Zu gut 0.93 Franken wird der Euro zu Beginn des neuen Jahres gehandelt. In den letzten Tagen des alten Jahres war die Gemeinschaftswährung an den Devisenmärkten gar unter 93 Rappen gefallen. So wenig hat sie mit Ausnahme von kurzzeitigen heftigen Kursturbulenzen im Januar 2015 noch nie gekostet. Umgekehrt formuliert war der Franken noch nie so teuer. Was steckt hinter dieser jüngsten Kursentwicklung, und was bedeutet sie für die Schweizer Wirtschaft? Die wichtigsten sieben Punkte:
Ein komplett verändertes Zinsumfeld
Die nominelle Aufwertung des Frankens zum Euro ist keine neue Entwicklung: Noch im Januar lag der Euro-Kurs bei mehr als einem Franken, bei der Einführung der Gemeinschaftswährung 1999 bei rund 1.60 Franken. Die besonders starke Aufwertung des Frankens über die letzten Wochen und Tage liegt an drastisch veränderten Zinserwartungen, dem Effekt des sicheren Hafens (Punkt zwei) und an den Besonderheiten des Handels über die Festtage (Punkt drei).
Zinserwartungen haben für Kursausschläge grosse Bedeutung. Wird erwartet, dass die Zinsen in einem Währungsraum wie dem Euro im Verhältnis zu einem anderen wie dem Franken stärker sinken, dann wird der Euro als Anlagewährung im Vergleich zum Franken weniger attraktiv. Folglich werden Franken eher und Euro weniger gekauft, was zu einer Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro führt.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Angesichts einer sehr hohen Inflation haben Notenbanken etwa in den USA oder in Europa die Leitzinsen viel stärker angehoben als die Schweizerische Nationalbank (SNB). In der Folge sind dort auch die Marktzinsen stark gestiegen. Angesichts einer deutlich gesunkenen Teuerung dominiert jetzt an den Märkten die Erwartung, dass die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen im nächsten Jahr in mehreren Schritten wieder reduzieren werden. Weil die Inflation in der Schweiz stets deutlich tiefer lag als im Ausland und sich aktuell mit 1,4 Prozent bereits im Komfortbereich der SNB von unter 2 Prozent befindet, ist auch der Leitzins in der Schweiz deutlich tiefer. Aktuell beläuft er sich auf 1,75 Prozent, beim Fed liegt er bei 5,5 Prozent (oberer Wert des Zielbands), bei der EZB bei 4,5 Prozent (Hauptrefinanzierungssatz).
Folglich hat die Nationalbank sowohl weniger Möglichkeiten als auch einen geringeren Bedarf als etwa die USA oder die Euro-Zone, die Zinsen künftig stark zu senken. Die Erwartung, dass die Zinsen in diesen beiden Währungsräumen stärker fallen werden als in der Schweiz, macht den Franken im Vergleich zum Euro und zum Dollar als Anlagewährung attraktiver.
Der Effekt des sicheren Hafens
Schon seit vielen Jahrzehnten haben Finanzanlagen in der Schweiz den Ruf, ein sicherer Hafen zu sein, weil die Schweiz als besonders stabil gilt und die Inflation im Vergleich zu anderen Ländern fast immer tiefer lag, so auch in den letzten Jahren. Der Franken-Kurs ist damit auch zu einem Gradmesser für die Unsicherheit auf den Weltmärkten geworden.
Bei grossen Konflikten und dadurch auch steigenden Risiken für die Weltwirtschaft bringen Investoren daher ihr Geld in Franken-Anlagen in Sicherheit, was zu dessen Aufwertung führt. Der anhaltende Krieg in der Ukraine und die wachsenden Sorgen vor einer Ausweitung des Konflikts in Israel sowie eine Reihe weiterer gestiegener geopolitischer und ökonomischer Risiken haben daher in jüngster Zeit die Funktion des Frankens als sicheren Hafen tendenziell wieder verstärkt.
Der Effekt des Festtagshandels
Wie an allen Märkten haben alle Ursachen (wie die unter Punkt eins und zwei genannten für den Franken) eine verstärkte Wirkung auf einen Kurs, wenn weniger gehandelt wird beziehungsweise, wenn weniger Leute am Handel beteiligt sind. Man spricht dann von einem «dünnen Handel».
Wenn auf eine Verkaufsorder zum Beispiel weniger Interessentinnen oder Interessenten stossen, ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass der Verkauf zu einem tieferen Kurs stattfindet, als wenn mehr am Handel beteiligt wären. Über die Festtage ist auch der Devisenhandel in diesem Sinne «dünner», weil ein Grossteil der Händlerinnen und Händler nicht arbeitet – entsprechend zeigen sich an solchen Tagen immer wieder besonders deutliche Kursausschläge.
Ein Blick auf den Dollar
Der eingangs erwähnte Rekordwert beim Franken-Kurs bezieht sich nur auf den Euro. Dieser hat für die Schweiz angesichts der sehr engen Wirtschaftsbeziehungen mit der Euro-Zone die grösste Bedeutung. Aber auch der Dollar hat ein enormes Gewicht, nicht nur wegen des Handels mit den USA, auch weil er im internationalen Finanz- und Handelssystem auch ohne direkten Bezug zu den USA dominiert. So lauten auch die meisten Preise von Rohstoffen und vielen anderen Gütern auf Dollar, und eine Reihe von Schweizer Grosskonzernen weisen ihre Zahlen in der US-Währung aus.
