Die Olympischen Winterspiele in China sind kein Volksfest: kaum Zuschauer, kaum Atmosphäre, kaum Schnee. Peking 2022 ist nicht zu vergleichen mit den Sommerspielen vor 14 Jahren, als das Land glänzte. Die Welt hoffte damals auf ein offenes China – und wurde bitter enttäuscht.
Kein Land in Westeuropa unterhält so gute Beziehungen zu China wie die Schweiz. Seit 2014 ist ein bilaterales Abkommen in Kraft. Über 1000 Schweizer Firmen geschäften in Peking, Shanghai und Co. Die meisten davon sind KMU. «Die Schweiz zeigt dem Rest der Welt, wie es in China funktionieren kann», sagt Felix Sutter (61), Präsident der Wirtschaftskammer Schweiz-China.
Was beschäftigt Schweizer Firmen in China?
Doch obwohl die Beziehungen gut sind: Auch Schweizer Unternehmen bewegen sich in China auf einem schmalen Grat. Ein falsches Wort in der Öffentlichkeit und es drohen harsche Konsequenzen. So kam es auch schon vor, dass ein Konzern, der den Zorn des Regimes auf sich gezogen hatte, den Standort wechseln musste. Über das Land sprechen will öffentlich deshalb keine Firma.
Hinter den Kulissen ist man zugänglicher. Strategie-Experte Patrick Dümmler (48) arbeitet für die liberale Denkfabrik Avenir Suisse gerade an einer China-Studie. Er steht mit zahlreichen Firmen in Kontakt, die im Reich der Mitte tätig sind. «Ein grosses Thema ist die Technologie», sagt Dümmler. Was in den USA gilt, ist in China teilweise verboten – und umgekehrt. Wie soll man da noch geschäften? «Die Unternehmen müssen die Produkte für die beiden Länder anpassen. Das ist die einzige Lösung.»
Risiken in China
Die Regulierungen zählt auch Felix Sutter von der Wirtschaftskammer zu den grössten Risiken. Die Kommunistische Partei (KP), die Mao Zedong vor über 100 Jahren mitgegründet hatte, hat im Frühling 2021 den 14. Fünfjahresplan verabschiedet. Seit Anfang Jahr werden die neuen Gesetze nun durchgesetzt. «Da werden teilweise Äpfel mit Birnen verglichen», sagt Sutter.
Ein Beispiel sei der Lebensmittelbereich. Die Chinesen kennen ganz andere Vorschriften als Amerika oder Europa. «So kann es sein, dass Unternehmen die Produkte für den chinesischen Markt teilweise komplett umgestalten müssen. Das ist eine grosse finanzielle Belastung», sagt Sutter. Ein grösseres Unternehmen könne dies unter Umständen stemmen, «für ein KMU ist das aber oft ein Ding der Unmöglichkeit».
KP beeinflusst alle Unternehmen – auch schweizerische
Die grösste Besonderheit der chinesischen Wirtschaft ist die Rolle des Staates. «Die Regierung hat jedes private Unternehmen im Griff – ob direkt oder indirekt», sagt Robert Wang (70), stellvertretender US-Botschafter in Peking unter dem damaligen Präsidenten Barack Obama (60), zu Blick. Wang war als hochrangiges Mitglied des amerikanischen Aussenministeriums drei Jahrzehnte lang in China stationiert. Er ist überzeugt: «Egal, ob Schweizer oder US-Unternehmen – wer in China tätig ist, kann sich dem Einfluss der Kommunistischen Partei nicht entziehen.»
Sutter stimmt ihm teilweise zu. «Die Chinesen haben ein anderes Verständnis von der Rolle des Staates als die Schweizer», sagt er. Als Unternehmen vor Ort sei es unabdingbar, mit der lokalen Regierung das Gespräch zu suchen: «Man kann nicht meinen, einfach nach China gehen und da sein eigenes Ding durchziehen zu können.»
Der Dialog mit der Regierung könne sich indes auch positiv aufs Geschäft auswirken. Wenn man wisse, was den Chinesen wichtig sei, könne man entsprechend handeln. «Und bei einem möglichen Konflikt sind die Behörden so auch eher gesprächsbereit und suchen oft nach einer bestmöglichen Lösung für beide Parteien», meint Sutter.
«Dass ein Lehrling Chef werden kann, verstehen sie nicht»
Trotz des schwierigen Umfelds bieten sich in China für Schweizer Unternehmen aber auch Chancen, ist Sutter überzeugt. «Der Markt ist mit 1,4 Milliarden Menschen gigantisch. China wird in diesem Jahrhundert noch wichtiger werden. Es ist also gut, wenn man früh dabei ist», sagt er. In Bezug auf die schwierige Menschenrechtslage in China haben Schweizer Firmen auch eine Vorbildrolle. «Unsere Unternehmer sind ethisch gut unterwegs. Wir können unsere soziale Verantwortung wahrnehmen und vor Ort aufzeigen, dass es auch anders geht», so Sutter.
Das beginne beim Einhalten der Umweltstandards und gehe über die Unternehmenskultur bis hin zur Ausbildung von Lehrlingen: «Praktisch alle sind in China Akademiker. Dass ein Lehrling später einmal Geschäftsführer werden kann, verstehen sie noch nicht. Dass jeder eine Chance hat, können wir ihnen mit unserem dualen Bildungssystem aufzeigen.»
Muss sich die Schweiz zwischen USA und China entscheiden?
Die grosse Frage ist jedoch: Wie lange können Schweizer Firmen in China noch tätig sein? Die Spannungen zwischen den USA und China haben seit dem Abschluss des bilateralen Abkommens der Schweiz mit China vor acht Jahren zugenommen. Der britische Historiker Niall Ferguson (57) spricht in einem «New York Times»-Artikel bereits vom «neuen Kalten Krieg».
Auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist sich der geopolitischen Lage bewusst. In seinem Bericht «Sicherheit Schweiz 2020» schrieb er: «Die Kluft zwischen dem vom Westen geprägten, liberalen Modell und dem autoritären Staatskapitalismus wird weiter wachsen.» Und: «Die Schweiz könnte künftig gezwungen sein, sich auf einen dieser Normenräume zu beschränken.»
Bedeutet: Die Schweiz muss sich dereinst wohl zwischen den Amerikanern und den Chinesen entscheiden. Auf Anfrage will der NDB für dieses Szenario weder einen ungefähren Zeithorizont angeben noch die Angelegenheit weiter kommentieren.
«Wir sollten den Spielraum nutzen»
«Die Schweiz wählt mit China einen pragmatischen Weg», sagt Strategie-Experte Patrick Dümmler. Politisch sei dies die einzige gangbare Strategie. «Wir sollten den Spielraum nutzen, um uns zwischen den USA und China zu platzieren.» Wenn die Schweiz als Vermittlerin akzeptiert werde, sei man weniger angreifbar und hätte mehr Freiheiten.
«Es ist gut, wenn wir uns so lange wie möglich beide Optionen offenhalten», sagt auch Sutter. Die Schweiz sei geopolitisch als Brückenbauerin akzeptiert. «Wenn jemand in der Lage ist, die beiden Extreme zu verbinden, dann sind wir das.»