«Ich bezahle nur noch elektronisch, selbst das Parkticket»
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Börsen-Chef im Interview:Sind Sie ein Zocker, Herr Dijsselhof?

SIX-Group-Chef Jos Dijsselhof im grossen Interview
«Ich bezahle nur noch elektronisch, selbst das Parkticket»

Seit drei Jahren steht der Niederländer Jos Dijsselhof an der Spitze der Börsenbetreiberin SIX Group. Der erste Ausländer auf diesem Posten verrät im grossen Interview, wie er seine Finanzen anlegt und warum immer mehr Leute Bargeld durch elektronisches Geld ersetzen.
Publiziert: 29.12.2020 um 00:47 Uhr
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Aktualisiert: 10.01.2021 um 15:40 Uhr
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SIX ist seit der Übernahme der spanischen Börse die drittgrösste Börsenbetreiberin in Europa.
Foto: Matthias Kempf
Interview: Christian Kolbe

Ein Videointerview im Homeoffice hat auch etwas Gemütliches. Die lähmende Steifheit grosser Konferenzräume fällt weg, vom Büchergestell lachen die beiden Söhne von Jos Dijsselhof (55) ins Bild. An der Wand hängt moderne Kunst. Hoch die Kaffeetassen, man landet schnell beim Vornamen. «Ich bin der Du-Typ», sagt der Holländer, der an der Spitze der SIX Group steht. Diese betreibt unter anderem die Schweizer Börse und stellt den Zahlungsverkehr in der Schweiz sicher. Trotz hektischen Aktien- und Devisenhandels lässt der Börsenchef den Tag ganz entspannt angehen.

BLICK: Herr Dijsselhof, checken Sie als Erstes die Kurse nach dem Aufwachen?
Jos Dijsselhof: Nein, ich versuche, alle elektronischen Geräte zu vermeiden, erst mal in Ruhe einen Kaffee zu trinken, zu frühstücken. Dann duschen, rasieren, anziehen – dann erst schaue ich auf die Bildschirme. Aber nicht, um die Kurse zu checken, sondern die Systemstabilität, also ob der Laden läuft.

Kein Schielen auf das Auf und Ab an den Weltbörsen?
Doch, dieser Blick auf die Märkte folgt jetzt, aber nicht wegen der Gewinne oder Verluste. Es geht vor allem darum, abschätzen zu können, welches Volumen auf die Handelsplattformen von SIX zukommt. Mir geht es darum, dass die Systeme funktionieren, nicht um Aktienkurse.

Aber privat interessieren Sie sich schon für die Aktienkurse? Sind Sie ein Zocker?
Nein, ich bin kein Zocker. Zudem unterstehe ich als SIX-Chef sehr strengen Handelsbeschränkungen. Generell lege ich mein Geld sehr vorsichtig an. Nur ein kleiner Teil ist in Aktien investiert. Sicherheit und Werterhaltung sind mir viel wichtiger, als zu zocken in der Hoffnung auf einen vermeintlich grossen Gewinn.

Sie sind also ein schlechter Kunde für SIX?
(Lacht) Da haben Sie wohl recht!

Wegen Corona gab es an den Börsen manchmal grosse Hektik. Verlief immer alles reibungslos?
Die Systeme der Schweizer Börse haben dem Ansturm der Anleger standgehalten. Selbst im März und April, und auch im November, als es Tage mit sehr hohen Volumen gab, waren die Server weit von ihren Kapazitätsgrenzen entfernt. Unsere Systeme kommen mit jedem Marktvolumen klar – und auch mit starken Kursschwankungen. Wir haben in den letzten Jahren in die Infrastruktur investiert, das zahlt sich nun aus.

Wie muss ich mir das Handelssystem vorstellen – viele fette Server im Keller der Börse in Zürich?
Grösse spielt für einmal keine entscheidende Rolle. Die Systeme werden immer kompakter und leistungsfähiger. Was wirklich zählt, ist die Leistungsfähigkeit der Ventilatoren, damit die Lüftung das System kühlen kann.

Im März gab es noch ein Allzeithoch im Leitindex SMI. Haben sie manchmal ein schlechtes Gewissen, weil die Aktienmärkte trotz Krise boomen?
Ich kenne meine Rolle genau. Mein Job ist es, einen fairen und funktionierenden Handelsplatz zu garantieren. Die Anlageentscheide und Risikoneigung der Investoren kann ich nicht beeinflussen. Wir sorgen nur dafür, dass jedes Aktiengeschäft auch zustande kommt. Deswegen muss ich kein schlechtes Gewissen haben.

