René W.* (57) und seine Frau wollen sich von ihrer Wohnung in Derendingen SO trennen und nach Portugal auswandern. Das entscheiden sie Anfang 2019. Um die Wohnung zu verkaufen, müssen sie ihre Hypothek schon vor Ablauf der vereinbarten Frist auflösen.
Wer das macht, muss der Bank eine Entschädigung zahlen. «Das ist rechtens und geht in Ordnung», sagt René W. zu BLICK. In der Banken-Welt wird von einer sogenannten Vorfälligkeitsentschädigung oder auch Penalty gesprochen. Nicht selten geht es dabei um mehrere Zehntausend Franken.
Berechnung der Penalty
Im Fall von René W. berechnet die Migros Bank eine Vorfälligkeitsentschädigung von 39’140 Franken. Der vereinbarte Zinssatz war bei Abschluss des Vertrags im Jahr 2011 2,35 Prozent. Der Hypothekarvertrag wurde 1,6 Jahre vor Ablauf der vereinbarten Frist von zehn Jahren aufgelöst.
Der Grund für den hohen Rechnungsbetrag von 39'140 Franken: Die Migros Bank hat auf der Basis eines Negativzinssatzes von 0,962 Prozent gerechnet. Das heisst, sie kalkulierte für die Restlaufzeit mit einem Zinssatz von 3,312 Prozent.
Umstrittene Berechnungsgrundlage
René W. war mit der Berechnung der Migros Bank nicht einverstanden. «Ich bat die Bank darum, die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung anzupassen.» Er verlangte als Berechnungsgrundlage einen Zinssatz von null Prozent.
Abwegig ist das nicht. Es gibt mehrere Fälle von Hausbesitzern, die sich erfolgreich gegen Negativzinsen bei vorzeitiger Auflösung einer Hypothek gewehrt haben. Der K-Tipp berichtete beispielsweise über den Fall der Aargauerin Susanne B.*
Kunden erhielten recht
Auch sie wehrte sich in einem ganz ähnlichen Fall gegen die Migros Bank. Sie bekam vor Gericht recht. Und gewann in zweiter Instanz vor dem Zürcher Obergericht gegen das Finanzinstitut der Migros.
Die Migros Bank akzeptierte das Urteil. Und macht offensichtlich unbeirrt weiter mit der umstrittenen Praxis. So jedenfalls erklärt sich René W. seine Berechnung – erneut auf Grundlage von Negativzinsen.
Handelt die Migros Bank nach geltendem Recht?
Die Migros Bank kann laut eigenen Angaben zu einzelnen Fällen keine Stellung nehmen. Sprecher Urs Aeberli betont jedoch: «Für die Migros Bank ist bei der Prüfung von Ansprüchen aus Kundenverträgen selbstverständlich das geltende Recht massgebend.»
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Der Vertrag von René W. stammt wie auch der Vertrag von Susanne B. aus dem Jahr 2011. Gemäss dem Urteil des Gerichts konnte der Bankkunde zu diesem Zeitpunkt nicht mit Minuszinsen rechnen.
Gerichtsurteile sind eindeutig
«Die Gerichtsurteile sind relativ eindeutig», sagt Lorenz Heim (51), Hypotheken-Experte des VZ Vermögenszentrums. Auch das Bundesgericht würde dem Urteil laut Heim wohl zustimmen.
Heim geht davon aus, dass die meisten Banken weiterhin mit Negativzinsen kalkulieren werden, solange kein Gerichtsurteil des Bundesgerichts vorliege. «Jedenfalls ist mir keine Bank bekannt, die ihre Praxis aufgrund des Zürcher Gerichtsurteils geändert hat», sagt er zu BLICK. «Ein kantonales Gerichtsurteil gilt ja nicht automatisch für die ganze Schweiz», sagt Heim.
Bank macht Rückzieher
Auch René W. wehrte sich erfolgreich gegen die Verrechnung von Negativzinsen. Jedoch erst nach mehreren Mails, Briefen, Telefonaten und über einem Monat Ungewissheit reagierte die Migros Bank: Sie überwies René W. den strittigen Betrag von 11'369 Franken zurück.
Weshalb sie das Geld zurückbezahlt, obwohl sie, wie die Bank selbst schreibt, nach geltendem Recht gehandelt hat, dazu will die Bank keine Stellung nehmen.
Klar ist: Der Fall hinterlässt einen schalen Beigeschmack: Hätte sich der Kunde nicht gewehrt, hätte er das Geld nicht rückerstattet bekommen. Bleibt offen, wie viele Kunden – auch anderer Banken – von dieser Praxis schon betroffen waren. Und wie viele sich dagegen wehren konnten.
* Name geändert