«Eine unserer Kulturen ist fast 70 Jahre alt»
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Martin Mayer:«Eine unserer Sauerteig-Kulturen ist fast 70 Jahre alt»

Sie trotzen dem Branchensterben durch Innovation
Wie Bäcker das gute Brot retten

Beinahe im Wochenrhythmus schliessen Bäckereien – es fehlen Nachfolger, Fachkräfte, manchmal auch das Geld. Blick hat zwei Bäcker besucht, um Rezepte gegen das Bäckereisterben zu finden.
Publiziert: 10.06.2024 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 10.06.2024 um 07:20 Uhr
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Martin Mayer mit seinem Baby: einer achtjährigen Sauerteigkultur.
Foto: Philippe Rossier

Bäckersohn Lion (10 Monate) müsste eifersüchtig sein. Denn fast so liebevoll wie seinen Erstgeborenen hält Martin Mayer (45) seine Sauerteigkultur in den Armen. «Das ist die Kultur, die ich vor acht Jahren selber angesetzt habe», erzählt Mayer, als Blick ihn in seiner Bäckerei Vuaillat in Uster ZH besucht. «Wir nähren die Kultur jeden Tag.» 

Der Weg zum Sauerteig war für Mayer lang. Nach der Bäckerlehre verschlug es ihn in die Telekombranche. «Hier habe ich viel über Marketing, Verkauf und Betriebswirtschaft gelernt – eine wertvolle Horizonterweiterung», so Mayer. Zum Sauerteig hat der Zürcher in Neuseeland gefunden, als er sich beim Reisen in einer Bäckerei etwas Geld dazuverdiente.

Verstaubtes Image

Mayer versteht sich als Aufklärer, will die Branche wachrütteln, die dicke Schicht Mehlstaub wegwischen. «Das Bäckergewerbe ist eine der ältesten Branchen der Welt. Man glaubt, noch so backen zu können wie vor 50 oder 100 Jahren.» Mayer sieht in der mangelnden Offenheit für Neues einen Grund für das Bäckereisterben.

Dieses sorgt regelmässig für Schlagzeilen. Bäckereien müssen schliessen, weil die Nachfolge fehlt, das Fachpersonal nicht zu finden ist oder die Teuerung die eh schon geringen Margen aufgefressen hat. Gerade die gestiegenen Strompreise haben einigen Bäckereien den Stecker gezogen. Die Öfen wie auch die Kühlanlagen sind grosse Stromfresser. Auch die gestiegenen Lohn- und Rohstoffkosten fallen ins Gewicht.

Moderne Backstube

Silvan Hotz (50), Präsident des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verbandes (SBC), wehrt sich auf der Homepage vehement gegen den Ausdruck «Bäckereisterben». Allerdings muss der oberste Bäcker eingestehen, dass «in der Schweiz jährlich zwischen 50 und 80 Betriebe schliessen». Die Zahl der Verkaufsstellen ist seit dem Jahr 2000 von über 3300 auf noch knapp 2500 gesunken. Die Zahl wäre noch deutlich tiefer, würden jedes Jahr nicht einige Dutzend neue Betriebe ihr Glück im Bäckereigewerbe versuchen. 

Der Produktionsbetrieb der Bäckerei Hotz Rust in Baar ZG wirkt alles andere als altbacken. Die Arbeitsplätze der Bäcker und Konditorinnen sind hell und von Tageslicht durchflutet, einzig in der Nacht werden die Jalousien geschlossen, «um die Nachbarn nicht zu stören», wie Hotz erklärt. 

Trend zur Filialisierung

Rund 65 Angestellte – davon die Mehrheit im Verkauf – arbeiten für die Bäckerei. Neben Café und Verkaufslokal am Produktionsstandort hat Hotz Rust drei weitere Filialen im Kanton Zug. Zudem tragen Znüni-Mobile, die Unternehmen in der Region beliefern, und Lieferungen an Gastrobetriebe zum Umsatz bei.

«Ein Gipfeli muss frisch, warm sein und nach Butter schmecken»
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Silvan Hotz:«Ein Gipfeli muss frisch, warm sein und nach Butter schmecken»

«Der Bäcker hat sich zum Zwischenverpfleger gewandelt», so Hotz. «Man holt sich hier nicht nur das Gipfeli zum Zmorge, sondern auch das Take-away-Menü oder das Sandwich fürs Mittagessen.»

Backen rund um die Uhr

«Früher konnte der Dorfbeck mit 100 Kunden pro Tag überleben, heute braucht es täglich 300 bis 500 Kunden, damit ein Betrieb rentiert», weiss Hotz. Die Folge: Geht der Dorfbeck in Rente, übernimmt niemand das Geschäft – weil es sich nicht rechnet. «Uns fehlt der Nachwuchs, und die Zahl der Lernenden sinkt», erklärt der oberste Bäcker. 

Das liege daran, so Hotz, dass die Jugend generell nicht mehr so an handwerklichen Berufen interessiert sei. An den Arbeitszeiten allein kann es nicht liegen, heute muss nicht mehr jeder Bäcker zwingend mitten in der Nacht aufstehen.

