Uhren-König Nick Hayek kritisiert Russland-Sanktionen
«Der Westen ist heuchlerisch»

Der Grossindustrielle kritisiert die Russland-Sanktionen scharf – und bedauert, dass die CS Schweiz nicht an die Börse gebracht wurde. Zudem spricht er mit SonntagsBlick über den Welterfolg seiner Moonswatch, die Gefahren des Luxus-Hypes sowie den Tod seiner Mutter.
Publiziert: 24.09.2023 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2023 um 10:05 Uhr
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Der Übervater: Nicolas G. Hayek (1928–2010, rechts) kam 1949 aus dem Libanon in die Schweiz. Hier avancierte er ab Mitte der 80er-Jahre zum Retter der Uhrenindustrie. 2003 übergab er den CEO-Posten seinem Sohn Nick (l.).
Foto: Keystone
Thomas Schlittler und Beat Schmid

Aussenminister Ignazio Cassis (62) sorgte vor einigen Tagen für Aufsehen, weil er verkündete: «Ich lese keine Zeitungen mehr.» Das trifft auf Nick Hayek (68) definitiv nicht zu. Der Patron der Swatch Group zitiert gleich reihenweise Zeitungsartikel, als er SonntagsBlick am Hauptsitz in Biel empfängt. Das Interview beginnt deshalb nicht mit einer Frage, sondern mit einer Medienschelte des Unternehmers ...

Nick Hayek: In den letzten Wochen sind in einigen Schweizer Zeitungen Artikel erschienen, die Dinge behauptet haben, die einfach nicht den Fakten entsprechen. Jeder darf seine Meinung haben – auch eine kritische –, aber wenn es um Zahlen geht, muss man präzise sein.

SonntagsBlick: Können Sie ein Beispiel nennen, Herr Hayek?
Nachdem bekannt wurde, dass Rolex den Uhren- und Schmuckhändler Bucherer übernimmt, wurde auf einem Finanzblog beschrieben, wie schlimm das sei für die Swatch-Gruppe – weil wir mit Bucherer eine Milliarde Franken Umsatz machen würden. Tatsächlich betrug unser Umsatz 2022 mit der Bucherer-Gruppe weltweit gerade einmal 30 Millionen Franken oder 0,4 Prozent unseres Umsatzes. Warum hat uns niemand kontaktiert, um zu verifizieren, ob diese Milliarde stimmt oder nicht? Auch die meisten Zeitungen, die diese Geschichte übernahmen, taten dies nicht.

In den Artikeln wurde auch thematisiert, dass die Swatch Group Marktanteile verloren habe …
… und was waren die Quellen? Der Journalist hat sich auf sogenannte Experten und Berater berufen. Dabei geben die meisten Uhrenfirmen ja gar keine Verkaufszahlen bekannt. Die einzigen Zahlen, die einen zuverlässigen Branchenvergleich zulassen, sind die Exportumsätze, die die Fédération Horlogère Suisse publiziert. Dort haben wir von Januar bis Ende Juli 2023 in allen Preissegmenten gleich gut oder viel besser abgeschnitten als die Gesamtbranche. Die Schweizer Uhrenindustrie hat die Exportzahlen bis Ende Juli 2023 um 10 Prozent gesteigert, die Swatch Group um 19 Prozent.

Die Studien bezogen sich teils auf einen längeren Zeitraum.
Die Basis von Studien bilden Zahlen. Wenn man aber Zahlen vermischt, die man grösstenteils gar nicht verifizieren kann, dann muss man diese Studien mit Vorsicht geniessen. Richemont und wir sind die Einzigen in der Schweizer Uhrenindustrie, die zuverlässige Zahlen publizieren, weil wir börsenkotiert sind. Alle anderen können behaupten, was sie wollen, etwa dass sie 10 oder 50 Prozent wachsen oder eine Milliarde umsetzen.

Was sagen Sie zur Kritik, die Swatch-Gruppe habe die Fokussierung auf das Luxussegment verschlafen?
Im Gegenteil. Die anderen Hersteller haben verschlafen, dass es neben dem Luxussegment noch andere Segmente gibt. Schauen Sie sich nur den phänomenalen Erfolg der MoonSwatch und der Scuba Fifty Fathoms an. Die Schweizer Uhrenindustrie hat schon mal in den 70er-Jahren den Fehler gemacht, sich nur auf die teureren, hochpreisigen Segmente zu fokussieren – und ist in eine grosse Krise geraten. Die Swatch hat damals die Wende für die gesamte Industrie gebracht. Einige wenige Luxusmarken, so gross sie auch sein mögen, machen noch keine Schweizer Uhrenindustrie. Wir sollten nicht nur für eine Elite Produkte herstellen, sondern für alle.

