Die neuesten Zahlen sorgten für Beunruhigung: In Deutschland sanken die Hauspreise in den vergangenen drei Quartalen um 10 Prozent. Das ist «historisch einmalig», schrieb das deutsche «Handelsblatt». Der «Spiegel» ortete den «stärksten Preisverfall bei Häusern und Wohnungen seit sechzig Jahren». Noch nie seit Beginn der Preiserhebungen in den 1960er-Jahren seien die Immobilienpreise so schnell so stark gefallen. Das wirft Fragen auf: Reisst die Immobilienwirtschaft die deutsche Gesamtwirtschaft in einen Strudel? Könnte die Schweiz, die ja bekanntlich eng mit der deutschen Wirtschaft verwoben ist, davon betroffen sein?
Diese Frage lässt sich am besten mit einem Blick in die Vergangenheit beantworten. Denn Immobilienmärkte unterliegen Zyklen. Im agrarwissenschaftlichen Bereich wurde 1928 der Begriff des Schweinezyklus geprägt. Das heisst, die Schweinepreise bewegen sich in auffallend regelmässigen Wellen, in der Berge und Täler aufeinanderfolgen. Der Zyklus entsteht, weil mehrere Züchter die Preissignale der Fleischnachfrage zum Anlass nehmen, mehr Schweine zu mästen. Es kommt zur Margenerosion und zu einem stark ausgeweiteten Angebot für eine unveränderte Nachfrage. Viele Produzenten ziehen sich aus dem Markt zurück, wodurch ein Nachfrageüberhang entsteht. Der Zyklus beginnt erneut.
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Deutschland: Preise stiegen um das Drei- bis Vierfache
Aufgrund der langen Planungs- und Produktionszeiten im Baugeschäft sowie durch den Einfluss von Zinsfaktoren gibt es auch auf den Immobilienmärkten Schweinezyklen. Und die Zyklen der verschiedenen Länder verlaufen oft zeitversetzt. Das heisst: Jeder Markt steht an einem anderen Punkt, wie man im Vergleich zwischen Deutschland und Spanien erkennen kann. So stiegen die Preise in Spanien in den vergangenen drei Quartalen um 4,5 Prozent, in Italien um 1,8 Prozent, während sie in nordischen Ländern wie Schweden (minus 2,8 Prozent) oder den Niederlanden (minus 3,8 Prozent) in den Keller sausten.
Zurück zu Deutschland. Dort scheinen viele Akteure vergessen zu haben, dass die Preise vor noch nicht allzu langer Zeit am Boden lagen. Zwischen 2005 und 2011 dümpelte der Immobilienmarkt vor sich hin. Die Finanzkrise 2008, samt ihren Verwerfungen im Bankensektor, trug das Ihrige dazu bei. Erst ab 2011 drehte sich der Trend. Dafür aber mit Vollgas: Bis 2022 stiegen die Preise um das Drei- bis Vierfache. Mit Schuld daran war die Europäische Zentralbank (EZB), die 2016 Negativzinsen eingeführt hatte.
Noch nie zuvor konnten Immobilien in Deutschland derart günstig finanziert werden. Das lockte Investoren aus dem Ausland an. «Man konnte gut beobachten, wie das Kapital, das zuvor in andere Länder geflossen war, nun nach Deutschland ging», sagt Thomas Veraguth, CIO für Schweizer und globale Immobilienstrategien bei der UBS. «Sehen Investoren Opportunitäten, geht es sehr schnell, bis sie ihre Gelder aus einem Land abziehen und in ein anderes Land investieren. Zumal europäische Investoren nicht mit Verlusten rechnen müssen, da es für sie in der Euro-Zone keine Währungsrisiken gibt.»
Korrektur – keine uferlose Abwärtsbewegung
Somit stiegen die Immobilienpreise in Deutschland viel stärker als in anderen Ländern. Ehe 2022 der jähe Absturz folgte – aufgrund der Zinserhöhungen der EZB. «Dadurch ging der Finanzierungsvorteil für die Investoren verloren», so Thomas Veraguth. «Sie fokussierten neu auf unterbewertete Länder in Europa.» Damit sank die Zahl der Handänderungen auf dem deutschen Markt, und die wenigen Transaktionen, die stattfanden, vermochten hohe Preisabschläge nach unten zu verursachen.