Spielt es für das Geschäft von SIX eine Rolle, ob die Kurse fallen oder steigen?
Ein hohes Volumen und steigende Kurse sind das Beste für uns. Das hebt die Stimmung der Anleger, davon profitieren wir langfristig. Fallen dagegen die Kurse, gibt es zwar kurzfristig etwas mehr Gewinn für uns. Aber oft ziehen sich dann die Anleger vom Markt zurück.

Warum begibt sich SIX in ganz Europa auf Einkaufstour – was bringen mehrere Handelsplätze unter einem Dach?
Ein zusätzlicher Handelsplatz wie der Kauf der spanischen Börse BME bringt vor allem viel mehr Volumen bei deutlich geringer steigenden Kosten. Das Handelssystem lässt sich ja für beide Märkte – den schweizerischen wie den spanischen – verwenden. Je grösser eine Börsenbetreiberin ist, desto einfacher wird es, Geld für künftige Investitionen zu erwirtschaften. Der technologische Wandel in unserem Geschäft ist rasant. Hier spielt Grösse dann eben doch eine Rolle.

Dienen diese Käufe auch der Verteidigung gegen andere Börsenplätze, um nicht selber gefressen zu werden?
Ja, das ist richtig. Wir wollen unser Schicksal weiterhin selber bestimmen. Wir wollen zu den führenden Börsenplätzen weltweit gehören, auch um bei der Gestaltung der Spielregeln mitreden zu können. Je grösser eine Börse ist, desto mehr Gewicht hat ihr Wort.

Haben Sie noch Bargeld in der Tasche?
Nein, ich bezahle nur noch elektronisch, selbst das Parkticket. Ich habe zwar noch etwas Kleingeld im Auto, um eine Parkuhr zu füttern, aber das habe ich schon lange nicht mehr gebraucht. Es ist einfach so bequem, nur noch elektronisch zu bezahlen. Gerade beim Parkieren lohnt sich das. Kommen Sie früher zurück, erhalten Sie einen Teil der Gebühr wieder zurückbezahlt.

Ist Bargeld bald Geschichte?
Bargeld wird weniger, doch es wird nie ganz verschwinden. Es wird noch lange Menschen geben, die lieber mit Bargeld bezahlen möchten.

Wie hat Corona das Bezahlen verändert?
Wir sehen, was bei den Debitkarten und den Bankomaten läuft. Beide Transaktionen laufen über unsere Systeme. Im März und April ist der Bargeldbezug an den Bankomaten dramatisch eingebrochen. Er hat sich zwar wieder erholt, aber auf tieferem Niveau. Bezahlkarten und -lösungen wie Twint brachen während des Lockdowns ebenfalls ein. Danach setzte eine kräftige Erholung ein, auf einem höheren Niveau als vor der Krise. Die Menschen haben richtiges Bargeld durch elektronisches Geld ersetzt. Diesen Trend hat Corona stark beschleunigt.

Das heisst, SIX profitiert von Corona?
Unter dem Strich hatten wir finanziell ein gutes Jahr. Ja, wir haben in gewissen Bereichen von Corona profitiert. Aber wir waren dafür auch vorbereitet, haben sichergestellt, dass alle Systeme trotz teilweise turbulenter Zeiten immer einwandfrei und verlässlich funktioniert haben.

Wie sieht die Zukunft des Bezahlens aus?
Der Vorgang sollte irgendwann so simpel sein, dass der Konsument es gar nicht mehr bemerkt. Bezahlen soll zu einem integrierten Prozess werden und nicht mehr als ein separater Vorgang am Ende des Einkaufs wahrgenommen werden. Wie beim Bargeld wechselt auch elektronisch das Geld sofort den Besitzer, wird in Echtzeit von einem Konto aufs andere übertragen.

Herr über Markt und Moneten

Jos Dijsselhof (55) steht seit drei Jahren an der Spitze der SIX-Gruppe. Der Niederländer ist der erste Ausländer auf diesem für den Schweizer Finanzplatz zentralen Posten. Denn zu SIX gehört nicht nur die Schweizer Börse, sondern auch ein grosser Teil der Zahlungsinfrastruktur des Landes. Vor dem Wechsel in die Schweiz leitete Dijsselhof das operative Geschäft der Börsenbetreiberin Euronext. Er lebt mit seiner Frau und den beiden Buben in Adliswil ZH.

Jos Dijsselhof (55) steht seit drei Jahren an der Spitze der SIX-Gruppe. Der Niederländer ist der erste Ausländer auf diesem für den Schweizer Finanzplatz zentralen Posten. Denn zu SIX gehört nicht nur die Schweizer Börse, sondern auch ein grosser Teil der Zahlungsinfrastruktur des Landes. Vor dem Wechsel in die Schweiz leitete Dijsselhof das operative Geschäft der Börsenbetreiberin Euronext. Er lebt mit seiner Frau und den beiden Buben in Adliswil ZH.

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