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«Dabei geht es doch vor allem um Spekulation und auch Manipulation»
Nick Hayek, Swatch-Chef
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Trotzdem: Haben Sie in der Markenpflege nicht etwas verpasst? In den 60er-Jahren war Omega der grössere Brand als Rolex. Heute ist es umgekehrt.
Ja, das ist korrekt. Das war aber vor der grossen Uhrenkrise in den 70er-Jahren. Danach musste mein Vater Omega von nicht einmal 250 Millionen Franken Umsatz wieder zu dem machen, was sie heute ist: eine der innovativsten und bekanntesten Marken der Schweizer Uhrenindustrie. Omega macht heute ungefähr 2,5 Milliarden Franken Umsatz. Ja, die Rolex macht sicherlich mehr, aber Grösse allein ist nicht ein Wert für sich. Die Schweiz ist ja auch nicht das grösste Land der Welt, und trotzdem ist sie sehr erfolgreich.

Auch der Wiederverkaufswert einer Rolex ist viel höher.
Da wird viel Blabla darum gemacht. Dabei geht es doch vor allem um Spekulation und auch Manipulation. Mit künstlicher Verknappung, Limited Editions und zum Teil Pseudo-Angeboten wird dieser Markt stark beeinflusst. Darum will die Swatch Group dort nicht aktiv sein.

Anfang des Jahres haben Sie sich zum Ziel gesetzt, 2023 neun Milliarden Franken Umsatz zu erreichen. Werden Sie das schaffen?
Das hängt von der Entwicklung des Schweizer Frankens ab. In Lokalwährungen könnten wir den Rekordumsatz erreichen. Schauen Sie sich unser Halbjahresresultat an. Dort haben wir einen Rekordumsatz von 4,019 Milliarden Franken erzielt. Das ist 11,3 Prozent mehr als im Vorjahr, aber zu konstanten Wechselkursen sind wir um 18 Prozent gewachsen. Nehmen wir den Monatsumsatz von August: Bei etwas mehr als 700 Millionen Franken beträgt der Währungseinfluss rund 70 Millionen Franken. Ohne den negativen Währungseffekt wäre der Umsatz also über 770 Millionen Franken gewesen. Die negative Währungssituation ändert aber nichts am riesigen Potenzial, das wir mit unseren Marken auf der Welt haben.

Und wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren? 2013 hatten Sie einen Umsatz von 8,8 Milliarden Franken. 2022 waren es 7,5 Milliarden.
Es ist schwierig, ein Fazit zu ziehen. In diesen zehn Jahren finden Sie fast drei Jahre Covid-Effekte, wo zum Teil fast alle unsere Geschäfte geschlossen wurden und natürlich eine extreme Stärke des Schweizer Frankens. Die Swatch Group hat über diese Jahre massiv weiter in die industrielle Basis in der Schweiz und ins Personal investiert. Wir sind auch der grösste Ausbilder von Lehrlingen, wenn es um industrielle Betriebe in der Schweiz geht. Was die Innovation angeht, hatten wir letztes Jahr 231 angemeldete Patente laut dem European Patent Office, bei Richemont waren es 31, bei Rolex 26. Das Festhalten an unserer Strategie, alles selber in der Schweiz in unseren mehr als 100 Fabriken herstellen zu können, beweist, wie langfristig die Swatch Group aufgestellt ist. Das können wir aber nur, weil wir unabhängig sind und eine starke Bilanz haben: über 2 Milliarden Franken Cash und keine Schulden. Das sind alles Dinge, die für uns als industrielles Unternehmen wichtig sind. Einige Finanzanalysten und die Börse bewerten das natürlich ganz anders.

Ist es Ihnen egal, was die Börse von der Swatch Group hält?
Wir verkaufen Uhren und nicht Aktien. Die Börse ist und bleibt zu grossen Teilen ein Casino, das von Gerüchten lebt und unglaublich kurzfristig ausgerichtet ist. (Hayek holt eine Karikatur, die auf einem Regal steht.) Das Börsen-Casino funktioniert in etwa so: «I’ve got a stock here that could really excel.» (Auf Deutsch: «Ich habe hier eine Aktie, die richtig abgehen könnte.») «Excel?» «Sell?» «Sell!» «Sell!» «Sell!» Dann plötzlich einer: «I can’t take anymore. Goodbye!» «Good bye?» «Buy?» «Buy!» «Buy!» «Buy!»

