Die Gewerkschaften frohlocken: Ab nächstem Jahr soll es endlich mehr Lohn geben! «Nach schwierigen Jahren ernten wir die Früchte unserer Arbeit», sagt Daniel Lampart (55), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), zu Blick. Auch wenn die Verhandlungen noch laufen, sei es bisher gelungen, durchschnittliche Lohnerhöhungen zwischen 2,5 und 3 Prozent auszuhandeln.
Im Sommer wurde noch ein stürmischer Lohnherbst vorausgesagt. Die massive Teuerung nach der Pandemie sorgte bei den Reallöhnen zu einem Sinkflug. Laut einer Auswertung der Wirtschaftsberatungsfirma Wellershoff & Partners sanken sie zwischen Anfang 2021 und Mitte 2023 um 3,1 Prozent. Die Gewerkschaften forderten daher im Juli Lohnerhöhungen von fünf Prozent. Die Arbeitgeber erwarteten derweil rund zwei Prozent, wie eine Befragung von 4500 Unternehmen durch die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich zeigte.
Arbeitnehmer in starker Position
Durch den Arbeitskräftemangel ist die Arbeitnehmerseite in einer starken Position. Das zeigt sich im vorläufigen Verhandlungsresultat. «Es ist aber kein Wunschkonzert», sagt Simon Wey (47), Chefökonom des Arbeitgeberverbandes. Die durch den Gewerkschaftsbund geforderten fünf Prozent, die als Kompensation für vergangene Lohnverhandlungen verstanden werden, blieben illusorisch.
Schlussendlich müsse das Geld für Lohnerhöhungen zuerst erwirtschaftet werden. «Es liegt momentan einfach nicht mehr drin.» Denn Unternehmen zeigen sich aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Aussichten zurückhaltend. Sie würden nicht auf Vorrat zu hohe Löhne bezahlen wollen.
Oft kam es dabei zum Vorwurf, dass sich die Unternehmen unter dem Deckmantel der Inflation bereichern würden. Wey widerspricht dem. «Ein Grossteil der Unternehmen steht in einem internationalen Wettbewerb, da sind ungerechtfertigte Preiserhöhungen gar nicht möglich.» Und auch bei den Unternehmen sinke die Marge als Folge der Teuerung, etwa durch die gestiegenen Energiepreise.
Experten geben den Gewerkschaften recht
Jetzt reicht es immerhin in gewissen Branchen für eine Reallohnerhöhung. So kam es beispielsweise bei Coop zur «höchsten Lohnerhöhung seit Jahren», wie die Gewerkschaften vermeldeten.
«Ein Teil des Weges ist gemacht», sagt Lampart. Es gelte jedoch, in den nächsten Jahren weiter aufzuholen. Denn nicht in jeder Branche kann von einem Erfolg gesprochen werden. Insbesondere die Lohnverhandlungen mit dem Baumeisterverband scheiterten.
Der verhaltenen Zuversicht des SGB geben auch Experten recht: Gemäss Ökonom Klaus Wellershoff (59) würde der Lohn bereits in den nächsten zwei Jahren rascher wachsen als die Inflation. Das sei jedoch nicht nur positiv. «Die Zentralbanken werden das nicht gut finden.» Denn durch die höheren Löhne werde die Nachfrage steigen – und ein Inflationsrückgang schwierig zu bewerkstelligen.
Lampart sieht dies als vernachlässigbar. Auch nach der diesjährigen Runde stünden die Löhne höchstens ein Prozent über der Teuerung. Es gäbe grössere Sorgen als ein möglicher Inflationsschub: «Viele Arbeitnehmende verdienen zu wenig, um davon zu leben.»