Statistik der letzten zehn Jahre zeigt krasse Umverteilung
Junge blechen 44,8 Milliarden Franken für die Alten

Die Altersvorsorge in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen: Sinkende Zinsen und eine alternde Bevölkerung führen zu unzureichend finanzierten Renten. In den letzten zehn Jahren wurden 44,8 Milliarden Franken umverteilt, um Rentenversprechen zu erfüllen.
Publiziert: 29.10.2024 um 11:54 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2024 um 12:26 Uhr
Die Zahl der Pensionierten (über 65-Jährige) in der Schweiz wird in den nächsten 10 Jahren um 26 Prozent, in 20 Jahren um 41 Prozent und in 30 Jahren um 54 Prozent steigen.
Foto: imago/Westend61
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Manuel Boeck
Cash

Seit der Einführung der beruflichen Vorsorge im Jahr 1985 ist das Zinsniveau am Kapitalmarkt stark gesunken. Gleichzeitig altert die Gesellschaft, so dass immer weniger aktiv arbeitende Menschen immer mehr Rentnern gegenüberstehen. Diese Faktoren führen dazu, dass die Altersleistungen der Pensionskassen in der Tendenz nicht mehr ausreichend finanziert werden können. Die Folge: Immer mehr Vermögen muss umverteilt werden.

Und die Faktenlage ist klar: Die Zahl der Pensionierten (über 65-Jährige) in der Schweiz wird in den nächsten 10 Jahren um 26 Prozent, in 20 Jahren um 41 Prozent und in 30 Jahren um 54 Prozent steigen. Prognosen zufolge werden in 30 Jahren auf jede Person über 65 Jahre nur noch etwas mehr als zwei Personen im Erwerbsalter kommen.

Überhöhte Rentenversprechen

«Die steigende Lebenserwartung und die niedrigen Renditen an den Kapitalmärkten torpedieren die überhöhten Rentenversprechen (Umwandlungssatz), die am Tag X von den Pensionskassen den Rentenbezügern gegenüber gewährt werden. Die Rendite, die den aktiv arbeitenden Versicherten zusteht, wird daher nur reduziert weitergegeben. Diese Renditereduktion muss dann dazu verwendet (umverteilt) werden, um die Rentenversprechen finanzieren zu können», sagt Rafael Lötscher, CEO von PensExpert.

Artikel von «Cash.ch»

Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.

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In Zahlen ausgedrückt: Werden die jährlichen Umverteilungssummen von 2014 bis 2023 addiert, wurden gemäss den Schätzungen der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) innerhalb von zehn Jahren 44,8 Milliarden Franken von den aktiven Versicherten zu den Rentenbeziehenden umverteilt. Durchschnittlich entspricht dies 4,5 Milliarden Franken beziehungsweise 0,5 Prozent des Vorsorgekapitals der aktiven Versicherten und Rentenbeziehenden pro Jahr seit 2014.

Jahr Geschätzte Umverteilung in Milliarden Franken

In Prozent des Vorsorgekapitals der aktiven Versicherten und der Rentenbeziehenden

2014+5,3+0,7
2015+8,1+1,0
2016+8,4+1,0
2017+6,6+0,8
2018+5,1+0,6
2019+7,2+0,8
2020+4,4+0,5
2021+0,2+0,0
2022-0,2-0,0
2023-0,3-0,0
Total+4,5+0,5

Quelle: Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge.

Die den Altersleistungen zugrundeliegenden Zinsversprechen sind laut der obigen Datenlage im Durchschnitt 0,5 Prozentpunkte höher als die für die Bewertung der Verpflichtungen von den Vorsorgeeinrichtungen verwendeten technischen Zinssätze. Diese Differenz ist im Gesetz nicht vorgesehen und führt bei jedem Neurentner, sofern nicht anderweitig finanziert, zu einem Verlust für die Vorsorgeeinrichtung. Das Problem: Mit den zukünftigen Vermögenserträgen nicht finanzierbare Renten können im Nachhinein nicht mehr gekürzt werden, sondern müssen von den Arbeitgebern und den aktiven Versicherten nachfinanziert werden. Die Kosten werden also auf die nächste Generation verschoben.

