Im Weihnachtsgeschäft waren alle froh, dass ihre Pakete rechtzeitig angekommen sind. Das ist den Angestellten in der Logistikbranche zu verdanken, die jedoch oft unter prekären Bedingungen arbeiten. Mario K.* (46) ist einer von ihnen. Er arbeitete drei Jahre lang für den Post- und Kurierdienstleister Mowy-Trans Wyssen im Raum Bern und verdiente monatlich gerade mal 3500 Franken. Brutto und ohne 13. Monatslohn und das bei vier Wochen Ferien! Das macht 42'000 Franken im Jahr.
K. will anonym bleiben, damit er künftig keine Probleme auf dem Arbeitsmarkt kriegt. Doch er will die Arbeitsbedingungen in der Branche publik machen. «Bei dem miesen Lohn kann man nichts auf die Seite legen», sagt K. Im Gegenteil: Man müsse Ende Monat jeden Franken umdrehen. Ferien liegen nicht drin. Und im Krankheitsfall fällt der Lohn auf 80 Prozent. «Wer längere Zeit krank ist, der hat ein Problem», führt er aus.
K. spricht von übermässiger Überwachung
Der Job ist körperlich streng. «Es kam vor, dass ich Pakete mit über 50 Kilogramm ausliefern musste», so K. Die Suva gibt als Richtwert für Männer ein Maximalgewicht von 25 Kilogramm und bei Frauen 15 Kilogramm vor.
K. kritisiert die fehlende Wertschätzung und das Vertrauen bei seinem alten Arbeitgeber. Hatte er einen Arzttermin, musste er den Zettel, auf dem der Termin bestätigt wurde, abfotografieren und das Bild an die Firma senden. «Als Beweis, dass ich wirklich zum Arzt muss. Das finde ich nicht okay, schliesslich ist das ein Eingriff in die Privatsphäre», sagt er.
Mowy-Trans Wyssen prüft auch die GPS-Daten ihrer Fahrer und sieht so, wo sich die Kuriere jeweils befinden – und ob sie womöglich längere Pausen machen. «Das ist die totale Überwachung. Die Stimmung im Team war entsprechend schlecht», so K.
Fahrer müssen sich an Unfallschäden beteiligen
Seine Arbeitstage dauerten von 5 Uhr in der Früh bis 15 Uhr, manchmal bis 16 Uhr. Nachtzuschläge gibt es keine, obwohl die Angestellten zum Teil um 4 Uhr in der Früh von zu Hause aus starten müssen. Das setzt zu. «Und kann zu Fehlern oder Unfällen führen», sagt K.
Was ihm besonders sauer aufstösst: «Mowy-Trans Wyssen verlangt von seinen Angestellten bei Unfällen mit dem Firmenauto während der Arbeit eine Schadensbeteiligung.» Es sei auch vorgekommen, dass Kuriere für beschädigte Ware geradestehen mussten.
«Können uns keine höheren Löhne leisten»
Firmenchef Dominik Wyssen nimmt gegenüber Blick zu den Vorwürfen Stellung. «3500 Franken sind sicher wenig. Doch als kleine Firma können wir uns keine höheren Löhne leisten. Es gibt auch Unternehmen, die weniger zahlen.» Ein 13. Monatslohn sei in der Branche zudem nicht üblich. Wyssen verweist dabei auf den extremen Preiskampf in der Branche. Jede Firma könne einen Lieferwagen mieten und Aufträge annehmen.
Gemäss einer Studie von der eidgenössischen Postkommission Postcom von 2021 erhalten Zustellerinnen und Zusteller einen Medianlohn von 5500 Franken. Doch die Spannbreite ist riesig. Und die Studienautoren haben dabei Subunternehmen wie Mowy-Trans Wyssen nicht berücksichtigt. Grosse Transport- und Logistikunternehmen lagern ihre Aufträge gern an Subunternehmen aus, die meist deutlich geringere Löhne zahlen.
