Freitagabend in Dübendorf ZH: Die Jugendlichen an der Bushaltestelle sprechen Hobbygangster-Deutsch. Es geht nach Zürich in den Ausgang.
Wenige Hundert Meter entfernt erhebt sich ein schlichter gelber Wohnblock mit bröckelnder Fassade. Die Balkone sind stellenweise stark vergilbt. Luxus sieht anders aus.
Hier ist der Topbanker aufgewachsen, der diese Woche die Wirtschaftsschlagzeilen bestimmte: Iqbal Khan (43). Dass es der Einwandererjunge aus Dübendorf einmal in die Klasse der Reichen und Mächtigen schaffen würde, dass sich die Grossbanken CS und UBS um ihn reissen, dass er in Herrliberg an der sündhaft teuren Goldküste wohnen würde – all das ist ihm nicht an der Wiege gesungen worden.
Im Alter von zwölf Jahren nach Dübendorf
Khans ehemaliger Chef und Lehrmeister René Fitzi (68), Inhaber des kleinen Treuhandbüros Revor in Dübendorf, erinnert sich: «Bevor ich ihm die Lehrstelle gegeben habe, hat er rund 50 Absagen erhalten. Seine pakistanischen Wurzeln haben dabei sicher eine entscheidende Rolle gespielt.»
Khan kam im Alter von zwölf Jahren nach Dübendorf. Seine Mutter ist Schweizerin. Die Familie kehrte der pakistanischen Millionenstadt Karatschi, Heimat des Vaters, den Rücken. Der Grund für den Schritt seien die politischen Wirren und das Terrorregime in Pakistan gewesen, schrieb das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» vergangenes Jahr.
Bis vor kurzem war der heutige Shootingstar der Schweizer Bankbranche einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt. Erst ein Skandal katapultierte ihn ins Rampenlicht. Es flog auf, dass die Credit Suisse (CS) ihren ehemaligen Chef der Vermögensverwaltung, der kurz vor einem Wechsel zur UBS stand, von Privatdetektiven beschatten liess. Angeblich, weil man vermutete, Khan könnte Mitarbeiter und Kunden zu seinem neuen Arbeitgeber abwerben.
Khan «war ausserordentlich talentiert»
Mal heisst es, Khans abrupter Abgang von der CS sei die Folge einer handfesten Auseinandersetzung mit seinem CEO Tidjane Thiam (57) gewesen. Mal soll der Ursprung ein Nachbarschaftsstreit gewesen sein. An einer Party im Januar hätten sich die Banker fast geprügelt. Thiam habe gegenüber Khan so heftige Drohungen ausgesprochen, dass dieser ein privates Sicherheitsunternehmen zu seinem Schutz engagiert habe.
Unschöne Gerüchte und Halbwahrheiten kursieren. Khans ehemalige Chefs hingegen berichten ausschliesslich Gutes über ihn. René Fitzi ist heute noch begeistert von dem Jungen aus Dübendorf: «Er war ausserordentlich talentiert, extrem schnell im Kopf und zeichnete sich durch ausgesprochen gute Umgangsformen aus.» Schon während der Lehre habe sich abgezeichnet, dass dieser junge Kerl es zu etwas bringen werde. «Dass seine Karriere so hoch hinaus geht, war aber natürlich nicht vorherzusehen.»
Besonders in Erinnerung geblieben ist Fitzi, dass Khan – englischsprachig aufgewachsen – übersetzte, wenn das Treuhandbüro englischsprachige Mandanten hatte. Er ist heute noch beeindruckt. «Das war eindrücklich: Ein 16-jähriger Lehrling sitzt am Sitzungstisch und macht den Dolmetscher.» Ein Ansporn waren für den Jungen aus einfachen Verhältnissen wohl auch die vielen schönen Autos seines Chefs. «Wir gingen damit manchmal auf die Rennstrecke. Für ihn war klar: ‹Ich will mir das auch mal leisten können›», so Fitzi.
Khan «scheute sich nie, seine Meinung zu sagen»
Khan gibt Gas: 1999 wird er Treuhänder mit eidgenössischem Fachausweis, drei Jahre später diplomierter Wirtschaftsprüfer, 2004 zertifizierter Finanzanalyst. Gleichzeitig steigt er bei Ernst & Young (EY) die Karriereleiter hoch. Mit 31 Jahren wird er beim internationalen Beratungsunternehmen jüngster Partner. In seiner Zeit bei EY publiziert er mehrere Artikel in der Wirtschaftspresse. Sie zeichnen sich durch kluge Analysen aus.
«Steuertransparenz ist das Gebot der Zukunft», prognostizierte er zum Beispiel 2010 in der «NZZ» und empfahl im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft die Anpassung der Businessmodelle.
Stephan Kuhn (62), heute Verwaltungsrat beim Stromkonzern Axpo, war bei EY mehr als drei Jahre lang der Vorgesetzte von Khan. Er ist voll des Lobes für seinen früheren Angestellten: «Iqbal scheute sich nie, seine Meinung zu sagen – auch nicht gegenüber mir als Chef. Ich habe aber nie erlebt, dass er laut oder unanständig geworden ist», erinnert er sich. Dass alles stimmt, was zuletzt über ihn geschrieben wurde, kann er sich «kaum vorstellen».
Tidjane Thiam machte Khan zum Chef
Auch nach seinem Abgang von EY habe sich Khan laut Kuhn vorbildlich verhalten. «Er war auch nach seinem Wechsel absolut loyal.»
Während seiner Zeit bei EY arbeitete Khan unter anderem als Berater bei der Credit Suisse oder als Wirtschaftsprüfer bei der UBS. «Bei beiden Banken hat Iqbal mit seinem Auftreten Eindruck hinterlassen – und das bis auf Verwaltungsratsebene», lobt Kuhn den ehemaligen Mitarbeiter noch heute.
2013 holte die CS Khan als Finanzchef der Vermögensverwaltung – obwohl er bis dahin nie in einer Bank gearbeitet hatte. Doch er war der Aufgabe mehr als gewachsen. Das fiel auch Tidjane Thiam auf, als dieser 2015 neuer CS-Boss wurde. Er machte Khan zum Chef der internationalen Vermögensverwaltung.
Seinen alten Lehrmeister hat Khan nie vergessen
Der Quereinsteiger übertraf auch in der neuen Position alle Erwartungen – und wurde bald als möglicher Nachfolger von Thiam gehandelt. Bei allem Erfolg hat Khan nicht vergessen, woher er kommt. Mit seinem Lehrmeister pflegt er noch immer Kontakt. «Wir sehen uns alle zwei, drei Monate. Wenn er in Dübi unterwegs ist, schaut er kurz bei mir im Büro vorbei. Oder wir treffen uns zum Lunchen», sagt René Fitzi.
Der Block in Dübendorf, in dem Iqbal Khan seine Jugend verbrachte, liegt schon um 18 Uhr im Schatten. Die Abendsonne wird von den Wohnblöcken rundherum abgeschirmt. In Herrliberg ZH, wo Khan jetzt residiert, sind die Abende sicher sonniger als im lauten, engen Dübi. Ob das Leben in der Reichengegend auch wirklich schöner ist, steht auf einem anderen Blatt.