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«Wir verkaufen Uhren und nicht Aktien»
Nick Hayek, Swatch-Chef
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Die Neulancierung mit Blancpain ist erst wenige Tage alt. Ihr erstes Fazit?
Überwältigend. Der riesige Erfolg weltweit, den wir seit März 2022 mit der MoonSwatch haben, setzt sich auch mit der Scuba Fifty Fathoms fort. Ob in Japan, Amerika, Australien, China, Thailand, Italien oder in der Schweiz – überall ist die Nachfrage riesengross. Ein nicht limitiertes Produkt, das über 1½ Jahre im Mittelpunkt des Interesses von so vielen Menschen steht, ist einmalig. Die ganze Schweiz kann auf diesen Erfolg stolz sein, denn vergessen wir nicht, die Swatch wird hier bei uns in der Schweiz hergestellt.

Wer hatte die Idee dazu?
Am Anfang stand die Suche nach einem neuen, innovativen Material für die Swatch. 2019 gelang uns mit einem kleinen Team der ETA nach langem Tüfteln der Durchbruch mit Bioceramic, einem neuartigen Mix aus Keramik und biobasierten Materialien. Die anderen Marken des Konzerns interessierten sich sofort für dieses neue Material, aber ich habe klar entschieden, dass Bioceramic exklusiv bei Swatch verwendet wird. Trotzdem machte ich mir aber Gedanken, wie ich unsere anderen Marken ins Spiel bringen könnte. Das Resultat sehen Sie mit der MoonSwatch und der Scuba Fifty.

Persönlich: Nick Hayek

Nick Hayek (68) gilt als das «Enfant terrible» der Schweizer Wirtschaft. Zusammen mit seiner Schwester Nayla Hayek (72) leitet er die Bieler Swatch Group und führt das Erbe seines Vaters, Uhrenpionier Nicolas G. Hayek (1928–2010), weiter. Bevor er 1994 bei Swatch eintrat, studierte er an der Filmakademie und liess sich zum Regisseur ausbilden. Als Höhepunkt seines filmischen Schaffens gilt der Film «Family Express» (1992) mit Peter Fonda (1940–2019).

Nick Hayek (68) gilt als das «Enfant terrible» der Schweizer Wirtschaft. Zusammen mit seiner Schwester Nayla Hayek (72) leitet er die Bieler Swatch Group und führt das Erbe seines Vaters, Uhrenpionier Nicolas G. Hayek (1928–2010), weiter. Bevor er 1994 bei Swatch eintrat, studierte er an der Filmakademie und liess sich zum Regisseur ausbilden. Als Höhepunkt seines filmischen Schaffens gilt der Film «Family Express» (1992) mit Peter Fonda (1940–2019).

Es war also Ihre Idee?
Das spielt keine Rolle. Wichtiger ist es, eine Idee zum Leben zu bringen und dazu noch erfolgreich zu sein. Wir haben dann Prototypen von ikonischen Modellen gebaut, wie der Omega Speedmaster, der Seamaster, der Blancpain Fifty Fathoms – und auch von externen Marken. Als wir diese in den Händen hielten, war uns klar, dass das eine positive Revolution auslösen könnte und für Swatch super ist. Aber was passiert mit Omega und Blancpain bei einer Kollaboration? Werden sie auch von dieser Partnerschaft profitieren oder nehmen sie Schaden? Ich kann mich noch erinnern, als ich das erste Mal dem Omega-Chef den Speedmaster-Prototypen gezeigt habe. Nach dem ersten Schock, weil das unvorstellbar war, erkannten wir gemeinsam je länger je mehr, dass es eine klare Win-win-Situation für Omega und Swatch ist. Wir können jungen Menschen auf der ganzen Welt die Geschichte der Schweizer Uhrenindustrie näherbringen. Wie viele Leute wussten vorher, dass Omega auf dem Mond war? Das Gleiche gilt für die Fifty Fathoms, nicht auf dem Mond, aber unter Wasser. Plötzlich kennen Japaner, Amerikaner und Chinesen diese Geschichten, ohne dass sie Uhrenspezialist sein müssen. Und zum ersten Mal können es sich auch viele Leute leisten, sich ein Produkt von Omega oder Blancpain zu kaufen. Dies ist positiv für die gesamte Schweizer Uhrenindustrie.