Sauerteig schafft Flexibilität in der Backstube

Martin Mayer (45) hat den Sauerteig in der Schweiz salonfähig gemacht. Die lange Gärung macht das Brot nicht nur gesünder, schmackhafter und länger haltbar. Der Sauerteig schafft auch in der Backstube ganz neue Arbeitszeitmodelle – und kann so einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel in der Branche leisten. In der Produktion der Bäckerei Vuaillat in Uster ZH arbeiten 25 Personen, der letzte Bäcker tritt seine Schicht um 8 Uhr morgens an.

«Als ich 2016 den Betrieb übernommen habe, standen wir alle morgens um 2 Uhr in der Backstube, arbeiteten bis zum Mittagessen», erzählt Mayer. «Danach war die Produktion meist verwaist.» Das lag an der sogenannten direkten Teigführung, bei welcher der Teig nur wenige Stunden ruht.

Wenn Mayer heute Personal sucht, kann er flexible Arbeitszeiten anbieten. «Der Sauerteig muss 24 bis 48 Stunden gären – da spielt es keine Rolle, ob dieser um Mitternacht oder nach dem Mittagessen angesetzt wird». Das heisst, Mayer kann Bewerbern sowohl Tages- als auch Nachtschichten anbieten. Was auch die Familienverträglichkeit des Berufes erhöht.

Martin Mayer (45) hat den Sauerteig in der Schweiz salonfähig gemacht. Die lange Gärung macht das Brot nicht nur gesünder, schmackhafter und länger haltbar. Der Sauerteig schafft auch in der Backstube ganz neue Arbeitszeitmodelle – und kann so einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel in der Branche leisten. In der Produktion der Bäckerei Vuaillat in Uster ZH arbeiten 25 Personen, der letzte Bäcker tritt seine Schicht um 8 Uhr morgens an.

«Als ich 2016 den Betrieb übernommen habe, standen wir alle morgens um 2 Uhr in der Backstube, arbeiteten bis zum Mittagessen», erzählt Mayer. «Danach war die Produktion meist verwaist.» Das lag an der sogenannten direkten Teigführung, bei welcher der Teig nur wenige Stunden ruht.

Wenn Mayer heute Personal sucht, kann er flexible Arbeitszeiten anbieten. «Der Sauerteig muss 24 bis 48 Stunden gären – da spielt es keine Rolle, ob dieser um Mitternacht oder nach dem Mittagessen angesetzt wird». Das heisst, Mayer kann Bewerbern sowohl Tages- als auch Nachtschichten anbieten. Was auch die Familienverträglichkeit des Berufes erhöht.

Das zeigt sich auch in der Bäckerei in Baar, wo auch am späten Vormittag in der Produktion noch Hochbetrieb herrscht, Brotlaibe darauf warten, in den Ofen geschoben zu werden. «Die Kundschaft erwartet auch zum Feierabend frisches Brot, dafür braucht es mehr Tagesschichten», erklärt Hotz. Der Vorteil: Flexiblere Arbeitszeiten helfen gleichermassen gegen Nachwuchsprobleme wie den Fachkräftemangel. 

Die Grossverteiler und Tankstellenshops mit ihren Aufbackstationen, die einen Supermarkt den ganzen Tag nach frischem Brot duften lassen, machen Bäckern das Leben schwer. «Der Marktanteil der Bäckereien ist auf etwa 25 Prozent geschrumpft», sagt Hotz. 

Das Problem: Während Brot- und Backwaren einen Bruchteil des Umsatzes der Grossverteiler ausmachen, sind sie bei den Bäckern die Haupteinnahmequelle. Eine, die aus Sicht der Branche mehr kosten dürfte: «Grundsätzlich finde ich, dass Brot zu günstig ist», sagt Hotz. «Weil darin viel Arbeit, Handwerk und Regionalität steckt.»

Löcher vom Grossverteiler

Deshalb ermuntert der Verband seine Mitglieder dazu, sich auf die Wurzeln des Bäckereigewerbes zu besinnen. Das heisst weniger Zusatzstoffe, dafür längere Gärzeiten für die Teige und so mehr Aroma für die Brote. So wie beim Sauerteigbrot. Und das entsprechend in den Bäckereien zu vermarkten. «Sehen die Kunden diesen Aufwand, sind sie bereit, einen oder zwei Franken mehr für den Laib Brot zu bezahlen», glaubt Hotz. 

Davon ist auch Martin Mayer überzeugt. Er will die Branche modernisieren und die Kundschaft aufklären: «Die Brote vom Grossverteiler haben kleine Löcher im Boden, wegen der Bleche in den Backschränken», sagt Mayer. «Diese Löcher gibt es bei unseren Broten aus dem Steinofen nicht.»

Mayer hat in seiner Brotmanufaktur eine Versuchsbackstube eingerichtet – um sein Gewerbe zu modernisieren und um Kurse für Hobbybäcker anzubieten, die auf ein steigendes Interesse stossen. 

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