Immerhin ist die Umverteilung in den Jahren 2021 bis 2023 rückläufig. Viele Vorsorgeeinrichtungen haben laut Lötscher – freiwillig und ohne BVG-Reform – ihre Hausaufgaben gemacht und technische Parameter angepasst, um dieser Umverteilung entgegenzuwirken. Einen positiven Einfluss auf diese Reduzierung hat für Pensionskassen unter anderem die Tatsache, dass die Kapital- gegenüber den Rentenbezügen konstant zunehmen. «Je mehr Kapital statt Rente bezogen wird, desto weniger muss am Ende umverteilt werden, um die laufenden Rentenversprechen zu garantieren», sagt Lötscher.

Der entscheidende Punkt liegt letztlich beim technischen Zinssatz: Damit der gesetzliche Rentenumwandlungssatz auch bei einer längeren Lebenserwartung finanziert werden kann, muss das angesparte Altersguthaben während der Rentenzahlungen eine bestimmte Rendite abwerfen. Dabei gilt: Je höher der Umwandlungssatz, desto höher muss die Rendite sein. Sollte der technische Zinssatz aufgrund der Renditeerwartungen nach unten angepasst werden müssen, muss auch das Deckungskapital zu Rentenbeginn angepasst werden. Diese Anpassungen werden grösstenteils von den Aktivversicherten getragen.

Jüngere Generationen bleiben die Leidtragenden

«Was in den Diskussionen zur Umverteilung oft nicht berücksichtigt wird, ist, dass die Rentner eine garantierte Leistung erhalten, das heisst eine garantierte Rendite auf ihrem Vorsorgekapital. Die Verzinsung der Aktiven schwankt hingegen von Jahr zu Jahr», erklärt Oliver Dichter, Leiter Asset Liability Management beim Investberatungsunternehmen PPC Metrics, gegenüber cash.ch. In guten Anlagejahren wird typischerweise mehr verzinst und in schlechten Anlagejahren weniger. In Krisen ist es sogar denkbar, dass die Aktiven gar keinen Zins erhalten und Sanierungsbeiträge zahlen müssen. Chancen und Risiken sind daher laut Dichter ungleich zwischen Rentnern und Aktiven verteilt. Rentner erhalten eine garantierte Verzinsung, die nur möglich ist, weil die Aktiven die damit verbundenen Risiken tragen.

Die grössten Leidtragenden dieser Quersubventionierung und Umverteilung sind tendenziell die jüngeren Generationen. In vielen Pensionskassen wurden seit der Finanzkrise – dem Startpunkt der stark sinkenden Zinsen – Verrentungen mit zu hohen Umwandlungssätzen vorgenommen. Die Finanzierung dieser überhöhten Renten erfolgte zulasten der Verzinsung der Aktiven. Den Aktiven wird ihre eigentlich zustehende Rendite nicht weitergegeben.

Wird die Generationengerechtigkeit verletzt?

Allerdings hinterfragen nur wenige aktive Versicherte diese Situation, da im Bereich der Sozialversicherungen eine gewisse Solidarität akzeptiert wird. Gleichzeitig spielen Unwissenheit der Versicherten und begrenzte Transparenz oder fehlende Aufklärung eine Rolle. «Die jährliche Umverteilung ist allen Pensionskassen rechnerisch bekannt und könnte mit geringem Aufwand, zum Beispiel auf dem Vorsorgeausweis, ausgewiesen werden. Mit dieser Information wüssten aktive Versicherte, was sie direkt zur Solidarität mit Rentenbezügern beitragen», erklärt Lötscher. Er geht nicht davon aus, dass Versicherte regelmässig die Pensionskassenstatistik des Bundes konsultieren, weshalb diese «Dienstleistung» im Sinne der Aufklärung der Versicherten dienlich wäre.

Wird mit der Umverteilung die Generationengerechtigkeit verletzt? Der Begriff Generationengerechtigkeit spricht ungleiche Lebensbedingungen zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Generationen an. Es gibt Menschen, die argumentieren, dass die jüngeren Rentnergenerationen einen niedrigeren Umwandlungssatz erhalten und deshalb schlechter gestellt sind als die älteren Rentnergenerationen, die noch mit einem hohen Umwandlungssatz in Pension gegangen sind.

Letzterem Punkt hält Dichter entgegen, dass es sich aus ökonomischer Perspektive gerade umgekehrt verhält. «Die älteren Generationen (vor der Finanzkrise) sind mit Umwandlungssätzen in Pension gegangen, die mit annähernd risikolosen Anlagen finanzierbar gewesen sind. Das heisst, ein Neurentner hätte damals das Kapital beziehen und langlaufende Bundesobligationen kaufen (risikolose Anlage) können und hätte so eine vergleichbare Leistung erzielen können.»