Wie geht es nun weiter? Kommen auch Breguet, Glashütte und alle anderen noch als Swatch?
Was noch kommt, kann ich nicht sagen. Ich sage nur: Die Schweiz kann stolz sein auf den Erfolg unserer Industrie. Wir haben allein durch den Erfolg von MoonSwatch 500 neue Stellen in der Schweiz geschaffen.

Die Swatch Group wird dominiert von der Familie Hayek …
… nein, die Familie Hayek dominiert das Unternehmen nicht. Wir sind der grösste Einzelaktionär und engagieren uns in diesem Unternehmen. Wir hätten das nicht tun müssen. Meine Schwester, mein Neffe und ich könnten uns auch einfach Dividenden auszahlen lassen und das Leben geniessen. Dann müsste ich mich hier nicht mit Ihnen herumschlagen (lacht).

Dominieren war nicht negativ gemeint. Wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen mit Ihrer Schwester Nayla und Ihrem Neffen Marc Hayek?
Dieses Unternehmen hat einen funktionierenden Verwaltungsrat und eine Geschäftsleitung, wir bestimmen nicht allein. Zudem haben wir eine grossartige Firmenkultur. Auch das beweisen die Erfolge von MoonSwatch und Scuba Fifty: Obwohl diese Projekte über Jahre vorbereitet wurden und Hunderte Leute involviert waren, ist nichts nach aussen gedrungen. Aber ja, meine Schwester, mein Neffe und ich arbeiten sehr harmonisch zusammen, und wir ergänzen uns sehr gut.

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«Kein Headhunter war vonnöten»
Nick Hayek, Swatch-Chef
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Ist auch der Generationenwechsel an der Spitze ein Thema? Sie werden nächstes Jahr 70, Ihre Schwester ist drei Jahre älter.
Natürlich ist es ein Thema. Die Swatch Group hat bei fast allen Marken erfolgreich einen Generationenwechsel vollzogen, ohne viel Lärm und mit internen Personen. Kein Headhunter war vonnöten.

Ist es beschlossene Sache, dass Ihr Neffe dereinst die Konzernleitung übernehmen wird?
Er hätte sicherlich die Fähigkeiten dazu. Ob er das will, ist eine andere Frage. Aber Sie können davon ausgehen, dass wir vorgesorgt haben, falls irgendetwas passieren sollte. Als mein Vater 2010 so plötzlich während der Arbeit gestorben ist, haben wir innert zwei Tagen schon die Nachfolgelösung präsentiert: die Ernennung meiner Schwester als Verwaltungsratspräsidentin.

Sie haben den Tod Ihres Vaters angesprochen. Vor wenigen Monaten haben Sie auch Ihre Mutter verloren. Welche Rolle hatte Sie in der Unternehmerfamilie Hayek?
Eine riesige. Sie hat meinem Vater stets den Rücken freigehalten, was insbesondere zu Beginn ihrer Zeit in der Schweiz sehr wichtig war. Er hatte es anfangs nicht immer leicht mit seinem etwas mediterranen Aussehen. Seine Anerkennung hat er denn auch erst in Deutschland gefunden, mit seinem Unternehmen Hayek Engineering, das in Zürich übrigens noch immer erfolgreich existiert. Meine Mutter war auch die gute Seele, die dafür gesorgt hat, dass meine Schwester, mein Neffe und ich so friedlich sind miteinander. Es gibt bei uns kein Konkurrenzdenken. Als etwa meine Schwester Verwaltungsratspräsidentin wurde, war das eine völlig natürliche Sache.

Hat Ihre Mutter bei solchen Entscheidungen mitgeredet?
Nicht direkt, aber sie hat das Klima geschaffen, dass wir uns alle gegenseitig vertrauen und keinen falschen Ehrgeiz entwickeln. Ohne meine Mutter würde es die Swatch Group so nicht geben. Mein Vater hätte vielleicht gar nie investiert. Als er damals nach Hause gekommen ist, hat er gezweifelt: Soll ich das wirklich machen? Es ging um sehr viel Geld. Erst als er das Okay hatte von meiner Mutter, hat er es gemacht. Sie fehlt uns sehr. Meine Schwester hat sich bis zuletzt um sie gekümmert, damit sie zu Hause friedlich einschlafen konnte.

