. Während der S&P 500 Index sich bei der Gewichtung an der Börsenkapitalisierung orientiert, ordnet Forbes die Unternehmen anhand des erzielten Umsatzes ein. Dadurch werden die grössten umsatzgenerierenden Unternehmen in den USA ermittelt. Wir folgen hier einem Prozess, der die Wertpapiere gleich gewichtet und vierteljährlich neu anpasst. Wie auch beim Case-Shiller-Index ist der Multiplikator gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis deutlich niedriger als beim S&P 500 ist. Das sind also zwei Alternativen, die wir den Anlegern anbieten.
Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, zum Beispiel mehr in Value-Aktien zu investieren statt in Technologie?
Technologieaktien waren weltweit die Spitzenreiter bei den Kursgewinnen. Der Grossteil davon befindet sich in den USA, wo das Gewinnwachstum sehr ausgeprägt ist. Das hat die Aktienkurse generell angehoben und die Rally ist etwas breiter geworden. Für den Moment üben die ausbleibenden Zinssenkungen aber etwas Druck auf die Value-Titel aus.
Sind die hohen Zinsen problematisch, wenn sie länger auf einem hohen Niveau bleiben?
Die höheren Zinsen sind vor allem ein Gegenwind für die kleinen Firmen, insbesondere in den letzten eineinhalb Jahren. Blue-Chip-Unternehmen oder höherwertige Namen haben 2020 und 2021 erhebliche Mengen an Schulden am Kapitalmarkt neu refinanziert – und das auch noch mit sehr langen Laufzeiten. Dadurch konnten sie Finanzierungen zu attraktiven Konditionen für einen längeren Zeitraum sichern. Im Small-Cap-Bereich haben Firmen dagegen nicht so viel Zugang zum Markt für Unternehmensanleihen. Diese «risikoreicheren» Unternehmen müssen bei der Refinanzierung entsprechend tiefer in die Tasche greifen und aufgrund der hohen Finanzierungskosten handelt es sich per definitionem um einen Markt mit kürzeren Laufzeiten. Viele kleinere Firmen wollen keine 30-jährigen Anleihen zu hohen Zinssätzen ausgeben. Sie versuchen, das Unternehmen zu verbessern und es später zu refinanzieren.
Wird die amerikanische Notenbank Fed an den hohen Leitzinsen festhalten?
In unserem Basisszenario gehen wir von einer Leitzinssenkung bis Ende Jahr aus. Wenn man bedenkt, wie unbeständig die Inflationsdaten in den letzten Monaten waren, dürfte die Fed den Leitzins den ganzen Sommer unverändert belassen. Es braucht wohl mindestens drei positive Verbesserungen bei der Inflationsrate, damit die Fed in diesem Jahr versuchen kann, eine Zinssenkung durchzusetzen. Entsprechend ist das Risiko hoch, dass es in diesem Jahr gar keine Zinssenkungen gibt und dass wir die erste Zinssenkung Anfang nächsten Jahres sehen werden.
Also gibt es so schnell keine neue Rally an den US-Obligationenmärkten?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Zinsmarkt meiner Meinung nach fair bewertet. In den letzten drei Monaten war es eine Einbahnstrasse und die Renditen sind vor allem am langen Ende deutlich angestiegen. Zu Beginn des Jahres waren über sechs Leitzinssenkungen eingepreist. Das war einfach zu viel und zu aggressiv.
Sind US-Staatsanleihen attraktiv?
Der beste Teil der Renditekurve ist am vorderen Ende mit kürzeren Laufzeiten. Das macht heute Sinn.
Für Anlegerinnen und Anleger mit einem langfristigen Zeithorizont scheinen 4,5 Prozent Rendite bei einer zehnjährigen US-Staatsanleihe attraktiv?
Das stimmt. Wenn man das in Bezug auf die Realrendite betrachtet, dann ist es attraktiv. Anlegerinnen und Anleger sollten aber die Inflation nicht aus den Augen verlieren. Es ist durchaus denkbar, dass die Inflation in den nächsten fünf Jahren bei rund drei Prozent verharrt. Ich denke deshalb, der Anleihemarkt wird die Inflation wieder einpreisen und es wird weiterhin eine attraktive Risikoprämie geben.
Sehen Sie Risiken für die US-Wirtschaft und den Aktienmarkt?
Das grösste Risiko in den USA ist der Arbeitsmarkt. Wir wissen, dass er robust ist, dank sinkender Kündigungsraten, geringer Anträge auf Arbeitslosenunterstützung und des allgemeinen Arbeitskräftemangels. Daher ist der Arbeitsmarkt die Schlüsselvariable. Die schlechte Nachricht ist, dass die Beschäftigung in der Wirtschaft normalerweise als Letztes bremst. Unternehmen entlassen keine Leute, weil das Management denkt, die Wirtschaft könnte in eine Rezession geraten. Sie tun es, weil sie glauben, die Wirtschaft steckt entweder bereits in einer Rezession oder ihr Unternehmen wird in Schwierigkeiten geraten. Das ist normalerweise der Grund für Entlassungen.
Die Arbeitsmarktdaten haben sich jüngst leicht abgeschwächt?
Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob 175’000 neu geschaffene Arbeitsplätze pro Monat im Jahr 2024 eine gute Zahl sei, dann hätte ich gejubelt. Vorher waren wir einfach verwöhnt mit über 300’000 neu geschaffenen Stellen pro Monat. Ein wichtiger Faktor ist zudem die Verlangsamung des Lohnwachstums. Das trägt dazu bei, dass sich die Fed bei ihren Inflationszielen wohler fühlt. Im Allgemeinen ist das positiv.
Gibt es eine Rezession in den USA?
Ich gehe davon aus, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Rezession im Jahr 2024 sehen werden. Das ist natürlich keine Wahrscheinlichkeit, denn die Dinge können sich schnell ändern. Aber angesichts der Stärke der US-Wirtschaft ist eine Rezession schwer zu erkennen.
Davon dürfte der Dollar weiter profitieren?
Im Allgemeinen sind die europäischen Märkte heute besser aufgestellt, und natürlich ist die Schweiz anders – sie geht gewissermassen ihren eigenen Weg. Von diesem Standpunkt aus wird der Dollar in der näheren Zukunft nicht wirklich schwächer.
Woran liegt das?
Ein Punkt ist insbesondere die neu entdeckte Widerstandsfähigkeit der Fed, mit den Zinsen länger auf einem höheren Niveau zu bleiben. Persönlich, als Dollar-Investor, möchte ich heute keine andere Währung besitzen. Ich habe den Luxus, in Dollar zu investieren. Der Dollar ist derzeit sehr stark, und es ist wirklich schwer vorstellbar, dass sich das ändern wird – es sei denn, es gäbe einen radikalen Wandel bei der Fed, der mögliche Zinssenkungen beschleunigen würde.
Jeffrey Sherman ist seit 2009 zusammen mit Jeffrey Gundlach Anlagechef der US-Investmentgesellschaft DoubleLine und vewaltet den DoubleLine Global Diversified Credit Fund. Früher war er beim Vermögensverwalter TCW als Portfoliomanager und Analyst im Bereich Fixed Income. Davor war er Dozent für Statistik und Mathematik an der University of the Pacific und der Florida State University und lehrte am CFA Institute. Sherman, der in Los Angeles lebt, hat zudem Abschlüsse in Mathematik und Financial Engineering.