Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Swisscom und Co. haben sich verrannt

Die Telekombranche will, dass die Mobilfunkantennen stärker strahlen dürfen. Deswegen lobbyieren sie derzeit beim Bundesrat. Das eigentliche Problem für Swisscom und Co. liegt aber nicht in Bern, sondern im Widerstand in der Bevölkerung.
Publiziert: 13.09.2020 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 03.10.2020 um 23:36 Uhr
Gieri Cavelty, SonntagsBlick-Chefredaktor.

5G steht für Schnelligkeit. Im Vergleich zum heutigen ­Mobilfunkstandard 4G lassen sich damit im gleichen Zeitraum 100-mal mehr Daten übertragen.

Man kann aber auch zu schnell sein wollen. Die Schweizer Telekomkonzerne beispielsweise haben sich bei der Einführung der neuen Technik heillos verrannt.

Swisscom-Chef Urs Schaeppi ­verkündete vor nicht einmal ­einem Jahr: «90 Prozent der Bevölkerung hat Zugang zu einem 5G-Netz.» Auf Plakaten warb man mit Slogans wie diesem: «5G ­heute schon in Basel». Sunrise wiederum tat auf allen Kanälen kund, man sei «die Ersten mit 5G in 150 Ortschaften».

Leider stimmte das nicht. Swisscom wie Sunrise machten uns ein X für ein U vor. Sie schraubten etwas an ihren Antennen und verkauften dies flugs als die schnelle neue Internetwelt.

Für ein echtes 5G-Netz benötigt es entweder viermal mehr Mobilfunkanlagen. Oder die bestehenden Antennen müssen eine 12,4-mal höhere Sendeleistung erbringen. Letzteres wäre die günstigere, von der Branche favorisierte Lösung. Dafür jedoch müsste die Politik die Grenzwerte für Strahlen­belastung massiv erhöhen.

Als Swisscom und Sunrise die Fehlinformations-Kampagnen ­lancierten, rechneten sie damit, dass der Bundesrat ihrem Wunsch nach höheren Strahlen-Grenz­werten rasch nachkommen werde. Bald, so das Kalkül, würde man den Menschen dann tatsächlich ­flächendeckend 5G anbieten.

Das war entweder naiv oder tollkühn. Denn das Parlament ­hatte eine ­Lockerung der Grenzwerte schon zweimal ab­gelehnt. Deshalb will bis dato auch die Landesregierung nichts davon wissen.

Jetzt schlagen die Telekomunternehmen Alarm. Ein Jahr nach der Behauptung, 90 Prozent der Bevölkerung hätte Zugang zu 5G, heisst es: Die Schweiz hinkt bei 5G hinterher! Unser Land verliert den Anschluss! Skandal!

Wie mein Kollege Danny Schlumpf im nebenstehenden ­Artikel belegt, ist die Sache komplizierter. Selbst wenn der Bundesrat die Anlagegrenzwerte wider Erwarten erhöht, müsste anschliessend trotzdem noch für jede bereits existierende Mobilfunkanlage eine neue Baubewilligung eingeholt werden. Die Folge wäre eine Flut von ­Einsprachen. Ein juristischer ­Albtraum, den Swisscom und Co. bislang gar nicht auf dem Radar hatten.

Es stimmt: Die Ängste ­vor 5G sind heillos übertrieben, die Wissenschaft gibt in vielen Punkten Entwarnung. Ebenso wahr ist allerdings: Der Widerstand gegen den neuen Standard ist enorm. Und keineswegs nur bei Paranoiden, Esoterikern, Technikfeinden. Auch der Hauseigentümerverband wehrt sich gegen höhere Strahlenwerte.

Die Mobilfunkanbieter kommen nicht umhin, ihre Strategie von Grund auf zu ­ändern. So banal es klingt, offenbar muss es eben doch gesagt sein: Statt flapsige Slogans oder ungezügelte Alarmstimmung zu verbreiten, sollten die Technikkonzerne eine offene und durchdachte Informationspolitik betreiben.

Bei einem derart ­sensiblen Thema mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, führt nur zu einem Brummschädel. Selbst in der Ära von 5G braucht es zuweilen Zeit und Geduld und Kompromissfähigkeit. Selbst im digitalen Zeitalter funktioniert die Welt auch noch analog. Ganz besonders gilt dies für die Welt der Politik.

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