Strahlengegner greifen Sommaruga an
Der 5G-Streit eskaliert

Bundesrätin Sommaruga setzt auf neue Antennen. Die Strahlengegner greifen sie dafür in einem offenen Brief an. Und das Parlament kippt 5G aus den Legislaturzielen.
Publiziert: 03.10.2020 um 23:51 Uhr
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Aktualisiert: 04.03.2021 um 08:16 Uhr
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Seit zwei Jahren tobt ein Streit zwischen Telekom-Anbietern und Strahlengegnern um den Ausbau von 5G. Damit es dabei nicht zum Debakel kommt, setzt Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf neue Mobilfunkanlagen.
Foto: Keystone
Danny Schlumpf

Seit zwei Jahren tobt zwischen Telekomanbietern und Strahlengegnern ein Streit. Es geht um den Ausbau des 5G-Netzes in der Schweiz.

Damit es dabei nicht zum De­bakel kommt, setzt Bundesrätin Simonetta Sommaruga (60) auf neue Mobilfunkanlagen. Doch die sogenannten adaptiven Antennen entschärfen die vertrackte Situation nicht, im Gegenteil: In einem offenen Brief werfen die Strahlengegner der Magistratin jetzt vor, die neuen Sendeanlagen seien noch viel schlimmer als die alten.

Im Fokus des andauernden Ringens um 5G stehen die Strahlengrenzwerte: Swisscom und Co. fordern deren Anhebung, die Strahlengegner wollen sie senken.

Vor zwei Wochen nahm Sommaruga das Heft in die Hand und liess die Strahlung adaptiver Antennen messen. Sie ­erhoffte sich von ­diesem Schritt einen Durchbruch in der festgefahrenen Debatte, weil diese Anlagen im Gegensatz zur konventionellen Technik ihre Strahlen nur auf Personen richten sollen, die das Smartphone aktiv nutzen – zum Beispiel, um ein ­Video zu streamen.

Strahlengegner laufen Sturm

In dieser Zeit steigt die Belastung zwar markant an, dafür ist sie davor und danach geringer. Insgesamt soll die Strahlung nicht zunehmen. Für den Bundesrat ist deshalb klar: Mit adaptiven Antennen ist 5G möglich – ohne Erhöhung der Grenzwerte!

Das Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation ­Uvek arbeitet jetzt sogenannte Vollzugshilfen für die Kantone und Gemeinden aus. Weil diese fehlten, verzögerten die Behörden bislang systematisch Baubewilligungen: Schweizweit warten 1500 Gesuche auf einen Bescheid, 1350 davon betreffen adaptive Antennen.

Im Zentrum der «Vollzugshilfen» steht ein neues Beurteilungskriterium, eingeführt wurde es speziell für die neue Sendetechnik: der sogenannte Erleichterungs­faktor. Dieser Wert berücksichtigt, dass adaptive Anlagen je nach ­Nutzeraktivität nur Teilbereiche bestrahlen. Wird dieser Faktor in die Beurteilung einbezogen, ermöglicht er den neuen Antennen eine höhere Sendeleistung.

Doch dagegen laufen die Strahlengegner jetzt Sturm. Unter der Führung des Vereins Schutz vor Strahlung haben sie am Mittwoch einen offenen Brief an Bundesrätin Sommaruga geschickt. Darin heisst es: «Mit dem Erleichterungsfaktor erhalten die Mobilfunkbetreiber die Erlaubnis, mit viel mehr Leistung zu senden, als ihnen im Baugesuch bewilligt wurde.»

5G-Ausbau aus den Legislaturzielen gestrichen

Rebekka Meier (29), Präsi-dentin des Vereins, sagt: «Der Erleichterungsfaktor ist in Wahrheit eine massive Grenzwert­erhöhung!» Sie rechnet damit, dass die tatsächliche Strahlenbelastung durch adaptive Antennen doppelt so hoch ist wie auf dem Papier. Meier: «Das ist umso schlimmer, weil adaptive Antennen die Gesundheit ohnehin viel stärker gefährden als konventionelle Anlagen.»

Christian Grasser, Geschäftsführer des Schweizerischen Verbandes für Telekommunikation, widerspricht: «Die heutigen Berechnungsmethoden wurden nicht für adaptive Antennen entwickelt und führen zu einer deutlichen Überschätzung der Strahlung, was faktisch wie eine Grenzwertverschärfung wirkt.» Das hätten Messungen in Frankreich, Österreich und England gezeigt. Grasser: «Wir erwarten, dass die rechtliche Beurteilung der adaptiven Antennen der Technik und Realität in einem Rahmen an­gepasst wird, wie dies im Ausland ebenfalls der Fall ist.»

Damit gerät Bundesrätin Sommaruga erneut zwischen die Fronten. Ihr Departement teilt mit: «Die Vollzugshilfe wird so kon­zipiert sein, dass das heutige Schutz­niveau erhalten bleibt.» Eine Lockerung der Grenzwerte stehe nicht zur Diskussion. «Das Schutzniveau wird im Vergleich zu konventionellen Antennen nicht gesenkt.» Was allerdings davon abhängt, wie hoch der Erleichterungsfaktor ausfällt. Doch dazu will das Uvek ­gegenüber SonntagsBlick keine Angaben machen.

Der Ausgang des Streits um die adaptiven Antennen ist ent­scheidend für den Ausbau eines flächen­deckenden 5G-Netzes in der Schweiz. Verbands-Geschäftsführer Grasser: «Ohne adaptive Antennen ist ein leistungsfähiges 5G-Netz nicht denkbar.»

Doch in Bern scheint man je länger, je mehr an dessen Realisierbarkeit zu zweifeln: Letzte Woche hat das Parlament den ­flächendeckenden 5G-Ausbau kurzerhand aus den Legislaturzielen gekippt.

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