«Es ist eine Korrektur, die gerade stattfindet», sagt Thomas Veraguth, «nicht eine Abwärtsbewegung ins Uferlose. Die Talsohle sollte bald erreicht sein.» Zumal es einen Faktor gibt, der stark dafür spricht. Gleich wie in der Schweiz herrscht in Deutschland eine Übernachfrage nach Wohnraum. Das Angebot ist zu klein, gleichzeitig wird zu wenig gebaut. Laut dem Immobilienspitzenverband ZIA fehlen in Deutschland bereits 2024 mehr als 600’000 Wohnungen. Bis 2025 steigt die Zahl auf 720’000, bis 2027 gar auf 830’000. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Zyklus dreht und die Preise durch eine Übernachfrage gestützt werden», so Thomas Veraguth.
Die Investoren wanderten in die Peripherie ab
Die Investoren indes zogen weiter. Sie interessieren sich heute für die Peripherie Europas. Das Geld fliesst unter anderem nach Spanien und Italien, denn die Immobilienpreise sanken dort fast ein ganzes Jahrzehnt lang, während die Preise in Deutschland, in den nordischen Ländern oder in der Schweiz noch oben gingen. Italien wie auch Spanien wurden von der Finanzkrise 2008 viel heftiger in Mitleidenschaft gezogen als andere Länder.
«Es gab viel mehr Risiken, mehr Konkurse, Bankreformen und Ähnliches, was Investoren davon abhielt, in diese Länder zu investieren», erklärt Thomas Veraguth. Erst 2015 erreichten die Immobilienmärkte in diesen Ländern die Talsohle. Seither ziehen die Preise in Spanien und Italien wieder an. Jedoch längst nicht im gleichen Ausmass wie in Mittel- und Nordeuropa.
Anders das Bild in den USA. Dort legten die Preise, im Gegensatz zu Deutschland oder der Schweiz, von 2005 bis 2008 stark zu. Als die Finanzkrise 2008 zuschlug, litt der amerikanische Immobilienmarkt viel heftiger als andere. In der Zeit von 2008 bis 2012 gab es eine starke Korrektur. Ab dann zogen die Preise an. Doch nicht im selben Ausmass wie in Deutschland: «Die USA sind heute dort, wo Deutschland vor zwei Jahren war», so Thomas Veraguth. «Die Beschleunigung kam viel später als in Deutschland.» Genauer gesagt mit der Corona-Pandemie. Viele Haushalte konnten während dieser Zeit aufgrund des Helikoptergelds der Regierung bedeutende Ersparnisse anhäufen, mit denen sie Immobilien kauften.
Zudem konnten viele von ihnen zur bestmöglichen Zeit, 2020/2021, ihre Hypotheken zu rekordtiefen Zinsen abschliessen oder verlängern. Sie verloren damit wenig Kaufkraft, als die Zinsen wieder stiegen. «Aus diesem Grund gibt in den USA nur wenige Immobilienbesitzerinnen und -besitzer, die sich ihr Objekt aufgrund der gestiegenen Zinsen nicht mehr leisten können», sagt Thomas Veraguth. Ein Einbruch des US-Immobilienmarktes sei daher eher unwahrscheinlich.
Schweiz noch immer im Aufwärtszyklus
Noch einmal anders ist die Situation in der Schweiz. Während die meisten Immobilienmärkte 2008 aufgrund der Finanzkrise in einen Abwärtssog getrieben wurden, überstand der Schweizer Immobilienmarkt diese Ereignisse relativ unbeschadet. Oder anders gesagt: Er befindet sich seit über zwanzig Jahren in einem Aufwärtszyklus, der noch immer anhält. Der letzte Crash ist schon lange her, etwa drei Jahrzehnte. Dieser begann mit dem Börsencrash vom Oktober 1987. Um Schlimmeres zu verhüten, öffneten die Notenbanken damals die Geldschleusen. Angesichts der tiefen Zinsen suchten viele, die sich eben noch die Finger an Aktien verbrannt hatten, nach Auswegen. Und fanden sie im Häusermarkt.
Es folgte ein turbulenter Preisanstieg – bis die SNB 1989 die Zinsen massiv hochschraubte. Hypotheken kosteten fortan 8 Prozent. Daraufhin brachen die Preise innert kürzester Zeit um bis zu 20 Prozent ein. Es folgte ein verlorenes Jahrzehnt, die Wirtschaft stagnierte jahrelang. Bis um die Jahrtausendwende die Trendwende einsetzte – die bis heute anhält. Dennoch liegt der Kurs unter jenem von Deutschland und den USA. «Dies liegt daran, dass die absoluten Preise in der Schweiz natürlich höher sind, wenn die Inflation nicht abgezogen wurde», so Thomas Veraguth.
Zyklen sind also normal. Sie sind keine neue Entwicklung. In Panik zu verfallen, wie es aktuell in Deutschland teilweise der Fall ist, ist somit verfehlt.