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«Bei gewissen Themen bin ich sehr links, bei anderen rechts»
Nick Hayek, Swatch-Chef
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Wenn Sie in die Zukunft blicken: Worin sehen Sie die grösste Herausforderung für die Schweiz?
Wichtig ist, dass die Schweiz ihre industrielle Stärke behält. Die Industrie, die grossen, mittleren oder kleinen Unternehmen garantieren zu einem grossen Teil den sozialen Frieden in diesem Land. Nicht Zürich oder Zug, wo die Banken und internationalen Konzerne sitzen. Produkte «Made in Switzerland» schaffen Identität. Wenn wir diese Produkte im Lauf der Jahre verschwinden lassen – auch wegen der Gier der Börse nach immer mehr Profit –, dann ist das nicht gut. Die Industriellen der Schweiz waren immer pragmatisch. Die Gewerkschaften auch. Wir konnten immer miteinander reden, weil wir weniger ideologisch sind und waren als die Franzosen und Deutschen, zum Beispiel. Wir müssen uns bewusst sein, wie wertvoll das ist.

Sehen Sie diesen Pragmatismus in Gefahr?
Die ganze Welt scheint nur noch ideologisch zu agieren. Nehmen wir den Krieg in der Ukraine. Wir alle wollen, dass dieser Konflikt aufhört. Jeden Tag sterben Menschen – egal auf welcher Seite. Früher hat man hinter den Kulissen mit Diplomatie versucht, eine Lösung zu finden. Heute kann man das nicht mehr, weil man sonst beschuldigt wird, Freiheit und Demokratie zu verraten. Überall wird der moralische Zeigefinger erhoben. In der Politik, in der Gesellschaft, überall. Das macht uns unfreier. Fortschritt verlangt nach pragmatischen Lösungen. Glauben Sie, dass es irgendjemandem weiterhilft, wenn die deutsche Aussenministerin sagt, Xi Jinping sei ein Diktator?

Ist der Westen überheblich?
Und heuchlerisch, wie man bei den Sanktionen gegen Russland sieht. Man verhängt sie und macht hinter den Kulissen weiter Geschäfte. Die Amerikaner wiederum profitieren, weil sie jetzt Gas nach Europa liefern können. Saudi-Arabien ist auf einmal wohlgelittener Energielieferant. Man kann Sanktionen einführen, kein Problem. Aber es nützt nur etwas, wenn sich tatsächlich alle daran beteiligen, sonst sind es nur Lippenbekenntnisse.

Was sagen Sie zum Verhalten der Schweiz?
Die Stärke der Schweiz war immer, vertrauenswürdig zu sein und Friedenslösungen anzustreben. Wir wurden nie verdächtigt, nur eigene Interessen zu verfolgen. Wir können auch Sanktionen ergreifen, das ist kein Problem und mit der Neutralität vereinbar. Aber wir müssen Sanktionen glaubwürdig und unabhängig beschliessen. Zudem könnten wir eine aktivere diplomatische Rolle spielen. Wieso loten wir bei anderen Ländern nicht diskret aus, was für Lösungen es geben würde, um diesen Krieg zu beenden?

Vielleicht wird das gemacht, und wir erfahren nichts davon.
Glauben Sie wirklich daran? Nein. Die Schweiz kann in diesem Konflikt überhaupt keine positive Rolle mehr spielen. Die Schweiz ist damit beschäftigt, sich gegen Angriffe aus Europa und Amerika zu verteidigen, dass wir Profiteure seien. Man will uns ein schlechtes Gewissen einreden, und deshalb sind wir in der Defensive. In dieser Rolle können Sie leider keine glaubwürdigen Initiativen entwickeln.

Das ist ein hartes Fazit.
Das ist kein Fazit, das ist mein Eindruck. Die Schweiz agiert defensiv und nicht selbstsicher. Dabei haben wir uns für nichts zu entschuldigen.

Was ist Ihre Quintessenz aus dem Ganzen? In einem Monat sind Wahlen. Welcher Partei geben Sie Ihre Stimme?
Da habe ich keine Ahnung.

Aber Sie gehen wählen?
Normalerweise schon, ja. Aber ich muss schauen, wem ich meine Stimme gebe. Ich bin ein pragmatischer Mensch. Bei gewissen Themen bin ich sehr links, bei anderen rechts. Ich kann nicht parteipolitisch agieren.

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Sie haben Ihre Sorgen um die Industrie geäussert. Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang das Ende der Credit Suisse ein?
Ich finde es die beste Lösung, dass die UBS schlussendlich die CS übernommen hat. Die CS mit dieser schwachen Führung wäre den Spekulanten zum Opfer gefallen. Positiv ist zudem, dass Sergio Ermotti zurückgekehrt ist. Er ist Schweizer und versteht unsere Kultur.

