Überschuldet, überaltert, überschätzt
China – die kranke Supermacht

Höher, schneller, weiter war einmal. Das System Peking stösst zunehmend an Grenzen. Das zeigt sich nun auch im Rahmen der Olympischen Winterspiele.
Publiziert: 04.02.2022 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2022 um 08:06 Uhr
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Staatspräsident Xi Jinping: Wie stark ist China wirklich?
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Die Welt schaut nach China. Am Freitag beginnen die Olympischen Winterspiele – und Peking, die erste «doppelte Olympiastadt», will wie schon bei den Sommerspielen 2008 glänzen.

Doch das Spektakel wird längst heftig kritisiert: Wegen der Menschenrechtslage, der Pandemie und der Tatsache, dass China keine Wintersport-Tradition hat. Demokratische Regierungen weltweit boykottieren die Spiele, auch der Schweizer Bundesrat schickt keine Politikerinnen und Politiker zur Eröffnung.

So protzig zeigt sich Peking für Olympia
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Milliarden-Investition:So protzig zeigt sich Peking für Olympia

Die prestigeträchtigen Spiele werden so nicht zum Symbol für Chinas Stärke – sondern seiner Schwäche. Seit China, der ehemalige «kranke Mann Asiens», Japan durch einen durch Schulden angeheizten Wirtschaftsboom nach der globalen Finanzkrise 2010 als zweitgrösste Volkswirtschaft überholte, galt der Aufstieg als unausweichlich.

Doch die aufstrebende Supermacht kämpft mit vielen Problemen.

1. Schuldenwirtschaft

Chinas Wachstum kostet. Im vergangenen Jahrzehnt ist der Schuldenberg massiv gewachsen – Corona-Hilfen taten ihr Übriges.

In Sachen Schulden liegt China mittlerweile auf einem Level mit den USA und der Eurozone. Mit einem wichtigen Unterschied: Der grösste Teil der Gesamtverschuldung entfällt auf den Unternehmenssektor. Nachdem die Regierung die Schulden als grösstes Wirtschaftsrisiko identifiziert hat, gaben die Banken weniger Kredite an Staatsbetriebe – jetzt aber wieder immer mehr. Kein gutes Zeichen.

Besonders deutlich wird das am Fall von Evergrande Group. «Ein Kartenhaus, auf politischem Sand gebaut», heisst es in einem Bericht der US-Denkfabrik Atlantic Council über Chinas zweitgrösstes Immobilienunternehmen. 1300 Projekte in 280 Städten – und umgerechnet fast 300 Milliarden Franken Schulden. Zwischen April und Dezember 2021 fiel der Aktienkurs trotz zwischenzeitlicher Rettungsmanöver um mehr als 97 Prozent. Die Angst vor einer Immobilienblase ist noch nicht ausgestanden.

Auch die «Neue Seidenstrasse», die Chinas Handelsbeziehungen mit der Welt stärken soll, stockt. Chinas «Belt and Road»-Initiative hat an Glanz verloren, viele der 144 Länder, die «Kooperationsvereinbarungen» unterzeichnet haben, haben Schwierigkeiten, die Milliarden-Kredite an chinesische Finanzinstitute zurückzuzahlen. Das Geld wiederum fehlt im eigenen Land.

2. Demografie

Stefan Legge, Dozent für internationalen Handel an der Uni St. Gallen, sieht China bei der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung in einem Ranking von 54 Ländern sowie der Eurozone auf Rang 31. Zum Vergleich: Die Schweiz liegt bei dem Vergleich von Wirtschafts- und Produktionswachstum, Inflation, Arbeitslosenzahlen und Haushaltsbudget auf Platz 2.

Und die wirtschaftliche Entwicklung könnte sich weiter verschlechtern. Denn die Gesellschaft überaltert – und dem Land gehen die Arbeitskräfte aus.

«Chinas Bevölkerung altert schnell, und die produktivsten Mitglieder der Erwerbsbevölkerung werden in weniger als 15 Jahren in den Ruhestand gehen», zitiert «Forbes» einen Bericht über die zunehmenden Risse in Chinas Wirtschaft. Trotz des Endes der Ein-Kind-Politik 2015 ist die Geburtenrate bislang nicht ausreichend genug gestiegen.

3. Umweltzerstörung

Im September 2020 verkündete Präsident Xi Jinping (68) überraschend, sein Land innerhalb von 40 Jahren klimaneutral zu machen. Allerdings: Wie China dieses Ziel erreichen will, ist unklar.

Zwar sind die Pro-Kopf-Emissionen nur halb so hoch wie in den USA – aber 1,4 Milliarden Einwohner und ein explosives Wirtschaftswachstum haben China trotzdem an die Spitze der Klima-Sünder gebracht. Es ist schwierig, die auch durch laxe Umweltgesetze verursachten Emissionen wieder in den Griff zu bekommen.