«Absolut nicht branchenüblich»
«Gemäss unseren eigenen Erhebungen bewegt sich der übliche Lohn bei Subunternehmen bei 3900 bis 4300 Franken, was wir auch für zu tief halten. Der Lohn von 3500 Franken ist deshalb absolut nicht branchenüblich und klar zu tief», teilt ein Sprecher der Gewerkschaft Syndicom auf Anfrage mit.
Mowy-Trans Wyssen arbeitet seit 2011 auch im Auftrag von Go! Express & Logistics, einer weltweit tätigen Firma. Was man dort zu den Arbeitsbedingungen sagt? «Wir kontrollieren bei unseren Subunternehmen einmal im Jahr, ob bei den Sozialleistungen der Angestellten alles seine Richtigkeit hat. Zudem sind wir auch zweimal pro Monat bei jeder Firma vor Ort. Bei dieser Gelegenheit können sich die Mitarbeiter melden, wenn ihnen etwas auf dem Herzen liegt», sagt ein Mediensprecher zu Blick.
Go! Express & Logistics fährt seit Jahren ohne Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Die Firma war Mitglied eines Arbeitgeberverbands, der mit der Gewerkschaft Syndicom einen GAV ausgehandelt hatte. Doch die Neuverhandlungen scheiterten. «Aus unserer Sicht gab es keine Entwicklungsperspektive – unsere Bestrebungen, den damaligen GAV weiterzuentwickeln, insbesondere auch bei den Löhnen, stiessen auf taube Ohren», sagt ein Sprecher der Gewerkschaft dazu. Go! Express betont, dass man sich weiterhin an die Bestimmungen aus dem alten GAV halte.
Go! Express & Logistics fährt seit Jahren ohne Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Die Firma war Mitglied eines Arbeitgeberverbands, der mit der Gewerkschaft Syndicom einen GAV ausgehandelt hatte. Doch die Neuverhandlungen scheiterten. «Aus unserer Sicht gab es keine Entwicklungsperspektive – unsere Bestrebungen, den damaligen GAV weiterzuentwickeln, insbesondere auch bei den Löhnen, stiessen auf taube Ohren», sagt ein Sprecher der Gewerkschaft dazu. Go! Express betont, dass man sich weiterhin an die Bestimmungen aus dem alten GAV halte.
Wann die Mitarbeiter blechen müssen
Dass sich die Angestellten trotz Niedriglohn dann auch noch an Unfallschäden beteiligen müssen, hält Firmenchef Wyssen nicht für verwerflich. «Das Gesetz erlaubt uns, den Chauffeuren zehn Prozent unseres Selbstbehalts vom Lohn abzuziehen. Das tun wir nur, wenn wir der Meinung sind, dass der Fahrer nicht aufgepasst hat», sagt er. Selbiges gelte bei Schäden am Transportgut. Doch dies sei bis anhin so gut wie nie vorgekommen.
Wyssen kontert auch die Kritik an der übermässigen Kontrolle der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. «Wenn die Mitarbeiter unterwegs übermässig viele Pausen machen, können wir diese Zeit nicht bezahlen. Und für Arzttermine hätten wir schon gern einen Beleg.»
«Wenn jemand arbeiten will, darf er das bei uns»
Von einer schlechten Stimmung im Team will Wyssen nichts wissen. Man versuche, wo immer möglich, Rücksicht auf die Angestellten zu nehmen. Das habe man auch bei den körperlichen Beschwerden von K. getan. Und danach handle man auch bei Neueinstellungen. «Uns ist es egal, ob jemand 50 oder 60 ist. Wenn jemand arbeiten will, darf er das bei uns», so der Firmenchef.
K. arbeitet mittlerweile bei einem anderen Kurierdienst. Dort verdient er 4500 Franken, bei fünf Wochen Ferien im Jahr.
* Name geändert