Frau Petersen, weltweit sind die Teuerungsraten auf dem Rückzug. Ist die Inflation besiegt?
Ann-Katrin Petersen: Die meisten Notenbanken in den Industrieländern haben den Sieg über die Inflation noch nicht ausgerufen. Grund dafür ist, dass eine Reihe von Faktoren zwar dafür sprechen, dass die Inflation in diesem Jahr weiter zurückgeht. Wir erwarten auch, dass es sowohl in den USA als auch im Euroraum möglich ist, die Zwei-Prozent-Zielmarken der Federal Reserve und der EZB zu erreichen, zumindest vorübergehend. Es gibt aber auch Kräfte, die für einen hartnäckigen, unterliegenden Inflationsdruck sprechen.
Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.
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Welche?
Einer davon ist die angespannte Situation am Arbeitsmarkt – es fehlen Arbeitskräfte – und damit einhergehend der hartnäckig hohe Lohndruck. In den USA hat sich die Kerninflation im Dienstleistungssektor, ohne Unterkünfte, zuletzt sogar beschleunigt. Je nach Entwicklung der Güterpreise wäre es sogar möglich, dass sich die Inflation in den USA im Jahr 2025 wieder in Richtung 3 Prozent bewegt, und damit die Teuerung wieder aufflammt.
Das schöne Zinssenkungs-Szenario, das sich die Märkte zurechtgelegt haben, würde also Risse erhalten?
In den vergangenen Monaten wurden die Märkte beflügelt von der Erwartung niedrigerer Inflationsraten, die den Weg ebnen für Zinssenkungen, selbst wenn wir momentan in den USA eher eine Zinswende mit nur zwei bis drei Zinssenkungen in diesem Jahr eingepreist sehen. Das Ganze wird kombiniert mit einem gewissen Wachstumsoptimismus, auch im Lichte eines erhofften Produktivitätsschubs durch den Vormarsch der Künstlichen Intelligenz (KI). Sollte sich nun die Inflation aber hartnäckiger gestalten und in eine Achterbahnfahrt einschwenken, wie wir es für die USA erwarten, und sollten die Gewinne nicht mehr «geliefert» werden, dann wären das zwei Faktoren, die der Feierlaune an den Börsen die Stirn böten.
Was ist denn Ihre Erwartung bezüglich der Zinsen in den USA in diesem Jahr und darüber hinaus?
Es ist durchaus möglich, dass die Fed bis zu drei Zinssenkungen vollzieht in diesem Jahr. Zudem ist es für die Fed inzwischen keine Selbstverständlichkeit mehr, dass die Zinswende bereits im Juni eingeläutet wird. Und zunehmend entwickelt sich auch an den Märkten ein solches Szenario. Anders gestaltet sich die Situation im Euroraum. Hier haben sich die Anzeichen verdichtet, dass die Europäische Zentralbank im Juni den ersten Zinsschritt wagt.
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Die Schweizerische Nationalbank ist bereits vorgeprescht mit einer Zinssenkung. Wie beurteilen Sie das?
Es ist interessant, dass die SNB als erste der G10-Notenbanken die Zinsen gesenkt hat. Man sollte aber auch im Hinterkopf behalten, dass der Inflationsdruck in der Schweiz im internationalen Vergleich niedriger ausgefallen ist und zuletzt auch nachgelassen hat. Bedenken im Hinblick auf die verhaltene binnenwirtschaftliche Inflation spielten eine Rolle, neben dem starken Franken, der die importierten Preise gesenkt hat. Und hier wollte die SNB anscheinend schon frühzeitig gegensteuern.
Wie geht es an den bereits gut gelaufenen Aktienmärkten weiter in diesem Jahr?
Es ist gut möglich, dass das aktuell risikofreudige Narrativ der Märkte noch eine Weile genährt wird. Dieses Narrativ beinhaltet eine sanfte Landung der Wirtschaft, Zinssenkungen und einen gewissen Konjunkturoptimismus. Dies könnte andauern, bis die noch unterschätzte und vorher erwähnte Inflationsachterbahnfahrt in den USA zum Tragen kommt und/oder die Unternehmensgewinne schwächer ausfallen als erhofft. Insofern sind wir taktisch mit Blick auf die nächsten sechs Monate konstruktiv eingestellt, bleiben aber wählerisch, auch am globalen Aktienmarkt. In strategischer Hinsicht sind wir mittelfristig aber weniger konstruktiv, also neutral eingestellt, was den globalen Aktienmarkt anbelangt.
Das heisst, eine gewisse Vorsicht ist da?
Anleger sollten beachten, dass wir nicht mehr in die Welt zurückkehren, wie wir sie vor Ausbruch der Pandemie kannten. Dazu gehört, dass das Wachstum mit Blick nach vorne gedämpfter ist, die Inflation höher ausfällt und die Zinsen zwar fallen, sich aber auf strukturell höheren Niveaus einpendeln dürften.
Wir haben zwei Kriege in der Welt. Spielt das auch in Ihren Prognosen mit?
