Es steht viel auf dem Spiel an der Klimakonferenz COP26, die am Sonntag beginnt und am Montag mit einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs einen ersten Höhepunkt erleben wird. Über 190 Staaten sind in der schottischen Stadt dabei, eines der wichtigsten Ziele ist es, die Ambitionen im Kampf gegen den Klimawandel zu steigern.
Klingt belanglos, ist es aber bei weitem nicht: «Wenn wir das Ziel einer Erderwärmung von maximal 1,5 Grad noch erreichen wollen, dann müssen wir massiv an Dynamik zulegen. Mit dem bisherigen Reduktionstempo global haben wir keine Chance», sagt Gunthard Niederbäumer (59) zu Blick. Der Klimatologe arbeitet beim Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) und gehört zum vierten Mal der Schweizer Delegation an einem Klimagipfel an.
Bekenntnisse statt Verpflichtungen
Das Problem: Die Ambitionen – sprich die Reduktionsziele für CO2 – sind viel zu bescheiden. Selbst wenn alle Staaten ihre selbst auferlegten Klimaziele erreichten, würde sich die Erde aktuell um 2,7 Grad erwärmen. Deswegen müssten die Ambitionen hochgeschraubt werden: «Da bin ich nicht wahnsinnig optimistisch, wir müssen uns darauf einstellen, dass es noch wärmer wird», dämpft Niederbäumer die Erwartungen.
Kommt hinzu, dass es keinerlei Sanktionen gibt, falls die Ziele nicht erreicht werden. «Die Bekenntnisse sind nur moralisch verpflichtend», so Niederbäumer.
Die Schweiz ist alles andere als eine Musterschülerin. Die Moral hat auf alle Fälle nicht dazu geführt, dass die Schweizer Stimmbevölkerung das CO2-Gesetz angenommen hätte. Deshalb reist die Schweiz mit leeren Händen nach Glasgow, kann ihre eigenen Ambitionen nicht steigern.
In der Schweiz wird es doppelt so warm
Dabei könnte gerade ein Land wie die Schweiz mit gutem Beispiel vorangehen: «Die Einstellung, die Schweiz habe keinen Einfluss auf den Klimawandel, das ist die völlig falsche Denke», sagt Niederbäumer. Denn erstens gehört unser Land zu den grösseren Klimasündern, zweitens sind die Auswirkungen bereits jetzt spürbar.
Aufgrund der kontinentalen Lage wird es in der Schweiz immer wärmer, warnt Klimatologe Niederbäumer: «In der Schweiz wird die Temperatur doppelt so stark ansteigen als im globalen Durchschnitt. Das zeigen alle Modelle.» Die Folge: Bis ins Jahr 2100 dürften in den Schweizer Alpen die meisten Gletscher verschwunden sein. Skifahren in der Voralpen dürfte noch früher Geschichte sein.
Andererseits kann die Schweiz als eine der führenden Wirtschaftsnationen einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten: «Wer will neue Technologien entwickeln, wenn nicht wir mit all den tollen Firmen und den renommierten Hochschulen», so Niederbäumer. Der Klimawandel als Chance, diese Haltung sei bei Entscheidungsträgern in der Wirtschaft inzwischen weitverbreitet.
Frustrierende Verhandlungen
Am Sonntag reist Niederbäumer als Teil der offiziellen Schweizer Delegation nach Glasgow und ist mit einem heiklen Thema betraut: Verluste und Schäden. Denn diese gibt es bereits heute, Südseeinseln versinken im Meer oder müssen für teures Geld ihre Küstenverbauungen verstärken. In Afrika breitet sich die Trockenheit immer weiter aus. Viele Entwicklungsländer brauchen deswegen jetzt schon finanzielle Unterstützung.
Das Problem: Das Pariser Klimaabkommen sieht Zahlungen erst für künftige Klimamassnahmen vor. Die Schweiz und viele andere Industriestaaten wollen an diesem Prinzip festhalten, das Abkommen nicht wieder aufschnüren.
Niederbäumer weiss, was ihn erwartet: «Die Verhandlungen können frustrierend sein, wenn bis spät in die Nacht um das letzte Komma gefeilscht wird.» Andererseits ist die Freude umso grösser, wenn es in letzter Minute zu einem Durchbruch kommt.