Umwandlungssatz von 5 Prozent realistisch

Während der Negativzinsphase sind die Umwandlungssätze zwar gesunken, jedoch nicht annähernd in einem Umfang, der ausgereicht hätte, um die daraus resultierende Leistung risikolos zu finanzieren. Die Rentner dieser Generation haben Zinsversprechen erhalten, die sie nicht annähernd am Kapitalmarkt hätten realisieren können. Dies war nur möglich, indem die Aktiven (und Arbeitgeber) das daraus resultierende Anlagerisiko übernommen haben. «Oft wird zudem argumentiert, dass eine Gleichheit von Zinsversprechen bei den Rentnern und erfolgter Verzinsung bei den Aktiven gerecht sei. Aus ökonomischer Sicht ist das nicht der Fall», so Dichter weiter.

Lötscher geht ausserdem davon aus, dass sich die Umverteilung auch deshalb etwas stabilisieren könnte, da nach Einführung des BVGs im Jahr 1985 nun im Jahr 2025 erstmals eine Generation in Pension geht, die über die volle Laufzeit von 40 Jahren ins BVG einbezahlt hat. Zudem haben, wie erwähnt, viele Pensionskassen beziehungsweise deren Stiftungsräte ihre technischen Hausaufgaben gemacht und Verantwortung übernommen. Die Rentenbezügergeneration, die zeitnah nach 1985 in Rente ging und daher wenig ins BVG einzahlen konnte, aber von der enormen medizinischen Entwicklung beziehungsweise Langlebigkeit seit 1985 profitiert, läuft allmählich aus.

Wichtig ist es schliesslich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Zukunft so anzupassen und zu flexibilisieren, dass langfristig keine Nachteile bei der zweiten Säule bestehen. Die eben erst abgelehnte BVG-Reform wollte unter anderem den zu hohen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent reduzieren. Für Pensionskassen, die bisher keine Möglichkeit hatten, ihre Rentenverpflichtungen vollständig zu optimieren, hätte diese Reduktion zu einer Entlastung geführt. Rein rechnerisch hätte man laut der Schweizer Pensionskassenstudie 2024 der Swisscanto diesen Satz jedoch eher auf 5,0 Prozent reduzieren müssen.

Umverteilung zwischen aktiv Versicherten

«Umhüllende Pensionskassen, die die Anpassung ihrer technischen Parameter bisher ‹aufgeschoben› haben, werden in den kommenden Jahren nicht um notwendige Korrekturen herumkommen», ist Lötscher überzeugt. Ein Abwarten auf eine mögliche Reduktion des Umwandlungssatzes durch einen Volksentscheid dürfte keine nachhaltige Strategie sein. Gerade das aktuell vorliegende «Sparpaket des Bundes», wonach man die Besteuerung auf Stufe Bundessteuer von Kapitalbezügen aus dem BVG (und der 3. Säule) unattraktiver machen möchte, wird möglicherweise zwar zu etwas mehr Steuereinnahmen führen, könnte aber einige im Wettbewerb stehende Pensionskassen (2. Säule) aufgrund des gesetzlich zu hoch fixierten Umwandlungssatzes stark in Bedrängnis bringen.

Die Quersubventionierung und Umverteilung geht aber noch weiter: Der gesetzliche Mindestzinssatz wird jeweils im Voraus festgelegt, was zur Folge hat, dass diese Mindestrendite je nach Anlagejahr von der Pensionskasse nicht immer erreicht wird. Da der Mindestzinssatz jedoch auch in einem schlechten Anlagejahr garantiert werden muss, senken Pensionskassen in der Regel die Verzinsung des überobligatorischen Altersguthabens. Der obligatorische Teil wird daher höher verzinst. Dies führt auch zu einer Umverteilung zwischen den Aktivversicherten.

Sowohl die AHV als auch die zweite Säule sind Versicherungen für das Alter. Es geht darum, eine Solidarität herzustellen zwischen Personen, die lange leben, und Personen, die früh sterben. «Die AHV hat zunehmend noch einen Umverteilungscharakter zwischen Personen mit hohen Löhnen und Personen mit tiefen Löhnen», sagt Dichter. Pensionskassen funktionieren fundamental anders. Hier spart jeder bis zur Pensionierung für sich, und das Geld in der Pensionskasse gehört zum Privatvermögen. Zwar kann die erzielte Rendite ungleich zwischen den Generationen in der Pensionskasse verteilt werden, zumindest die Sparguthaben, das heisst der ‹aktuelle Kontostand›, sind aber vor Umverteilung geschützt.

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