Szenarioanalysen spielen immer eine Rolle. Geopolitik ist einer der Faktoren, den wir auf dem Radar haben. Wir beobachten in diesem Zusammenhang eine Neuverkabelung der Weltwirtschaft, die wir jedoch nicht als Deglobalisierung bezeichnen. Dieser Strukturwandel ist, neben Demografie und dem Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Welt, einer der Gründe, weshalb wir mittelfristig gedämpftes Wachstum, einen höheren Kostendruck und höhere Zentralbank-Zinsen erwarten.
Wie sollen sich Anleger an Aktienmärkten bis aufs Jahresende positionieren?
Wir sind taktisch moderat übergewichtet bei US-Aktien. Hier spielten die Aussichten für Technologie und auch KI eine Rolle. Wir mögen in regionaler Hinsicht zudem Japan. Dort gestaltet sich die Situation ganz anders als in den anderen G7-Staaten. Die japanische Notenbank hat, ausgehend von einer ultra-lockeren Geldpolitik, eine geldpolitische Normalisierung angestossen. Der Zinserhöhungszyklus hat erst begonnen. Dieser dürfte aber sanft ausfallen. In Japan wurde zudem nicht nur das Deflationsgespenst inzwischen abgeschüttelt, sondern aktionärsfreundliche Reformen haben das Gewinnbild verbessert.
Welche Anlagemöglichkeiten sehen Sie in diesem Jahr ausser Aktien?
In einem Umfeld, in dem die Zinswende naht, bleiben Zinseinkommen ein attraktiver Baustein für ein ausgewogenes Portfolio. Wir bevorzugen kürzere Laufzeiten am Staatsanleihenmarkt vor längeren Laufzeiten.
Blackrock-CEO Larry Fink stand Bitcoin 2017 noch kritisch gegenüber, heute sieht er Bitcoin als «digitales Gold». Wieso diese Kehrtwende?
Was Bitcoin anbelangt, haben wir aufgrund der hohen Kundennachfrage ein Produkt in den USA aufgelegt.
Larry Fink hat kürzlich auch von einer «Pensionierungskrise» gewarnt. Weshalb?
Der demografische Wandel ist einer der strukturellen Umbrüche, die wir ganz genau beobachten. Der schon seit langem vorgezeichnete demografische Wandel hat Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft. So erwarten wir in den USA eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung, selbst im Lichte der Migrationsströme, die kürzlich zum überraschenden Beschäftigungswachstum beigetragen haben. Arbeitskräfte werden fehlen.
Die fehlen jetzt schon...
Ja, in Europa befinden wir uns bereits in einem Umfeld schrumpfender Erwerbsbevölkerung. In China schrumpft die Erwerbsbevölkerung bereits seit 2016. Das hat verschiedene Implikationen und natürlich auch Auswirkungen auf die Pensionen, die von staatlicher Seite getragen werden müssen. Dazu ist die Lebenserwartung gestiegen. Das heisst, jeder einzelne von uns muss einen grösseren Betrag für die Rente vorsehen, wenn wir denn tatsächlich länger gesund und fit leben. Und angesichts hoher Staatsverschuldungen ist dies ein sehr wichtiges Thema, auch, oder besser, vor allem in Europa.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie man als junger Mensch heute Wohlstand schaffen kann auf lange Frist.
Durch eine kluge Kapitalanlage.
Und die wäre?
Idealerweise fängt man früh an, Geld beiseite zu legen. Auch kleinere Beträge zahlen sich auf lange Frist aus. Dann sollte man eine strategische Allokation für sich definieren: Wie risikobereit bin ich? Auf wie viel Geld kann ich kurzfristig verzichten? Wie hoch sollte meine Aktienquote sein? Wie hoch sollte meine Anleihenquote sein? Diese strategische Allokation, zum Beispiel mittels eines Sparplans, sollte man in regelmässigen Abständen überprüfen.
Jetzt könnten Sie ein bisschen Vorbild sein und uns verraten, wie Sie persönlich Ihr Geld anlegen …
Allgemein geben wir keine Anlageempfehlungen. Ich kann Ihnen jedoch sagen, dass ich breit aufgestellt, also breit diversifiziert bin. Selbstverständlich bin ich am Aktienmarkt investiert und selbstverständlich auch am Anleihenmarkt. Und ich denke, spannend dürfte sein, dass sich die Attraktivität von «Fixed Income» gewandelt hat, seitdem ich auch als Anlegerin aktiv bin. Denn das Negativzins- und Niedrigzinsumfeld ist inzwischen Geschichte. Wir sprechen mittlerweile nicht mehr nur von TINA, also «There is no alternative to taking risks», sondern auch von BARB, nämlich «Bonds are back».
Ann-Katrin Petersen ist seit kurzem Anlagechefin für die deutschsprachigen Länder und Osteuropa bei Blackrock, dem weltgrössten Vermögensverwalter. Zuvor war sie über zehn Jahre als Kapitalmarktanalystin, Anlagestrategin und Europa-Ökonomin bei Allianz Global Investors und bei der Allianz tätig.
Das Interview mit Ann-Katrin Petersen fand am Rande des Institutional Money Kongresses von letzter Woche in Frankfurt statt.