«Ich verstehe die Welt nicht mehr!» Walter Reichel (77) aus Wädenswil ZH ist perplex, als er das Mahnschreiben in den Händen hält. Eigentlich wollte er bloss im Internet Elmex-Zahnhölzer bestellen, die in seiner Quartier-Migros ausverkauft waren. Doch eine Verkettung von Ereignissen und Entscheidungen führte dazu, dass der Rechnungsbetrag für Reichel inzwischen bei über 200 Franken liegt.
Es ist ein Anschauungsbeispiel für die Tücken des Onlinehandels. Im vorliegenden Fall fand Reichel am 11. September 2022 auf der Elmex-Website die gewünschten Zahnhölzer. Für deren Kauf konnte er aus unterschiedlichen externen Online-Händlern auswählen. Reichel entschied sich für ein Angebot des Marktplatzes dropino.ch und kaufte mehrere der rund 5 Franken teuren 32er-Päckli Zahnhölzer, der Warenwert belief sich auf 55.70 Franken.
Bei der Bezahlung entschied sich der Rentner für eine Bezahlung über den in der Schweiz verbreiteten Anbieter Powerpay mit Sitz in St. Gallen. Über diesen Zahlungsdienstleister kann man in Onlineshops einen Kauf auf Rechnung abwickeln.
Das heisst allerdings, dass der Rechnungsbetrag nicht an den Onlineshop, sondern an Powerpay überwiesen wird. Die Auftragsbestätigung von dropino.ch und die Rechnung von Powerpay waren sofort da. Reichel bezahlte aber nicht sofort, sondern wartete zu. «Ich bezahle die Ware, wenn sie da ist», so sein Credo. Diese kam allerdings lange nicht. Reichel wandte sich mehrfach an dropino.ch, wurde jedoch nur vertröstet, weil Elmex Lieferschwierigkeiten habe – dazu von einem Dropino-Mitarbeitenden in einem Schriftverkehr, der Blick vorliegt, den klaren Hinweis, die Verzögerungen seien «keine Verarschung».
Da Powerpay 30 Tage Zahlungsfrist einräumt, schickte diese im Oktober eine Mahnung an Reichel. Eine Bitte von dem Rentner, die Zahlungsfrist aufzuschieben und die Mahnung zu stornieren, wurde abgewiesen. Dazu eine Kundendienst-Mitarbeiterin von Powerpay: «Da wir gegenüber unseren Kunden das Ausfallrisiko tragen und die Forderungen auch vorfinanzieren, sind wir unbedingt darauf angewiesen, dass die Kunden sich an die in den AGB vereinbarten Zahlungsfristen halten.»
Stornierung unmöglich
Reichel bat bei Dropino mehrmals um Stornierung des Auftrags und damit auch der Rechnung. Nichts geschah. Ob in den AGB kein Rücktrittsrecht vom Kauf gewährt wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.
Am 30. November wurden die Zahnhölzer jedenfalls geliefert, fast drei Monate nach deren Bestellung. Reichel bezahlte umgehend die 55.70 Franken für die Ware. In der Zwischenzeit hatten sich bei Powerpay jedoch 127 Franken an Mahnungen und Gebühren aufgetürmt. Reichel wandte sich diesbezüglich an dropino.ch. Diese Firma ging jedoch nach Auslieferung der Ware auf Tauchstation. Inzwischen gibt es deren Website gar nicht mehr.
Powerpay besteht weiter auf der Zahlung – und setzte zuletzt noch einen oben drauf: Eine Inkasso-Übergabe. Kostenpunkt 50 Franken. Womit der Preis für die paar Päckli Zahnhölzer inklusive Mahnungen und Gebühren auf über 200 Franken gestiegen ist.
Schwer zu verstehende Geschäftsmodelle
Reichel findet die Situation «skurril»: «Ich glaube, das Vorgehen, nachdem Lieferant und Zahlungsdienstleister zwei fast völlig voneinander unabhängige Unternehmen sind, hat System.» Schockiert ist er insbesondere vom Kommunikationsverhalten der beiden involvierten Firmen, das er für «völlig inakzeptabel» hält.
Trotzdem wird Reichel voraussichtlich den Gesamtbetrag bezahlen müssen. Alexandra Scherrer (31), Geschäftsführerin der Beratungsfirma Carpathia, räumt ein, dass die Geschäftsmodelle im Online-Handel teils «schwer zu verstehen» sind: «Es liegt aber in der Verantwortung des Konsumenten, genau zu klären, mit wem ein Vertrag besteht und welches die damit verbundenen Pflichten laut AGB sind.» Der eigenmächtige Entscheid Reichels, die Ware erst nach Erhalt zu bezahlen, sei kaum zu rechtfertigen – selbst wenn die Ware verspätet ausgeliefert wird. «Sofern über Lieferschwierigkeiten informiert wird und die Ware letztlich auch ausgeliefert wird, lässt sich kaum etwas ausrichten», so Scherrer.
Die Expertin gesteht ein, dass es bei der Kommunikation mit Onlineshops nicht immer zum Besten steht. Sie rät deshalb, bei der Wahl einer Online-Plattform auf bekannte Anbieter wie Digitec-Galaxus, Brack oder Zalando zu setzen: «Diese sind vielleicht nicht immer die Günstigsten, aber absolut vertrauenswürdig.» Was bei kleineren No-Name-Shops leider manchmal nicht der Fall sei.