Auch zum Dollar hat der Franken in jüngster Zeit deutlich an Wert gewonnen. Noch Anfang Oktober kostete die US-Währung mehr als 92 Rappen, zum Jahreswechsel hin ist der Kurs unter 84 Rappen gefallen. Anders als beim Euro ist das allerdings kein Rekordwert. Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise im Sommer 2011 kostete ein Dollar nur knapp mehr als 70 Rappen. Doch auch bei der US-Währung zeigt sich die langfristige Aufwertung des Frankens: Noch zu Beginn des Jahrtausends musste man pro Dollar 1.80 Franken hinblättern.
Die Erklärungen für die jüngste Aufwertung sind beim Dollar die gleichen wie beim Euro, wobei vor allem die Zinserwartungen dominieren. Die Erwartungen von tieferen Leitzinsen durch das Fed haben zu einer Abschwächung des Dollars gegenüber allen wichtigen Währungen geführt.
Für den Vergleich braucht es auch Preise
Die Entwicklung der nominellen Wechselkurse reicht aber nicht aus, um zu beurteilen, ob sich etwa Käufe im Ausland mehr oder weniger lohnen oder ob Exporteure an Konkurrenzfähigkeit verlieren oder gewinnen. Auch die Entwicklung der Preise im Währungsgebiet ist entscheidend. Steigt zum Beispiel die Inflation in der Euro-Zone gleich stark an wie der Wert des Frankens gegenüber dem Euro, dann verändert sich bei den Preisverhältnissen nichts. Der Preisaufschlag für europäische Güter wird in diesem Fall vollständig durch den billiger gewordenen Euro kompensiert.
Tatsächlich lag die Teuerung in der Euro-Zone, wie auch in den USA, in den letzten zwei Jahren sehr viel höher als in der Schweiz. Weniger ausgeprägt gilt das auch für die letzten Jahrzehnte. Mit realen Kursen betrachtet – wenn man die Preisentwicklung mitberücksichtigt – hat der Franken kein Allzeithoch erreicht, und ganz generell relativiert sich sein Aufwärtstrend auch über die letzten Jahrzehnte stark. Gemäss Daten der Schweizerischen Nationalbank ist der Aussenwert des Frankens gegenüber dem Euro aktuell etwa auf dem Stand vom Sommer 2022, trotz der nominellen Aufwertung seither.
Schlechter Zeitpunkt für die Schweizer Exporteure
Die Betrachtung der realen Kursveränderungen relativiert die Dramatik des Wertanstiegs des Frankens auch über die letzten Jahre und Jahrzehnte. Dennoch ist der jüngste Kurssprung eine gute Nachricht für jene, die im Ausland einkaufen, und eine aktuell besonders schlechte für die Schweizer Unternehmen, die ihre Produkte ins Ausland exportieren.
Sehr rasche und heftige Aufwertungsschübe sind stärker als die Änderung der Absatzpreise. Unternehmen können sie zudem weniger gut durch Effizienz- und Kostenmassnahmen auffangen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Denn das braucht Zeit. Über lange Sicht war die Aufwertung des Frankens hingegen ein hervorragendes Fitnessprogramm für die Schweizer Exportwirtschaft.
Erschwerend kommt aktuell dazu, dass die Aussichten für die Exporteure auch unabhängig vom Franken-Kurs alles andere als glänzend sind. Europa und besonders Deutschland als wichtigstes Exportland für Schweizer Unternehmen befinden sich in einem Konjunkturtief, was auf die Nachfrage drückt.
Das spürt vor allem die Schweizer Industrie. Die Auftragslage ist schwach, und der Einkaufsmanagerindex, der wichtigste Frühindikator für die Industrie, zeigt keine Besserung an. Er ist im Dezember nur marginal von 42,1 auf 43 Punkte gestiegen und liegt damit seit einem Jahr unter der Wachstumsschwelle von 50. Nun kommt auch noch die Aufwertung des Frankens in «dramatischer Geschwindigkeit hinzu», wie der Schweizer Tech-Industrie-Branchenverband Swissmem schreibt. Das gefährde die Wettbewerbsfähigkeit akut.
Die Rolle der Nationalbank
Wie unter Punkt eins schon deutlich wurde, sind die Leitzinsen der Notenbanken entscheidend für den nominalen Wechselkurs. Das gilt auch für jenen der Schweizerischen Nationalbank. Den Franken-Kurs beeinflusst sie aber auch direkt durch Käufe und Verkäufe von Devisen, also ausländischen Währungen.
In den letzten zwei Jahren war ihr ein nomineller Anstieg des Franken-Aussenwerts aus zwei Gründen willkommen: weil das erstens zur Folge hatte, den Preisanstieg von importierten Gütern zu dämpfen. Das hat in der Schweiz auch den Teuerungsschub gebremst. Zum Zweiten hat es der SNB ermöglicht, einen Teil ihrer gigantischen Devisenreserven zu verkaufen, die ihre Bilanz bis zum Mai 2022 auf über 1 Billion Franken anschwellen liess. Seither ist der Umfang der SNB-Bilanz auf 785 Milliarden gesunken.
Wie die Nationalbank auf den jüngsten Aufwertungsschub reagiert, bleibt offen. Aus den neuesten Daten zu den Giroguthaben der Banken bei der SNB lässt sich jedenfalls nicht lesen, dass sie wieder an den Devisenmärkten interveniert.
Würde sie Devisen kaufen, würden die Giroguthaben der Banken als Folge von Käufen steigen. Doch gemäss den jüngsten Zahlen vom 29. Dezember gehen sie zurück. Zudem wird auf den Märkten bisher auch von der SNB erwartet, dass sie im nächsten Jahr ihren Leitzins senkt. Sollte der Aussenwert des Frankens aber deutlich weiter zunehmen, könnte sie anders entscheiden und auch wieder Devisen kaufen.