Was verändert sich dadurch für Swatch?
Wir arbeiten seit jeher mit vielen Banken zusammen. In der Schweiz arbeiten wir mit Credit Suisse und UBS sehr gut zusammen. Ich befürchte aber, dass der Entscheid, den Brand Credit Suisse aufzugeben, die Türen öffnet für Player aus dem Ausland. Wir brauchen mindestens zwei Banken. Nach dem CS-Ende haben wir die Zusammenarbeit mit den Kantonalbanken ausgebaut, insbesondere mit der ZKB. Jetzt werden wir sehr genau schauen, wie sich das entwickelt.

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«Die Behörden hatten wohl keine Alternative»
Nick Hayek, Swatch-Chef
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Hätte es Alternativen gegeben zum Ende der CS?
Ich hätte es gern gesehen, wenn man die Schweizer Credit Suisse an die Börse gebracht hätte. Die UBS hätte 30, 40 Prozent behalten können, Schweizer Industrielle wie AMAG, Schindler, EMS, Stadler, Lindt & Sprüngli und Swatch Group hätten sich vielleicht auch daran beteiligt im Sinn von: «Okay, wir nehmen eine Tranche von fünf, sechs, sieben Prozent. Alle gemeinsam.» Das hätte viel Vertrauen und Sympathien geschaffen gegenüber dem Schweizer Publikum – und die UBS hätte mit dem IPO Geld verdient, aber weiterhin eine ungefährliche Bank gehabt, die sie hätte kontrollieren können.

So wären die Kräfteverhältnisse gewahrt geblieben.
Genau, dann hätte die Swatch Group eine UBS, eine CS und eine Zürcher Kantonalbank. Für uns wäre das eine attraktivere Lösung gewesen. Ob das überhaupt machbar gewesen wäre, das weiss ich nicht, ich bin kein Bankenspezialist. Wenn sich die Situation mit der «neuen» UBS positiv entwickelt, dann bleibt es für uns bei zwei Banken. Sonst müssen wir überlegen, ob wir eine zusätzliche Bank brauchen – womöglich aus dem Ausland.

Aber eine ZKB kann alles für Sie, was eine Credit Suisse konnte?
Eine ZKB kann fast alles. Eine HSBC auch. Eine BNP Paribas auch. Wir finden immer eine Bank. Aber wenn die UBS die CS in der Schweiz hätte bestehen lassen, wäre es für die ausländischen Banken wahrscheinlich schwieriger, hier Fuss zu fassen.

Hat die UBS demnach selbstsüchtig gehandelt und nicht auf den Finanzplatz geschaut?
Nein, überhaupt nicht. Da wollen Sie mir etwas in den Mund legen. Ich sage nicht, dass das eine schlechte Lösung ist. Als Patron muss ich aber schauen, wie sich das entwickelt. Hätte man eine CS bestehen lassen, wären wir wahrscheinlich auch bei der CS geblieben.

Wieso sind die Industriellen nicht im letzten November eingestiegen, als die CS in Katar eine Finanzspritze holte?
Zum damaligen Zeitpunkt war das nur schon wegen der Risiken im Investmentbanking undenkbar. Da würde ich mich als Industrieunternehmen nie an einer Kapitalerhöhung beteiligen.

Haben Sie diesbezüglich auch mit der UBS geredet?
Dazu kann ich nichts sagen.

Wie sehen Sie die Rolle des Staates bei dem Ganzen?
Die Behörden hatten wohl keine Alternative.

Es ist das zweite Mal nach 2008, dass man eine Grossbank retten muss. Bei darbenden Industriebetrieben macht niemand etwas. Als Staatsbürger fragt man sich …
… wann soll denn der Staat eingreifen, wenn nicht in einer solchen Situation? Die Ursache für die Misere liegt woanders: 2009 hat mein Vater eine wichtige Pressekonferenz gegeben, zusammen mit Christoph Blocher und dem damaligen SP-Präsidenten Christian Levrat. Sie wollten erreichen, dass Geschäftsbanken und Investmentbanken getrennt werden müssen. Das hätte viele Probleme gelöst, und die Credit Suisse würde es wohl noch geben. Schliesslich war der Vertrauensverlust auf die katastrophale Lage im Investmentbanking zurückzuführen.

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