Und die durch die schnelle Industrialisierung hervorgerufenen Umweltprobleme belasten China jetzt schon. Neben Luft- und Landverschmutzung ist vor allem sauberes Wasser ein Problem. 70 Prozent der Flüsse und Seen gelten als verschmutzt.

Obwohl in China 21 Prozent der Weltbevölkerung leben, hat es nur sieben Prozent der Süsswasservorräte. Besonders der Norden ist stark ausgedörrt. Und zwar so sehr, dass die Regierung die Menschen ermutigen muss, Kartoffeln statt traditioneller, aber wasserintensiver Grundnahrungsmittel wie Reis und Weizen zu essen.

4. Instabile Nachbarschaft

China ist umzingelt von Freunden, Feinden – und vor allem einer Mischung aus beidem. Mit fast allen Nachbarländern streitet China über Grenzen, Territorium und Abhängigkeiten. Und davon gibt es viele: China hat die längste Landesgrenze der Welt, 14 teilweise instabile Nationen oder potenzielle Rivalen grenzen an das Reich der Mitte.

Vielen Nachbarn missfällt besonders, dass China Anspruch auf das Südchinesische Meer erhebt – und sich Taiwan im Rahmen der Ein-China-Politik einverleiben will. Die Grossmacht-Gelüste erschrecken Nachbarländer.

Zahlreiche Beziehungen – besonders zu Japan und Indien – sind auch historisch belastet. Sicherheitspolitische Herausforderungen sind Nordkorea mit seinem Atomprogramm und Islamismus und Terrorismus in Afghanistan.

Durch Investitionen und wirtschaftliche Kooperation versucht China, Freunde wie Feinde an sich zu binden und ein für die eigenen Interessen förderliches Umfeld zu schaffen.

Doch der Widerstand dagegen wird laut einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung immer grösser: In Pakistan gab es Proteste gegen chinesische Staudamm- und Kraftwerkprojekte und terroristische Anschläge auf chinesische Projekte, in Bangladesch beklagen Bürgerinnen und Politiker Todesfälle auf chinesischen Baustellen, und in Myanmar gibt es Aufstand gegen chinesische Firmen und Politiker, die in Verdacht stehen, das Militär nach dem Putsch zu unterstützen.

5. Militär

Die Spannungen mit den USA haben zugenommen. Im Taiwan-Konflikt könnte es zum Krieg kommen.

In den vergangenen Jahren hat China bereits massiv aufgerüstet. Das Land hat aktuell die grösste Armee weltweit – rund eine Million Soldaten sollen im aktiven Dienst sein, die USA haben nur halb so viele. Das Arsenal wurde mit Hightech-Waffen aufgefüllt, die Marine für den Kampf ums Südchinesische Meer ausgebaut. Der jüngste «China Military Power Report 2021» des US-Verteidigungsministeriums kommt zum Schluss, dass China militärisch leistungsfähiger geworden sei und eine risikofreudigere Haltung einnehme.

Doch Militärexperten äussern Zweifel, wie stark die der Kommunistischen Partei unterstellte Volksbefreiungsarmee wirklich ist. Das Kommandosystem gilt als undurchsichtig, korrupt und die Qualität der Soldaten als zweifelhaft. Dazu kommt die fehlende Kriegserfahrung.

China-Experte: «Propaganda, dass China die Supermacht dieses Jahrhunderts wird»

«Grosse Akteure überziehen oft», sagt China-Experte Ralph Weber, Professor für European Global Studies an der Universität Basel. «Es ist auch Propaganda, dass wir meinen zu wissen, dass China die Supermacht dieses Jahrhunderts sein wird.»

Der rasante Aufstieg und die Stärke Chinas hingen wesentlich davon ab, wie sich Europa und die USA verhalten. «Chinas grösstes Problem ist, dass es keine Softpower entwickelt hat. Die einzige Softpower ist Geld», sagt Weber.

Global gehe es dem Regime um Machterhalt. «China will sich selbst und sein System normalisieren und dass wir es akzeptieren.» Den Westen stelle das vor ein Problem: «Wenn liberale Demokratien China wie einen normalen Akteur behandelt, schädigen sie die eigene Demokratie – weil sie akzeptieren, dass andere Systeme zum Beispiel Menschenrechte einfach umdefinieren.»

Gleichzeitig könne man China nicht ignorieren. Von Wirtschaft über Forschung stecke viel China im Westen drin, so Weber. «Wenn wir nur Augenmerk auf die Konflikte legen, überspielen wir die vielen Verschränkungen.» Es seien auch die eigenen liberalen Strukturen, die dazu führten, dass China auf der Weltbühne so auftreten könne, wie es das tut.

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